Sommergäste beim Picknick, Foto Arno Declair
Berlin/ Deutsches Theater: „SOMMERGÄSTE“ von Maxim Gorki, B-Premiere, 24.02.2018
Welch ein gestelztes Gelaber, welch ein Kreisen ums eigene Ich, welch ein wehleidiger Weltschmerz! Das kommt uns bekannt vor, das hängt vielen heutzutage schon zum Halse heraus, dieses Diskutieren und Kritisieren, all’ das Drehen und Wenden von Argumenten. Also ein zeitgenössisches Stück? Durchaus, aber geschrieben 1904 von Maxim Gorki, kurz vor der russischen Revolution.
„Sommergäste“ nannte er dieses Theaterstück, in dem sich damals viele „not amused“ wiedererkannten und sich noch heute wieder erkennen können. Dass das damalige Wohlleben der gut situierten Kreise auf der Kippe stand, stand nicht nur zwischen den Zeilen. Also lieber die Ferien wie immer genießen.
Gorki hat den Leuten aufs Maul und in die Herzen geschaut. Er lässt seine Urlauber räsonieren und schwadronieren, Tee, Bier und Wodka trinken und im Selbstmitleid baden. Einer badet tatsächlich, genauer gesagt, er duscht: Alexander Khuon, der Rechtsanwalt Sergej Bassow. Der zieht sich aus, stellt sich splitternackt unter die Dusche, zittert, prustet, als sei das Wasser eiskalt, was hoffentlich nicht der Fall ist. Einen lustigen Beginn hat sich die Regisseurin Daniela Löffner damit einfallen lassen.
Doch so spaßig bleibt es beileibe nicht. Bassows Frau Warwara – Anja Schneider – kommt, guckt streng, kocht Tee und redet und redet, u.a. mit ihrem Bruder Wlas (Marcel Kohler), der sich zu nichts entschließen kann. Seit Jahren wird er in diesem Hause mit durchgefüttert.
Die anderen scheinen sich ebenfalls in Bassows Haus, zumindest stundenweise, einquartiert zu haben. Sie hocken zusammen, quatschen gelegentlich von der schönen Natur, lassen aber in dieser reich besetzten Talkshow lieber ihren Intellekt aufblitzen. Wie Gefangene hocken sie oft hinten an der Wand einer braunen Box (Bühne: Claudia Rohner), die an die Inszenierungen des 2009 verstorbenen Jürgen Gosch erinnert.
Bassows Schwester Kalerija (Linn Reusse) vertreibt sich als „Dichterin“ die Langeweile und erhält für ihre schmalzigen Verse den artigen Beifall der Sommergäste. Jede Abwechslung im öden Ferieneinerlei wird dankbar aufgegriffen.
Die Wortführerin bei den Analysen ist die schon erwähnte Warwara, die ihr Mann im Suff später als „frigide Zicke“ bezeichnen wird. Sie ist durchaus selbstkritisch, wenn sie äußert: Wir sind ausschließlich damit beschäftigt, uns einen bequemen Platz im Leben zu suchen. Wir tun nichts und reden entsetzlich viel.“ Wohl wahr. Langeweile lähmt.
Selbst Marja Lwowna (Regine Zimmermann), die als Ärztin eigentlich im Leben steht, bleibt bei verbaler Weltenrettung. Wlas, 10 Jahre jünger als sie, hat ihr seine Liebe gestanden. Sie liebt ihn ebenfalls und heult. Ihre Tochter (Maike Knirsch !) versucht, ihr liebevoll Mut zu machen. Eine sehr rührende Szene. Doch aus Angst vor späterer Enttäuschung kann sich die Mutter nicht für ein neues Leben mit ihm entschließen. Lieber klagt die recht elegant Gekleidete (Kostüme Eva Martin) Warwara ihr Leid. Ja, was soll denn das?
Per saldo wird Gorki-getreu, wenn auch in einer modernisierten Fassung von Daniela Löffner und David Heiligers, ständig weiter geredet. Die kinderreiche Olga Alexejewna (Natali Seelig), die sich zwar von Warwara oft Geld pumpt, attackiert heftiger und thematisiert ihre Kinderlosigkeit. Alle Schauspielerinnen und Schauspieler überzeugen in ihrer Rolle und verkörpern perfekt diese überaus redseligen Sommergäste mit ihren Macken, die sich vor lauter Langeweile ganz erschöpft fühlen.
Einigen Zuschauerinnen und Zuschauern ist das alles wohl zu langatmig geworden, die wollten nicht die vollen vier Stunden absitzen. In der Pause sind sie gegangen. Oder hat sie der Beinahe-Spriptease gestört, mit dem sich Kathleen Morgeneyer als Julija Filippowna den ganzen Frust wild aus der Seele getanzt hat. Damit vielleicht auch den Abscheu gegenüber ihrem herzlosen Ehemann, dem Ingenieur Pjotr Suslow (Frank Seppeler) ausgedrückt, dem es völlig egal ist, dass auf seiner Baustelle zwei Arbeiter ums Leben gekommen sind.
Im zweiten Teil belebt sich endlich das Geschehen. Erstmal gibt’s ein leckeres Picknick, danach fliegen die Fetzen. Olgas Gemeinheiten gegenüber Warwara nehmen zu. Von ihrem Mann, dem Arzt Kirill Dudakow (Andreas Pietschmann), lässt sie sich gleich das nächste Baby machen.
Mittendrin und von stiller Komik Bernd Stempel als Schriftsteller Schalimow, Warwaras Jugendschwarm, dem inzwischen die Leser abhanden gekommen sind. Außerdem Helmut Mooshammer als Suslows reicher Onkel, der zu diesem Fiesling ziehen will, um im Alter nicht alleine zu sein. Erfrischend im Vergleich zu den redseligen Älteren zwei junge Männer, Caner Sunar und Nikolay Sidorenko, die sich vor der Zukunft nicht fürchten.
In einem im Programmheft abgedruckten Interview wird die Angst vor dem Morgen und vor bevorstehenden Umwälzungen (wie jetzt die Digitalisierung) als der Hauptgrund für den wehleidigen Redeschwall dieser Sommergäste genannt. Womöglich spielt das auch eine Rolle. Der Hauptgrund ist aber die durch die Langeweile beförderte Furcht vor dem Leben an sich. Warwara, die Kluge, an die sich der lebensuntüchtige Schwärmer Pawel Rjumin (Christoph Franken) gerne anlehnen möchte, bringt es auf den Punkt: „Wir haben so eine Angst vor dem Leben! Was soll das? Wir versinken in Selbstmitleid!“ Voilà.
Ursula Wiegand
Weitere Termine: 01., 19. und 21. März