Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BERLIN /Deutsches Theater: NATHAN DER WEISE als lächerliche Farce

01.09.2015 | Theater

Berlin/ Deutsches Theater: Lessings „NATHAN DER WEISE“ als lächerliche Farce, 31.08.2015

 Aktueller als Lessings „Nathan der Weise“ kann ein Theaterstück zur Zeit kaum sein, doch was macht Andreas Kriegenburg, Hausregisseur des Deutschen Theaters, daraus? Einen „archaischen Comic“ ist im Programmheft zu lesen.

Wenn es doch einer wäre! Was Kriegenburg hier zur Saisoneröffnung abliefert, schwankt zwischen Albernheit und Peinlichkeit. Hingewiesen wird zwar auf den Humor als Konfliktlöser. Doch von Humor kann bei diesem bemühten Klamauk auch nicht die Rede sein.

Das Aufklärungsstück von Gotthold Ephraim Lessing aus dem Jahr 1779, das zur Zeit der Kreuzzüge spielt, beginnt hier mit einem Lehm beschmierten, sich liebkosendem Paar zu munterer Klimpermusik. Wer die beiden sind, erfahren wir später: Recha, Nathans Tochter, und ein tapferer Kreuzritter, der sie aus ihrem brennenden Haus gerettet hat.

Nach diesen lustigen Klängen (Ton: Wolfgang Ritter, Martin Person) trippeln bald alle Schauspielerinnen und Schauspieler wie aufgezogen um einen aus groben Brettern zusammengenagelten, mit einer Tür versehenen, drehbaren Holzwürfel (Bühne: Harald Thor). Er fungiert als das Haus des reichen Juden Nathan.

Mit Lehm beschmiert bis fast zur Unkenntlichkeit sind sie alle. Kriegenburg bezieht sich auf das Buch Genesis, wonach Gott den Menschen aus Erde vom Ackerboden formte. So gesehen sind wir alle gleich.

Darauf aufmerksam zu machen, ist eine gute Idee, aber warum müssen sie alle in diesem Lehmpanzer verbleiben und dürfen sich nicht zu „normalen“ Menschen entwickeln? Die Shopping-Tüten aus den Designerläden machen sie nicht dazu. Und die unterschiedlichen religiösen Einflüsse, die die anfangs Gleichen später trennen oder gar in Feinde verwandeln, kommen bei solch einem Einheitslook (Kostüme: Andrea Schraad) ohnehin zu kurz. Zuletzt aber haben sich alle lieb, sind sie doch untereinander, wie sich herausstellt, verwandt. Pech nur für die beiden Lover. Sie sind Bruder und Schwester.

Gewiss, das Gutmenschentum kommt in dem Werk überbordend daher, und macht Heutige skeptisch. Der weise Jude, der klammheimlich ein christlich getauftes Waisenkind liebevoll aufzieht, der Sultan Saladin, der einen Tempelritter begnadigt, weil der seinem verschollenen Bruder ähnlich sieht. Der stramme Christ, der das vermeintliche „Judenmädchen“ aus den Flammen trägt und aus Liebe zu ihr seinen Orden verlässt, um dann aufzuatmen, weil sie ja eine verkappte Christin ist – das alles ist von Lessing überreichlich märchenhaft angelegt.

Dass es der Tempelritter nach einem Sturz jedoch im Kreuz hat und man ihm geschwind ein großes Kreuz mit der Inschrift I.N.R.I. aufbürdet, ist eine „witzige“ Zutat. Und dass der korrupte Patriarch seine Drohung „Der Jude wird verbrannt“ auf dem Klo äußert, passt ebenfalls zu dieser Art von „Humor“, die hier praktiziert wird.

Lessings anspruchsvollen Text, seinen Blankvers, haben die Schauspielerinnen und Schauspieler brav gelernt. Warum sie aber die Sätze oft leiern oder unverständlich (à la Turmbau von Babel) sabbeln und stottern und dazu grimassieren müssen, bleibt das Geheimnis der Regie.

Doch bei der berühmten Ringparabel verstummt das gelegentliche Kichern des Publikums. Plötzlich lauschen alle gespannt der altbekannten Geschichte von dem guten Vater (Gott), der jeden seiner drei Söhne gleichermaßen liebt und sich nicht entscheiden kann, welchem er den wertvollen Ring geben soll. Also lässt er drei identische Ringe anfertigen, so dass jeder Sohn – laut einem Richterspruch – durch seine guten Tagen beweisen kann, dass er der rechtmäßige Träger ist. Judentum, Christentum und Islam als gleichwertige Religionen des einen Gottes – das ist Lessings wunderbare Botschaft.

Sie kommt auch an diesem Abend der B-Premiere an, obwohl Jörg Pose in Hut und Mantel, oben auf seinem Haus sitzend, diese Erzählung ziemlich herunterleiert. Vor vielen, vielen Jahren habe ich das von Ernst Deutsch am Schillertheater ganz anders gehört. Von einem Juden, einem Dennoch-Rückkehrer nach Deutschland und Österreich. Der hat offensichtlich an Lessings Botschaft geglaubt.

Glauben die heutigen Interpreten – Nina Gummich, Julia Nachtmann, Natali Seelig, Elias Arens, Bernd Moss oder gar das Regieteam daran? Abstand halten, Lessing lieber lächerlich machen, bloß nichts allzu ernst nehmen, obwohl die politische Situation solche Scherze eigentlich nicht erlaubt.

„Der leere Himmel“ steht als Motto über der neuen Spielzeit des Deutschen Theaters. So gesehen, passt diese Lessing-Version als Auftakt. Zuletzt aber jubeln die Zuschauer. Noch haben wir ja gut lachen.

Ursula Wiegand

 

 

 

 

Diese Seite drucken