
Judith Hoffmann, Martin Wuttke, Milan Peschel, Bernd Moss. Foto: Arn0 Declair
Berlin/ Deutsches Theater: „Life on earth can be sweet“ DONNA von René Pollesch, 16.12.2019
Nach Premieren gibt es im Deutschen Theater immer eine Party mit Live-Musik. Doch nicht nur deswegen sind diese stets ausverkauft und die Stücke von René Pollesch sowieso. Auch diese zweite Vorstellung von „Life on earth can be sweet“ Donna ist voll besetzt. Pollesch ist in Berlin eine Marke und wird auch weit über Deutschland hinaus geschätzt.
Als die Volksbühne nach Frank Castorf ins Schleudern geriet, ging er zum Deutschen Theater und begeistert in seiner sehr subtilen Art nun zum dritten Mal auch dieses Publikum. Vielleicht sind ihm viele auch gefolgt, was verständlich wäre. Er macht auch diesmal beides: das Schreiben und die Regie. Aber wer sonst sollte dieses Gedankengewimmel inszenieren und andere dafür interessieren? Oder darüber schmunzeln und auch mal belustigt lachen?
Irgendwie ist das Zauberei.
In dem jetzigen Stück verbirgt sich viel Melancholie hinter dem raffinierten Wortwitz, den Pollesch unermüdlich und in vielen Windungen wie an langen Schnüren in die Gegenwart hineinhäkelt. Es geht um einstige, nun weitgehend vergessene Theaterhelden, von denen das überwiegend junge Publikum wohl noch nicht einmal die Namen kennt.
Ihre Nachfolger im Deutschen Theater werfen sie nun in den Raum, voller Hochachtung, wie delikate Brocken für Feinschmecker. Macht aber nichts, wenn nur wenige wissen, wer gemeint ist, denn Pollesch köchelt mal wieder ein fein gewürztes Spezialmenü für Menschen, die generell gerne genau zuhören und mitdenken wollen.
Ging es bei „Black Maria“ Anfang 2019 um den frühen Film, so geht es in „Life on earth can be sweet“ jedoch nicht nur um Berlins große Theatergeschichte, sondern um eine eigentlich relativ simple Übung für angeblich junge angehende Schauspielerinnen und Schauspieler, die etwas über das epische Theater lernen sollen.
Spielort aller sich daraus ergebenden Diskussionen, Verwicklungen und Quasi-Lösungen ist die aus wackeligen verschiebbaren Sperrholzwänden bestehende Bühne, geschaffen von Anna Viebrock. Im Hintergrund bemüht sich ein Mann um die Reparatur einer Duschzelle. Auf Seifenschaum und Wasser rutschen im Vorbeigehen alle nacheinander aus. Slapstick für die ersten Lacher. Doch um was geht’s denn genauer?
Um die Schilderung eines Straßenunfalls mit mehreren Autos, den einer zufällig beobachtet hat und ihn nun anderen schildern will. Es ist eine kurze Szene von Bertolt Brecht, mit der er 1938 den Studierenden das Epische Theater beibringen wollte.
Damit sind nun hier Judith Hofmann, Jeremy Mockridge, Bernd Moss, Milan Peschel und Martin Wuttke, genannt in alphabetischer Reihenfolge, eineinhalb Stunden vollauf beschäftigt, und schon der Blick auf ihre skurrile Kleidung sorgt für Heiterkeit (Kostüme Nina von Mechow).
Diesen nun folgenden Parcours mitsamt Schnellsprechtraining meistern am besten die älteren aus dieser Gruppe. Ohne Punkt und Komma auf den Tag genau rattert Bernd Moss seine früheren Premieren runter, alle die kleinen Rollen in großen Stücken an diversen Provinztheatern.
Insbesondere die Ex-Volksbühnen-Tätigen Milan Peschel und Martin Wuttke bringen diesen Theaterkarren mit Hilfe der einst als Neuheit bestaunten Drehbühne voran. Gelegentlich tragen sie Augenmasken, als wollten sie die Gegenwart ausblenden, bis sie dann – nach einem Gedanken-Rundumkurs von Hölzchen auf Stöckchen – wieder zu Brechts Unfall im Straßenverkehr zurückfinden.
Vor allem Peschel ist der Wirbelwind, der mit superflinker Zunge, lebhaftester Mimik und flinkem Körper die Aufmerksamkeit auf sich zieht und dabei ganz beiläufig die allgemeinen und besonderen Lebensweisheiten über die Rampe wirft.
Die beiden Jüngeren – Judith Hofmann und Jeremy Mockridge – sprechen langsamer. Beide sind eher die Stimme der Vernunft und versuchen, etwas Ordnung in diese Lehrstunde über das Epische Theater zu bringen. Wenn sie dann alle nach ihren geistigen Irrfahrten doch wieder bei der Aufgabe landen, den Straßenverkehrsunfall zu schildern, endet der Versuch immer mit der Feststellung: in Wirklich ging das alles viel schneller, dreimal, fünfmal oder siebenmal so schnell, wie der junge Jeremy Mockridge schließlich klarstellt. Doch dann fahren Peschel, Wuttke und Moss tatsächlich zum Gaudi des Publikums in roten, gelben und blauen Papp-Cabrios auf die Bühne, was diese Karossen hoffentlich überleben.
Die letzten Szenen setzen noch eins drauf. Doch hinter dieser Tollheit lauert abgrundtief die Trauer. Martin Wuttke (Harry), nun als Lockenkopf im Seidenmantel mit Rüschenkragen, spricht auf Drängen der Freunde seine Traumrolle, den King Lear. Das kann er angeblich wunderbar, aber nur in der Küche oder unter der Dusche, wenn ihm niemand zuschaut. Auf solch eine Idee muss ein Autor erstmal kommen.-
Der Bühnenrücken wird nun zum Publikum gedreht und hinter den Wänden spricht Wuttke fast unverständlich den Text. Die anderen lauschen ergriffen. Zum abgrundtiefen Scheitern eines zu Sensiblen erklingt der Bob Dylan Song „I want you, I want you, I want you so bad, Honey, I want you.“
Ja, was will ein Schauspieler, der an Publikumsunverträglich leidet, wie stark ist noch die Wirkung des Theaters, und wohin will René Pollesch, der ab 2021 Intendant der Volksbühne wird? Jetzt wird sein Stück anhaltend bejubelt und seine Crew ebenfalls. Lustig springt Milan Peschel hin und her. Er hat dieses raffinierte Pollesch-Menü offenkundig besonders genossen und alle daran teilhaben lassen.
Ursula Wiegand
Weitere Termine: 20. und 21. Dezember sowie am 12., 19. und 24. Januar 2020.