Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BERLIN/Deutsches Theater/ Kammerspiele: „ODE“ von Thomas Melle, Uraufführung

21.12.2019 | Theater


Foto: Arno Declair

Berlin, Deutsches Theater, Kammerspiele: „ODE“ von Thomas Melle, Uraufführung, 20.12.2019

Was ist eine Ode? Zum Beispiel Friedrich Schillers „Ode an die Freude“, jubiliert von einem Quartett im Schlusssatz von Beethovens 9. Symphonie und gerne verwendet bei feierlichen Anlässen. Rund um Silvester und Neujahr ertönt Schillers Ode landauf, landab. Kaum jemand kann ihrem unrealistischen Optimismus „alle Menschen werden Brüder“ entgehen und muss sich auch noch „diesen Kuss der ganzen Welt“ auf die Wange drücken lassen.

Die „Ode“, die Thomas Melle dem Deutschen Theater Berlin als Auftragswerk geliefert hat, ist Schillers Gegenpol. Zunächst jedenfalls. Hier wird nicht das Gute herbeigewünscht, sondern Verbrechern Dank gesagt, allerdings nicht ohne Grund.

In der „Ode an die alten Täter“ zollt die staatlich geförderte Professorin Frazer (Katrin Wichmann) im Nachhinein den Nationalsozialisten Lob, weil die ihren Großvater, der ihre Mutter – oder war’s die Großmutter? – vergewaltigt hat, ermordet haben. Es freut Frau Frazer, dass sie aufgrund dessen geboren wurde, doch es ist ihr Trauma geworden.

Vor einigen Zuschauerinnen und Zuschauern auf der Bühne will sie diese unsichtbare Ode feierlich enthüllen, doch vor allem der Kunstfigur Präzisa, bestehend aus Alexander Khuon und Natali Seelig, verschlägt es vor Schrecken und Empörung förmlich die Sprache. Später trägt Khuon eine Totenmaske und Seelig einen riesigen Hut, und sie freut sich, dass sie altersbedingt gar nichts mehr hören oder verstehen kann.

Doch zurück zur Ode, die aber nicht auf einen Gegenstand oder Plakat geschrieben wurde. Deswegen ist rein gar nichts zu sehen, auch wenn einige so tun, als würden sie etwas erkennen.

Thomas Melle, ein mehrfach preisgekrönter Schriftsteller und Dramatiker, nimmt hier wohl Bezug „Auf des Kaisers neue Kleider „ oder „Kunst“ von Yasmina Reza, um daran anknüpfend die Frage nach der Freiheit der Kunst in vielen fein gestrickten und trickreichen Sätzen zwei Stunden lang hin- und her zu wenden, ohne sich selbst genau festzulegen. Gut, dass dem Publikum Stoff zum Nachdenken präsentiert wird.

Auch die Professorin wollte angeblich testen, wie es um die Freiheit der Kunst bestellt ist, doch bald räumt sie ein, dass es ihr eigentlich nur darum ging, das Trauma ihrer Geburt abzuarbeiten. Nur ein böser Witz sollte diese Ode sein, doch das habe niemand kapiert. Sie wird von der Linken attackiert und verliert ihren Job. Das hat sie nicht erwartet, gesteht sie, und geht weg, um sich durch Selbstmord aus dem Weg zu räumen.

Von nun an geht es im Stück jedoch gegen die Rechten, und die finden sich bereits in den eigenen Schauspielerreihen. Regisseurin Lilja Rupprecht hat die bekannte Variante Theater auf dem Theater gewählt und lässt sich vieles einfallen, um Melles Gedankensträngen Bühnenleben einzuhauchen, manchmal Urkomisches, manchmal Erschreckendes.

Dass sich dieses Stück nun nur noch gegen die AfD und ihre Mitläufer/innen richtet, zeigen Fotos an den weißen, aus Stoffteilen gefertigten Bühnenwänden von Anne Ehrlich. Auch werfen sich die Männer immer wieder entweder aus Protest oder Verzweiflung gegen diese Wände, zunächst alle in bunten Strickanzügen (Kostüme Christina Schmitt), später in gängiger Kleidung und die Damen in teils schicken Roben.

Die Zeiten vergehen und mit ihnen die anfänglich vorhandene Freundschaft. Juliana Götze und Jonas Sippel, beide vom integrativen Ramba/Zamba Theater mit seinen behinderten Schauspieler/innen, verkörpern „Die Wehr“, eine offenbar hart rechts gerichtete Gruppierung.

Sippel malt geschwind Nazi-Zeichen mit breitem Pinsel auf die weißen Wände und trägt später stolz eine Deutschlandfahne umher. Videos ähnlichen Inhalts (von Moritz Grewenig) flirren über die Wände.

Der aufgebrachte überagile Manuel Harder als Orlando (entlehnt einem Stück von Virginia Woolf), schrubbt plötzlich im Rüschenkleid und mit Kopftuch den Boden mit sichtlich dreckigem Wasser, das dunkle Streifen hinterlässt. Er will sich in eine Putzfrau mit Migrationshintergrund hineinversetzen und wird für diese Anmaßung von der wieder erstandenen Professoren Katrin Wichmann gerügt.

Also Schluss damit und zurück zur Schauspielerei und zur Nachstellung der Vergewaltigung, der sie ihr Dasein verdankt. „Mach Dich nackig, spreizt die Beine“, kommandiert er. Nein, ganz entkleiden sie sich nicht. Diese Szene, die absichtlich total schief geht, ist die lustigste überhaupt.

Danach steigert sich dieser Orlando, also Manuel Harder, aus Wut über die gesellschaftliche Entwicklung in einem furiosen Alleingang, schreit auch Frust und Empörung ins Publikum. Geschrieen wird oft an diesem Abend, insbesondere von den Männern. Aber tragen sie alle zur Stimmenschonung ausnahmsweise einen Microport oder aus Solidarität mit den beiden aus dem RambaZamba Theater?

Per saldo sind es die großartigen Schauspielerinnen und Schauspieler, die diesem gedankenlastigen und windungsreichen Text Leben einhauchen, die auch mal herumtanzen (Choreografie Jana Rath) oder den angenehm leisen Klängen von Philipp Rohmer am Klavier lauschen.

Doch Melle mit seinem vielfältigen Gedankengebäude, das genaue Festlegungen klug vermeidet, überlässt, so scheint es, das dezidierte Nein zu neuen/alten Bevormundungen lieber den Schauspielerinnen und Schauspielern. Stattdessen wirft er Fragen in den Raum, die vielleicht jeder/jede für sich selbst beantworten soll. Eine gute Übung.

Denn auf der Bühne hinterfragt niemand, ob etwas Kunst, Scharlatanerie oder lediglich Demagogie ist. Und ob Kunst, wenn sie es denn ist, schrankenlos und Menschen beschädigend sein darf. Ist also, wie anfangs geäußert, Badpainting (Schlechtmalen) das Gebot der Stunde, da nur diejenigen schlecht malen können, die vorher gut gemalt haben?

Dezidiert erwünscht – so ein Song – ist jedoch, eine Meinung zu haben und diesen Weg bis zum Ende zu gehen. Okay. Und so setzt sich Alexander Khuon in einem ausführlichen Schlussmonolog nachdrücklich für die Freiheit der Kunst ein. Der folgende Beifall ist stark und anhaltend. Alle haben verstanden, was gemeint ist.

Doch angeregt durch Thomas Melle kommt mir dennoch einiges in den Sinn: Würden diese fabelhaften Schauspieler/innen mit der gleichen Überzeugungskraft Texte mit gegenteiligem Inhalt darbieten, weil es ja ihr Beruf ist? Könnte ja sein, dass das Pendel wieder von rechts nach links schwingt, und die Erfahrung lehrt, dass dann ebenso versucht wird, anderen die eigene Meinung aufzudrücken. Mit Hilfe der (angeblich) sozialen Medien ginge das dann deutlich schneller als früher.

Und wo hat Melle in seinem Stück nach den Gründen für die abhanden gekommene Toleranz nicht nur in Deutschland geforscht? Ist mir da womöglich was entgangen? Bei den Wurzeln müsste doch angesetzt werden, nicht erst bei den Symptomen. Bleibt der Satz von Rosa Luxemburg: „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.“ Die aber haben sie ermordet.

Ursula Wiegand

 

Diese Seite drucken