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BERLIN/ Deutsches Theater/ Kammerspiele: „MEDEA. STIMMEN“ von Christa Wolf

"Medea im Bade"

21.04.2018 | Theater


Edgar Eckert als Jason, Maren Eggert als Medea. Foto Arno Declair

Berlin/ Deutsches Theater, Kammerspiele: „MEDEA. STIMMEN“ von Christa Wolf, 20.04.18

„Medea im Bade“, so ungefähr könnte die Version heißen, die der Regisseur Tilmann Köhler und sein Bühnenbildner Karoly Risz dem Publikum in den Kammerspielen des Deutschen Theaters darbieten. Der Boden in dem fast dunklen Bühnenraum steht unter Wasser, und am Rande steht sie, die Medea – Maren Eggert – eine Kolcherin weit aus dem Osten des damaligen Griechenland.

Nun stürzt sie sich in die Fluten, so wie sich vor Jahren mit dem Argonauten Jason, in den sie sich verliebt und für den sie das Goldene Fließ aus dem Tempel gestohlen hatte. Mit ihm ist sie übers Meer in die Fremde geflüchtet, ins wohlhabende Korinth.

Doch hier ist sie nicht im Wohlstand ertrunken und auch nicht heimisch geworden. Selbst gibt sie zu, dass ihr dieses Land immer fremd bleiben wird. Was nicht verwundert. Die schöne, stolze Königstochter aus der Ferne wurde zwar zunächst bewundert, gilt als Flüchtling und darüber hinaus als Barbarin. Diese Frau mit ihrem Zauber- und Seelenwissen, überdies eine Wahrheitssucherin, wirkt auf die anderen unheimlich und wird für das Korinths Establishment mitsamt König Kreon gefährlich.

Was nun vor unseren Augen abrollt, verläuft, abgesehen vom Wasser, in vieler Hinsicht anders als bisher bekannt. Die renommierte, 2011 verstorbene Ex-DDR-Autorin Christa Wolf, hat nachrecherchiert und sieht Medea als Opfer übelster Verleumdungen. Denn – und da hat Wolf Recht – Männer schreiben die Geschichte. Im vorliegenden Fall war es im 5. Jahrhundert vor Christus Euripides, der Medea als Furie und Kindermörderin abstempelte.  

Christa Wolf aber lässt sie – erst gegen Schluss – sagen: „Was reden sie. Ich, Medea, hätte meine Kinder umgebracht. Ich, Medea, hätte mich an dem ungetreuen Jason rächen wollen. Wer soll das glauben.“ Bisher haben es wohl alle geglaubt.

Und eines fällt bei Wolfs Medea ebenso auf: die ungemein stolze und kluge Medea in Gestalt der großartigen Maren Eggert lässt die sich überlegen wähnenden Korinther oft sehr klein aussehen. Auch die Beziehung zu Jason leidet unter ihrem ständigen Besserwissen.  Allerdings, so sagt sie, habe sie die besten Jahre bereits hinter sich, sei aber immer noch eine wilde Frau. Ja, das ist sie und außerdem eine, die sich als Psychotherapeutin betätigt und böse Geheimnisse lüftet. Bald weiß sie, warum sich die vom Volk sehr geliebte Königin, König Kreons Gattin, ganz zurückgezogen hat und zum Wrack geworden ist. In ihrer Kammer hütet sie die sterblichen Überreste ihrer kleinen Tochter, die zum Wohl des Korinthischen Staates vor Jahren gesteinigt und den Göttern geopfert wurde.

Medea wird aus dem Palast verbannt und in eine Hütte verwiesen. Jason stemmt sich nicht gegen diese Erniedrigung, steht ihr nicht aktiv zur Seite, besucht sie aber zunächst noch regelmäßig, wie sie erzählt. Das körperliche Band zwischen beiden ist noch nicht ganz gerissen, noch immer – wie anfangs gezeigt wurde – begehren sie einander.

Es sind vor allem schlimme Gerüchte, die Medea mehr und mehr als Ungeheuer erscheinen lassen. Sie selbst hätte vor der Abreise aus der Heimat ihren Bruder ermordet, lautet eines. „Alle wissen doch, dass das nicht stimmt“, meint Medea gelassen. Doch dieses Gerücht, angezettelt von ihrer von Hass erfüllten, ehemaligen Schülerin Agameda, macht schnell die Runde.

Mit harter Mimik und Stimme spricht Lisa Hrdina, zum Publikum gewendet, den langen Monolog. Und wenn sie nicht alle gerade durchs Wasser waten, sich hineinwerfen oder darin umherrollen – die Frauen mehr als die Männer – machen es die anderen genau so. Sie wollen wohl, gemäß Christa Wolf, die Zuschauerinnen und Zuschauer frontal von der neuen Sicht auf die Ereignisse überzeugen oder sie ihnen einbläuen. Christa Wolf bedient sich der mal leisen, mal brüllenden Stimmen der anderen, um zu erklären, was für eine Frau diese Medea war. Die gelegentliche Live-Musik zum Geschehen liefert Jörg-Martin Wagner

Allerdings hat sich Medea mit ihrer gnadenlosen Offenheit viele Feinde gemacht. Die stellen sie nun anhand der Gerüchte mehr und mehr an den Pranger. Eifersucht spielt auch eine Rolle. So bei des Königs Chef-Astrologen Akamas, der durch das Mehrwissen von Medea um seinen Einfluss fürchtet, ein Anzugträger (Kostüme: Susanne Uhl, Henrike Huppertsberg), von Helmut Mooshammer überzeugend gespielt.

Doch eine übertrifft schauspielerisch die anderen „Stimmen“: Kathleen Morgeneyer als Kreons psychisch kranke Tochter Glauke. Eine Zarte, Hilflose, die ständig unter epileptischen Anfällen leidet. Derer hat sich Medea ebenfalls angenommen, versucht die Ursache ihrer Krankheit aufzudecken, und das gelingt unter Schmerzen. Wie die Mutter ist sie durch die Opferung ihrer kleinen Schwester schwer traumatisiert.

Medea hat Glauke zum Sprechen gebracht, doch jetzt hasst die ihre „Ärztin“, hat sie die Armselige doch in Jason verliebt. Intensiv bricht das aus ihr heraus. Der will sie tatsächlich heiraten, nicht aus Liebe, sondern um so den Thron von Korinth zu erobern.  

Laut Euripides schickt Medea der Glauke zur Hochzeit ein weißes, aber vergiftetes Kleid, das ihre Haut verbrennt, worauf sie sich in den Brunnen stürzt, vor dem sie sich immer gefürchtet hatte. In Wolfs Hobby-Psychologie löst die Kranke mit diesem Sprung in die Tiefe die eigenen Krankheitsprobleme. Wohl wahr.

Und die Kinder, die von Medea geherzt und geküsst werden? Die sind hier zwei Puppen, geführt von Johanna Kolberg als Lyssa, Medeas Ziehschwester und Gefährtin. Die kleinen Stoff-Jungs sind von Anbeginn zumeist mit auf der Bühne sind, auch schon mal, mehr als deutlich, mit abgeschnitten Köpfen.

Einen Guten gibt es auch: Thorsten Hierse als Leukon. Er, der zweite Astronom, hat keine Ambitionen, als Höfling wie sein Vater Karriere zu machen. Der nimmt die von der Menge gehetzte Medea bei sich auf, doch richtig schützen kann und will er sie nicht. Sein eigenes Leben ist ihm wichtiger, sagt er offen. Nach der Ermordung der Kinder im Tempel, in dem sie Medea vermeintlich in Sicherheit wähnte, will er das Furchtbare beim nächtlichen Blick in die Sterne allmählich vergessen. Christa Wolf vermutet wohl Jason, der eifersüchtig auf Gerüchte über Medeas Untreue reagierte, als den Mörder seiner Kinder.

Per saldo sind es rd. zweieinhalb Stunden, in denen Medea – über das revidierte Sagengeschehen und die Wasserpantschereien hinaus – auch noch über ihre sozialistischen Träume dozieren muss, als deren Anwältin sie sich hoheitsvoll betrachtet. Die anfängliche Spannung lässt dadurch deutlich nach, die Ermordung der Söhne wird fast zum Randereignis. Sie, die Seherin, hat alles schon gewusst.

Außerdem wird sie von Christa Wolf zur Botin einer besseren Gesellschaft hochstilisiert. „Ist eine Welt zu denken, eine Zeit, in die ich passen könnte“, legt die ihrer Medea in den Mund. Doch selbst die fabelhafte Maren Eggert kann mit diesem länglichen Schlusstext kaum überzeugen. Total überzeugend sind jedoch Sprache und Schauspiel aller Beteiligten.

Nächster Termin am 27. April.   

Ursula Wiegand  

 

 

 

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