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BERLIN/ Deutsches Theater/ Kammerspiele: GAUNERSTÜCK von Dea Loher. Uraufführung

17.01.2015 | Theater

Berlin/ Deutsches Theater Kammerspiele:GAUNERSTÜCK“ von Dea Loher, Uraufführung, 16.01.2015

 „Woher, wohin, wofür“? Das sind die Fragen, die Madame Bonafide (Elias Arens) – eine transsexuelle Wahrsagerin mit aufgetürmter Blondhaarperücke und stinkendem Goldfischaquarium – ihren Kunden immer wieder stellt. Damit hat sie auch Maria und ihren Zwillingsbruder Jesus Maria konfrontiert, die sich an diesem Abend in ein Amsterdamer Hotel einquartiert haben und ungeduldig den Morgen ihres künftigen Glücks erwarten.

Das Woher wissen Maria und ihr Zwillingsbruder Jesus Maria ganz genau: aus einer kaputten Familie stammen sie. Der Vater, ein Spanier, haute ab. Die Mutter, eine Büglerin, begann daraufhin zu trinken und zu verloddern. Als eine Nachbarin sie fragte, was ihr denn fehle, hätte sie, so Maria, über den ganzen Hof gebrüllt: „Liebe tut mir fehlen.“

Die aber hat ihren Kindern offensichtlich auch gefehlt. Irgendwann sind sie entnervt aus dem heimischen Chaos geflüchtet, sehen ihre Mutter erst auf dem Totenbett wieder und haben ein schlechtes Gewissen, sie allein gelassen zu haben.

Denn sie wollten endlich für sich selbst ein „superglückliches Leben“. Das jedenfalls hat Jesus Maria (der seinen Namen dem erschreckten Ausruf des Vaters bei seiner unerwarteten Mitgeburt verdankt) der Schwester versprochen.

Wem bitte? Denn die Zwillinge gibt es von Beginn an im Doppelpack, gespielt von Judith Hofmann (vom DT) und Fania Sorel (als Gast) sowie von Hans Löw und dem Niederländer Miquel de Jong. Eine Verdoppelung wohl als Folge der Koproduktion des DT mit dem Rotterdamer Ro-Theater.

Regisseurin Alize Zandwijk kann jedoch aus dieser Verzweifachung kaum Funken schlagen. Zwar agieren die Vier so lebhaft wie möglich, fallen und rollen öfter ohne Rücksicht auf blaue Flecke über den harten Bühnenboden. Bei den fitten Männern wird’s fast zum Zweikampf. Mitunter ziehen sie blütenweiße (!) Bettlaken aus der Waschmaschine und knallen sie peitschenhiebartig auf den Boden, stürzen sich dann erschöpft auf ihre befleckten Matratzen. Eine Choreographie (auch von Miquel de Jong) der Erbärmlichkeit und Wut.

Das aber hat man/frau schon öfter gesehen, diese Reaktion auf Langeweile und Aussichtslosigkeit. Zu gering ist der Stundenlohn in den Billigrestaurants, in denen beide Marias jobben. Die Bengels haben sich eher auf kleine Überfälle in Juwelierläden verlegt. Da wundert es schon, dass die Autorin Dea Loher dem Hans Löw oft küchenphilosophische Sprüche in den Mund legt.

Eigentlich mag ich ihre Texte, ihre oft besondere Wortwahl mit der Verbindung vom Imaginären zum Alltagsleben. Doch dieses Stück, verortet in den derzeit gern gezeigten „prekären Wohnverhältnissen“ ist ein fein gefertigter „Papiertiger“. Die Dialoge greifen zwar die für solche Menschen typisch triste Gegenwart auf, bleiben jedoch erstaunlich blass.

Vor allem deshalb, weil die Protagonisten alles nur wortreich schildern, ein Draußen gibt es nicht. Alle strampeln sich in einem großen, hässlich grünen Raum mit abblätternder Tapete ab. Porno-Otto (Beppe Costa), der ebensolche Filme dreht, wohnt eigentlich einen Stock höher, sitzt hier aber am Boden und macht zu den einzelnen Szenen mit Gesang und Gitarre eine allerdings durchaus ansprechende spanische Musik.

Nur Herr Wunder, der reiche Juwelier mit krankhaften Körperzuckungen – ebenfalls von Elias Arens dargeboten – bringt etwas Realität ins Geschehen. Bei ihm klaut die DT-Maria, nun im Simpel-Glitzerjäckchen (Bühne und Kostüme Thomas Rupert), einen kostbaren Ring, später trägt den ihr Double.

Bei einer Zufallsbegegnung im Restaurant sackt ihr fast das Herz ins Höschen, doch Herr Wunder, in Begleitung einer Rennstallbesitzerin, ist sonderbarerweise weder verwundert, noch ruft er die Polizei. Stattdessen engagiert er die Truppe für ein Gaunerstück, einen Versicherungsbetrug.

Die Zwillinge (= Vierlinge) sollen einen Überfall vortäuschen, ihn fesseln, aus seinem Laden die wertvollsten Stücke entwenden und davonrennen. Lohn für jeden 25.000 Euro. Die Polizei werde ihn dann befreien und die Versicherung den Schaden von mehreren Millionen Euro begleichen. Den Schmuck sollten sie ihm nach einiger Zeit zurückgeben.

Doch wie Bonafide zuvor gewahrsagt hat, geschieht ein Unglück. Der Juwelier stirbt nach dem Überfall an einem Herzinfarkt, für die Vier eine Schreckensnachricht. Denn die sind bei Dea Loher irgendwie doch gute Menschen. Daher dürfen Sie sich sogar damit trösten, dass die Geliebte oder Gattin des Juweliers durch festes Verkleben seiner Lippen den Infarkt indirekt verursacht hat. Eine unglaubwürdige Lösung.

Nun also sitzen die Vier, siehe oben, in dem Amsterdamer Hotel und wollen mit der Beute in ein neues Leben starten. Wie sagte doch Madame Bonafide: „Raus aus dem Aquarium und Vogel werden – is schwierig.“

Beim Stück insgesamt bleibt nach 2 pausenlosen Stunden die Frage: „Woher, wohin, wofür“?  

  Ursula Wiegand –

Weitere Termine unter www.deutschestheater.de

 

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