Berlin/ Deutsches Theater: „DIE FRAU VOM MEER“ von Henrik Ibsen, Premiere 26.11.14
Susanne Wolff als Frau vom Meer. Foto: Arno Declair
Vier junge Leute tanzen wild vor dem Fernseher. Die haben sicherlich keine Disco in dem kleinen Ort am Fjord im Schatten hoher Berge (Musik Michael Verhovec). Ein Ort mit kurzen hellen Sommern und langen dunklen Wintern.
Henrik Ibsen, der Autor – in Skien am Telemark-Kanal geboren – wusste, wovon er sprach. Vielleicht hatte auch er die Sehnsucht nach dem offenen Meer, die nach seinen Worten in uns allen steckt, da wir bekanntlich aus dem Meer stammen. Seine Stücke schrieb er jedoch zumeist im sonnenreichen Italien und übersiedelte 1875 nach München.-
Eine solche Initiative ergreifen die Personen im Stück „Die Frau vom Meer“ nicht, wagen sich nicht aus ihrer trostlosen Abgeschiedenheit. Stattdessen arrangieren die beiden Töchter Bolette und Hilde Liliensträuße und Kerzen auf der dunklen Bühne (Katja Haß) und trauern zum x-ten Mal um ihre verstorbene Mutter.
Wie soll Ellida, die zweite Frau des Landarztes Dr. Wangel, hier heimisch werden? Mehrere Male lässt Regisseur Stephan Kimmig einzelne Darsteller, die auf Zeit dort leben, das Wort „akklimatisieren“ sprechen. Sie stottern, es gelingt ihnen ebenso wenig wie das Eingewöhnen in diese Gegend.
Ellida, Tochter eines Leuchtturmwärters, vermisst hier vor allem die Weite des offenen Wassers, macht sich jeden Tag auf, um im Meer zu schwimmen und agiert zumeist im nassen T-Shirt überm Bikini (Kostüme: Anja Rabes). Sie wagt dort den Kampf mit den Elementen und gleichzeitig das Eintauchen in ihre Erinnerungen, die zu Traumata geworden sind.
In ihrer Jugend hatte sie sich in einen Seemann verliebt, mit ihm ständig über Möwen und Robben gesprochen und ihm die Treue gelobt. Ihre Ringe haben sie aneinandergekettet ins Meer geworfen.
Doch dann ging er weg und ist vor drei Jahren mit seinem Schiff im Fjord untergegangen. Zu einer Zeit, als Ellida gerade schwanger war. Da ist er aus ihrer Erinnerung wieder übermächtig hervorgetreten, das fast Vergessene hat sie wieder beherrscht. Der kleine Junge, der bald nach der Geburt starb, hätte des Seemanns Augen gehabt, „beichtet“ sie später ihrem Mann.
Susanne Wolff spielt, nein ist, diese Ellida zwischen Traumwelt und Realität, erscheint mal ganz entspannt und heiter lächelnd, um dann wieder völlig verstört zu wirken. Mit wirrem Haar hockt sie auch mal zusammengekauert am Boden und stößt spitze Schreie wie eine gestrandete Möwe aus.
Ihr Mann – Steven Scharf – ruft sie in die Wirklichkeit zurück. Schon länger gibt er ihr Medikamente zur Beruhigung, doch ohne Erfolg. Schließlich rastet er selbst aus, bekommt eine Verzweiflungsattacke gegenüber dem zur Hilfe gerufenen Ex-Lehrer Arnholm (Michael Goldberg). Auch er scheint schon mental geschädigt.
Der viel beschäftigte Dorfarzt, der sich kaum um seine Familie kümmert, weiß offenbar weder ihr und auch nicht sich selbst zu helfen, bezeichnet Ellida als fürchterlich und dennoch als anziehend. Trotz ihrer Krankheit oder gerade deshalb. Diskussionen über ihre Ehe bringen nichts, sie liebt ihn „gewissermaßen“. Er will sogar mit ihr ans Meer ziehen, damit sie gesundet, doch sie möchte ihn nicht aus seinem Umfeld reißen. Sagt sie jedenfalls.
Zuviel Rücksichtnahme auf die Gefühle der anderen oder die Furcht, aus der Enge auszubrechen und ein selbstbestimmtes Leben zu wagen? Öfter fällt hier das Wort „Angst“.
Die zarte Tochter Bolette – Franziska Machens – immer mit leicht eingezogenen Schultern gehend, will angeblich den Vater nicht allein lassen, gibt aber zu, dass sie Angst vor einer ungewissen Zukunft hat. Sogar vor den Küssen des jungen Lyngstrand – Benjamin Lillie weicht sie zunächst zurück.
Als einziger hat er vor 3 Jahren das Schiffunglück überlebt, aber mit lädiertem Herzen. Von Dr. Wangel erhofft er sich die (unwahrscheinliche) Verbesserung seines Zustands, will dann in den Süden ziehen, dort ganz gesunden und Bildhauer werden. Bolette soll währenddessen immer an ihn denken, verlangt er, presst ihr förmlich diese Zusage ab.
Später wird er ungerührt feststellen, dass sie, wenn er als erfolgreicher Künstler zurückkommt, für ihn zu alt wäre und bandelt unter der Dusche (statt am Meer) bereits mit ihrer lustigen jüngeren Schwester Hilde an. Lisa Hrdina (25) ist tatsächlich ein erfrischend munteres Girl in diesem tristen Rahmen.
Der herbeigerufene Lehrer Arnold erkennt sofort die missliche Situation, in der alle mehr oder minder stecken, und versucht sie auf seine Art zu nutzen. Erst will er (wieder?) vergeblich bei Ellida landen, dann macht er sich an Bolette heran, bietet ihr die Heirat und ein neues Leben an. Ein viel zu alter Mann für dieses junge Mädchen, das aber eh keinen Mut hat, diesen Strohhalm zu ergreifen. Und der junge Ballested – Timo Weisschnur – der ein imaginäres Publikum in mehreren Sprachen zur Sommerparty am Hafen einlädt, ist auch nicht akklima, akklimati…….
Noch einmal erscheint der tote Seemann wie ein Wiedergänger und fordert: „Komm, Ellida, komm.“ Mit einer Pudelmütze auf dem Kopf schlüpft Steven Scharf kurz und glaubhaft in diese Rolle. Erschreckt ruft sie „Wangel, Wangel,“ ihren Ehemann.
Zuletzt sehen wir das Ehepaar beim Dinner, die Schwimmerin Ellida nun im eleganten roten Kleid, er im feinen Anzug beim Abschiedsdinner mit nochmaliger Aussprache. Susanne Wolff gibt die Ellida jetzt souverän als eine, die ihr Trauma erkannt und die Vergangenheit bewältigt hat. Auch er – Steven Scharf – ist nun humorig, ruhig und charmant, überdies auch Weißbrot kauend und Suppe löffelnd. Hat nun auch er seine Trauerarbeit geleistet? Täuscht er Normalität nur vor? Er wirbt noch einmal um sie, gibt sie dann aber frei. Ellida geht tatsächlich, ohne zu zögern. Wohin? Ins Meer zu ihrem toten Geliebten? – Ein nachdenklich machender Ibsen-Abend. Sind das alles vergangene Probleme? Keineswegs.
Zuletzt kräftiger Beifall für alle, auch für das Regie-Team. Ursula Wiegand