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BERLIN/ Deutsches Theater: DER ZERBROCHNE KRUG von Heinrich von Kleist

07.07.2022 | Theater

Berlin/ Deutsches Theater: „DER ZERBROCHNE KRUG“ am 6.7.2022

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Tamer Tahan, Ulrich Matthes, Jeremy Mockridge, Lorena Handschin. Foto: Arno Declair

„In der Kürze liegt die Würze“, lautet ein altes Sprichwort, und das gilt auch fürs Theater. Sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, ist eigentlich immer richtig, aber dieses dann überzeugend darzubieten, ist eine weitere Kunst.

Die beherrscht beispielsweise die Regisseurin Anne Lenk, die am Deutschen Theater Berlin – gemeinsam mit dem Dramaturgen David Heiligers – Heinrich von Kleists Komödie „Der zerbrochne Krug“ revitalisiert hat. Aber wie! Das hat sich sofort herumgesprochen, auch die Kritiker/innen spendeten großes Lob. Monatelang war das Stück ausverkauft.

Der „Dichterfürst“ Wolfgang von Goethe hatte das Stück, damals mit allen 13 Auftritten, 1808 in Weimar uraufgeführt, und es wurde ein großer Erfolg. Nun reichen pausenlose 90 Minuten, um das Publikum zum Lachen zu bringen und zum Nachdenken anzuregen. Denn der Dorfrichter Adam, der sein Standing – angereichert mit Lug und Trug – ausnutzt, um ein junges Mädchen gefügig zu machen, ist leider keine Figur von gestern.

Ulrich Matthes spielt den mit soviel charmanter Raffinesse, dass alle im Saal  ihre Augen und Ohren weit öffnen, zumal er und alle anderen Kleists edles Deutsch bestens sprechen. Am Deutschen Theater Berlin ist das selbstverständlich.

Vor einem leuchtend bunten Bühnenbild (von Judith Oswald) – quasi Rembrandt-Genussfülle in leuchtenden Tropenfarben – sind zuerst der Dorfrichter Adam im rötlichen Unterhemd (Kostüme: Sybille Wallum) mit zerschrammten Beinahe-Glatzkopf und einem dick umwickelten Fuß zu sehen.

Seine Richter-Perücke ist auch unauffindbar. Dem Mann muss nächsten was passiert sein, ahnt sofort der Schreiber Licht (Jeremy Mockridge!) Der Richter verweist auf einen Sturz beim Aufstehen aus dem Bett, während der Schreiber den Besuch von Gerichtsrat Walter ankündigt.

Den spielt hier Lorena Handschin, eine schicke, angebliche schwangere junge Frau, an die Dorfrichter Adam gerne sehr nahe heranrückt. Eine großartige Regie-Idee, die pfiffig darlegt, wie sehr sich dieser Mann der Gerichtsrätin überlegen fühlt und meint, sie mit den unmöglichsten Ausreden überzeugen zu können. Ist das ferne Vergangenheit? Wohl nicht.

Bewundernswert ist andererseits, welche eine Fülle von unglaublichen Ausreden Kleist eingefallen ist und wie blitzartig sie nun Ullrich Matthes in die Waagschale wirft. Auch verweist er dreist darauf, dass im Dorf Huisum seit langem die Gerichtstätigkeit auf traditionelle Weise ausgeübt wird.

Inzwischen sitzen alle Beteiligten vor dem farbenprächtigen Vorhang auf Stühlen, als säßen sie bereits allesamt vor Gericht. Das genügt, um die Aufmerksamkeit des Publikums ohne Hin und Her aufrecht zu erhalten. Einige Musiktakte von Lenny Mockridge tragen ebenfalls dazu bei.

Lisa Hrdina als geschwätzige Frau Marthe Rull ist mit dem zerbrochenen Krug und mit ihrer verstockt wirkenden Tochter Eve (Lisa Hrdina!) gekommen. Ihr geht es zunächst hauptsächlich um diesen geschichtsträchtigen Krug, der nun in Scherben liegt. Lisa Hrdina macht daraus eine imponierende Schau.

Darüber hinaus geht es ihr um die Ehre ihrer Tochter, und dieses Mädel kann einem unter der Fuchtel dieser Frau nur leid tun. Jedenfalls hat ihr temperamentvoller Verlobter Ruprecht Tümpel (Tamer Tahan!) einen Konkurrenten in ihrem dunklen Zimmer beinahe erwischt, der gerade noch -nach zwei Hieben von Ruprecht auf den Kopf – aus dem Fenster springen konnte. Richter Adam und auch die Mutter von Eve lenken den Verdacht auf Ruprecht. Den mag sie offensichtlich nicht leiden.

Dann wird der Verdacht auf den Flickschuster gelenkt, doch der war zu dieser Zeit gar nicht im Dorf. Richter Adam schlägt einen Vergleich vor, doch die schöne Gerichtsrätin beharrt auf die Fortsetzung des Verfahrens. Sie weiß schon, wer vor Ruprecht die junge Eve in ihrem Zimmer belästigt haben muss.

Richter Adam fühlt sich dennoch sicher und überlegen, holt eine Flasche Wein und gießt auch der Gerichtsrätin ein Glas nach dem anderen ein, das sie aber, ohne dass es der weinselige Adam bemerkt, gleich auf den Boden schüttet oder an Frau Marthe weiterreicht. „Sie machen mich glücklich“, strahlt Ulrich Matthes alias Richter Adam seine schöne Sitznachbarin an.

Die aber lässt eine Zeugin herbeirufen, Frau Brigitte (Julia Windischbauer), die nächtens im Schnee angeblich Teufelsspuren gefunden hat, die am Haus des Dorfrichters endeten. „Das ist eine Angelegenheit für die Kirche“, kontert der Richter sofort.

Zuletzt hat Lisa Hrdina als Eve, die von Ruprecht schon als Hure beschimpft worden wurde, ihr besonderes coming out. Zu Kleists Zeiten wohl ein echtes Wagnis und heutzutage mancherorts nach wie vor. Sie hat ihren Ruprecht vor der angedrohten Entsendung als Soldat nach Ostindien retten wollen und war widerwillig zu jeder Gabe bereit.

Ihr Mut steigt von Satz zu Satz. Dorfrichter Adam, der Ruprecht dennoch verurteilt, muss kurz darauf abtreten. Ruprecht schließt Eve in die Arme, auch die Mutter muss sich nun mit diesem treuen Schwiegersohn abfinden.

Wie es im Urtext mit dem Krug-Gerangel weitergeht, wird hier richtigerweise weggespart. Denn alle Interpreten/innen haben das Publikum mit ihrem Können niveauvoll glücklich gemacht. Der anhaltend kräftige Schlussbeifall beweist es.

Daher freut es zu erwähnen, dass Der zerbrochne Krug noch einmal am 8. Juli, gespielt wird, aber nach den Theaterferien ab 27. August 2022 wieder seine Runde machen wird. 

Ursula Wiegand

 

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