Milan Peschel. Copyright: Arno Declair/ arno@iworld.de
Berlin/ Deutsches Theater: DER HAUPTMANN VON KÖPENICK von Carl Zuckmayer in einer Bearbeitung von Armin Petras, Premiere, 21.12.2017
Arbeiten will er, unbedingt, der 46jährige, gerade nach langer Haft aus der Strafanstalt Plötzensee entlassene Schuster Wilhelm Vogt. Im Knast gelandet ist er eigentlich nur, weil er krumme Wege gegangen ist, um eine Aufenthaltsgenehmigung und einen Pass zu bekommen. Beides braucht er, um im militärisch und bürokratisch geführten, damaligen law-and-order-Berlin arbeiten zu dürfen oder ausreisen zu können. Seine ersten Erfahrungen mit preußischer Strenge mitsamt Gefängnisaufenthalt machte er schon als Jugendlicher bei einer Rangelei nach einem Fußballspiel bei Hansa Rostock. So die heutige Variante.
Als Carl Zuckmayer dieses Stück schrieb, gab es den genannten Club noch gar nicht. Dieser Einschub und andere – hinzugefügt vom Theaterregisseur Armin Petras – modernisieren das bekannte Stück ein bisschen, öffnen die Augen und Ohren, die jedoch ohnehin die nahe liegenden Vergleiche mit der Gegenwart ziehen.
1931 wurde „Der Hauptmann von Köpenick“ am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt und von den Nazis alsbald verboten. Dieser Schuster, der laut Zuckmayer mit Recht und Ordnung schicksalsbedingt auf dem Kriegsfuß stand und beides einer traurigen Lächerlichkeit preisgab, passte partout nicht ins Dritte Reich.
In der jetzigen Inszenierung von Jan Bosse, wieder am Deutschen Theater Berlin, darf dieser Schuster – Milan Peschel – zunächst durchaus arbeiten, muss er doch anfangs die offenbar recht schweren Kulissen auf die Bühne zerren und schieben: Mietshäuser und schicke glasverspiegelten Hochbauten (Bühne: Stéphane Laimé), auf die später sein Gesicht per Video (und Live-Kamera von Jan Speckenbach) gestreamt wird. Seine beredte Mimik und der Blick seiner flinken Augen sprechen Bände.
Der hagere Milan Peschel, dem der ärmliche Anzug um den schmalen Körper schlottert, passt schon figürlich genau in diese Rolle. Seine Enttäuschungen, seine Wut und die wenigen heiteren Lebensmomente lassen sich auf seinem Gesicht und in seiner Gestik ohne Worte verstehen. Per saldo zeigt sich Peschel als ein sehr gegenwärtiger und überzeugender Nachfolger von Heinz Rühmanns und Harald Juhnke in dieser Paraderolle. Glück hat er außerdem: als einziger muss er sich nicht wie die meisten anderen in einen Fettsuit zwängen, was das Stück mitunter in den Slapstick-Bereich schiebt.
Milan Peschel und Martin Otting. Copyright: Arno Declair/ arno@iworld.de
Als Kulissenschieber ruft er einen Helfer herbei, einen sonderbaren, schmierigen Typen – Martin Otting – dem das schwarze Haar ungepflegt um den Kopf hängt. Er verkörpert, wie die anderen, mehrere unterschiedliche Rollen und agiert als Willy, Kellner, Kilian usw.
Wilhelm Vogt wird beim Garde-Hauptmann von Schlettow vorstellig, der gerade die Uniform anprobiert, die er beim renommierten Potsdamer Schneider Adolf Wormser bestellt hatte. Die ähnelt einem Glitzer-Outfit aus irgendeiner Revue (Kostüme Kathrin Plath). Wie ein Gockel stolziert er – Timo Weisschnur – umher. Ja, ja – in einer solchen Uniform ist man wer, schwärmt der Schneider, dargestellt von der bekannten Theaterschauspielerin Steffi Kühnert, die auch zahlreichen Filmen (wie „Halt auf freier Strecke“) ihrem Stempel aufgedrückt hat. Die spricht ganz nebenbei – ebenfalls Zutaten – über ihre Schauspielkarriere zusammen mit berühmten Kollegen, danach auch über die Eigentumswohnung im Bezirk Prenzlauer Berg, in der sie zur Miete wohnt und die sie in 7 Jahren verlassen muss. So ist es, das gentrifizierte Berlin von heute.
Später gibt sie u.a. den Gefängnisdirektor, der die Insassen zu Soldaten- und Schlachtspielen antreten lässt. Wilhelm Vogt tut sich dabei als besonders gelehriger Militär-Schüler hervor. In schwarz-weiß-gestreifter Kluft sind sie nun alle wieder beieinander, auch die, die zuvor ganz andere Rollen innehatten, wie Felix Goeser, der als überheblicher Gardegrenadier im Puff randalierte und außerdem die Herren Obermüller und Friedrich Hoprecht spielt, letzterer der herzensgute Ehemann von Vogts Schwester Maria = Katrin Wichmann, die wiederum anfangs als zweifelhaftes Revuegirl (Musik Arno Kraehahn) und Frau Obermüller zu erleben war. Im Wechselmodus befindet sich außerdem Lisa Hrdina, u.a. als Fanny und als krankes, von Vogt getröstetes Mädchen, das schließlich stirbt. Gut besetzt mit Božidar Kocevski sind die Rollen als (hier nicht) behinderter, geflissentlicher Uniform-Zuschneider und als Vogts ebenfalls arbeitsloser Freund Kalle, der ihm den Tipp gegeben hat, ins Potsdamer Polizeirevier einzubrechen, um die Kasse und einen Pass zu klauen. Schon sehr lustig, wie er aufzählt, was für diverse Pässe und Stempel dort unverschlossen herumliegen.
Der Coup misslingt, 10 Jahr Gefängnis sind der Lohn. Also zurück zur Schlacht – und Soldatenspielerei im Gefängnis. Die hat bekanntlich Folgen. Wieder entlassen und weiterhin ohne Papiere borgt sich Wilhelm Vogt beim Trödler (Martin Otting) ein Karnevalskostüm aus, angeblich den schäbig gewordenen Glitzeranzug, hier aber einen langen silbrigen Mantel. Und nun stehen alle stramm, die ihn vorher schikaniert haben, packen als brave Befehlsempfänger das Geld aus der Köpenicker Rathaus-Kasse in Vogts Stofftasche und hauen auf Vogts Befehl danach ab. Übrigens eine wahre Gegebenheit im Jahr 1906.
Vogt will die Moneten aber gar nicht behalten, der stellt sich und möchte nur einen Pass. Das rührt den (weiblichen) Gefängniswärter, doch zuvor der heutzutage übliche Fragenkatalog, mit dem er schon mehrmals konfrontiert wurde: Welches ist Ihr schönstes Kindheitserlebnis, welches ist ihr Lieblingsbuch, Ihr Lieblingsfilm, mit wem möchten sie gerne tauschen usw.. Wilhelm Vogt weiß auf diese dümmlichen Fragen nach wie vor keine Antwort, sein Schicksal bleibt in dieser Inszenierung offen.
Das Publikum aber weiß es nach dieser pausenlosen, 2 ½-stündigen Vorstellung genau: Diese neue Version von Zuckmayers „Der Hauptmann in Köpenick“ ist dem Deutschen Theater Berlin – vor allem dank Milan Peschel – sehr gut und nachdenkenswert gelungen.
Ursula Wiegand
Weitere Termine: 22., 26. und 31. Dezember