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BERLIN/DEutscheOper: DER RING DES NIBELUNGEN – Komplettdurchlauf – der dritte von drei

11.01.2022 | Oper international

Berlin: „DER RING DES NIBELUNGEN“ – Komplettdurchlauf (der dritte von drei) an der Deutschen Oper, 04. bis 09. 01.2022

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Für GMD Sir Donald Runnicles und das wahrhaft perfekte agierende Orchester der Deutschen Oper Berlin, das auch in allen Ausbrüchen immer Transparenz wahrte und Sängerinnen und Sänger perfekt trug, gab es tosenden Applaus. Foto: Petra und Helmut Huber

Viel wurde diskutiert um des künftigen Theater-an-der-Wien-Intendanten Stefan Herheims Umsetzung der Tetralogie für Berlin. Der Tonfall der Berichte und Besprechungen, egal ob professionellerseits wie von (höchst erfahrenen) Opernliebhaberinnen und Opernfreunden lag meist im Bereich von Verärgerung bis Spott. Uns ist (via online-Merker) nur eine einzige durchgängig positive Stimme seitens des deutschen Feuilletons untergekommen.

Diese Ablehnungsfront war mit auch Gegenstand des Interviews von Katharina Menhofer im „Intermezzo“ mit dem Regisseur vom 25. 12. 2021 auf Ö1. Er führte dabei ins Treffen, durch coronabedingte Pausen und Abänderung der Premierenfolge sei der gestalterische Zusammenhang verloren gegangen und würde sich dieser bei einer korrekt raschen Aufführungsfolge herstellen und dann auch Verständnis und Beifall finden. Was auch in dem Interview auffiel: Herheim antwortete auf die Frage nach persönlichen Bindungen, daß er, nach einigen gescheiterten Beziehungen, nur mehr mit dem Theater verheiratet sei. Das ist sicher ein Pluspunkt im Sinne von Publikum und Theaterbetreiber vermittels Herheims möglicher Tendenz zur Selbstausbeutung, seiner rastlosen Arbeit als Intendant – aber wie sich das auf seine Regiearbeiten auswirken mag…?

Nachdem wir schon zweimal coronabedingt am Versuch, den vielversprechenden Ring unter Philippe Auguin, Regie und Gestaltungsleitung Chen Shi-Zheng in Brisbane zu sehen, gescheitert sind (neuer Termin Dezember 2023), war Berlin natürlich willkommener Strohhalm, oder eigentlich: solides Balsafloß für uns seit Mai 2019 Ringlose. Über das Internetportal des Hauses an Karten zu kommen war allerdings harte Arbeit und ein Geduldspiel – Beleg für die hohe Nachfrage. Rezent natürlich die Beunruhigung durch erneut steigende Infektionszahlen und omikron. Der inzwischen in Deutschland geltenden 2G+-Regelung konnte allerdings einfach entsprochen werden, da eine der vielen Corona-Teststationen in Berlin im Foyer der Deutschen Oper eingerichtet ist. Einige Sitze im Auditorium blieben allerdings frei – und diese, die überwiegend ausländischen Gruppen, die nicht anreisen konnten, zuzuordnen waren, wurden dann erneut in den Verkauf gegeben und sorgten bei der Götterdämmerung für ein 99,9 % volles Haus.

 

DAS RHEINGOLD (04. 01.)

Kaltes grelles Licht auf den leeren Bühnenraum von oben killt jegliche Mystik, jeden Zauber eines Anfangs, um die sich Dirigent und Orchester doch so wunderbar bemühen, und beleuchtet ein langsam von links einwanderndes Statistenheer mit unauffällig eingestreuten Protagonisten, alle mit alten Koffern in der Hand.  Bevor sich die Rheintöchter (glockenhell, präzise: Valeriia Savinskaia, die eingesprungene Wellgunde Irene Roberts, Karis Tucker) aus der Masse schälen, wird noch von rechts her ein großer schwarzer Konzertflügel hereingerollt.

Zunächst scheinen die (zusätzlichen) Personen ohne ersichtlichen Zweck – erst als sie später gemäß uralter Theatertechnik mit Köpfen unter einem blau-grün-weiß beleuchteten Tuch Rheinwellen machen, erhalten sie wenigstens einen begreifbaren, jedoch recht ephemeren Sinn. Das Tuch, an vielen Hängeschnüren, mit Projektionstechnik kombiniert, kann auch ein eindrucksvolles Gebirge mit schneebedeckten Gipfeln und grünen Almen darstellen, andererseits ein düsteres Nibelheim – und einmal schweben auch Schatten-Rheintöchter vorbei. Nach Donners großem Hammerwurf (Joel Allison hat sich zuvor, beim Streit um Freia, mehr mit Pístolen beschäftigt) weit nach hinten ins Tuch erscheint zwar ein schöner Regenbogeneffekt, aber die Götter laufen über keine Brücke, sondern versinken im Klavier in der Bühnenmitte bzw. beim Souffleurkasten.

Coronabedingte Besetzungsänderungen gab es anscheinend nur am ersten Abend: neben der Wellgunde sang der aus Stuttgart herbeigeeilte Matthias Klink Loge vom linken Proszenium aus, als Akteurin dieser Rolle war die Regieassistentin Constanze Weidknecht zu sehen – ihr Aussehen als Kreuzung Mephisto (Gustav Gründgens!) mit Micky Maus angelegt, gelungen maliziös-expressiv. Weitere Einspringerin war die gute, dunkeltimbrierte Erda Beth Taylor, kostümiert wenig mystisch als plissiertes 50er-Jahre-Hausmütterchen. Sie entsteigt dem Souffleurkasten und bringt ihr Regiebuch mit, in dem alle Hauptfiguren an den vier Abenden ab nun immer wieder nachblättern, was denn wird…

Alberich (Markus Brück), in böser Clownsmaske Marke Batman-„Joker“ (weiland Heath Ledger) verfügt schon im Umgang mit den Rheintöchtern über den orange leuchtenden Machtring. Wird der nicht erst später, auf Anregung der „Nicker“, von Mime hergestellt? Und: warum bringt Alberich als Teil des Kofferträgerzuges eigentlich das Rheingold in Form eines LED-erleuchteten Flügelhorns selbst mit auf die Bühne? Stimmlich und in seiner Bühnenpräsenz hingegen wirft er keine Fragen auf – ein sehr guter Widerpart von Wotan.

Auf den Bergwiesen bei Walhall sind nun auch die Kofferträger angelangt und entkleiden sich. Warum? Wohl vor allem, um uns erstmals den labbrig-ausgewaschenen Feinripp zu zeigen, der uns durch die ganze Tetralogie begleiten wird. Während der Götterdiskussion um die Bezahlung der Burg halten die Statistinnen und Statisten Sexorgien ab – bar jeder Erotik und (für uns erkennbarer) szenischer Sinnhaftigkeit; auch die Götter beteiligen sich.

Der große schwarze Flügel als Metapher des arbeitsmäßigen Ursprunges der Wagnerschen Werke ist insoweit verständlich – aber daß er deswegen die ganzen 16 Stunden da stehen muß (erst in der „Dämmerung“ darf er manchmal ein bissl nach rechts, ein bissl nach links ausweichen), daß deswegen die meisten Auf- oder Abtritte durch ein darin verborgenes Hubpodium erfolgen müssen? Manchmal erfolgen diese, wie sonst üblich, über Seiten- oder Hinterbühne – das jeweilige Wann und Wo offenbart uns kein logisches oder mythenbezogenes Muster. Oft setzen sich auch Protagonisten oder Protagonistinnen an die Tasten, wie um sich die aus dem Graben rauschenden Klänge anzueignen oder die Handlungen anderer Figuren anzutreiben. Um sehr Vieles wächst damit die Daseinsberechtigung dieses Instruments immer noch nicht

Die Nibelungen kommen auch in personis auf die Bühne, alle in wehrmachtsartigen Uniformen, Hitlergruß: irgend ein historischer Bezugspunkt oder weil bei einem heutigen Wagner einfach immer Nazis vorkommen „müssen“!? Sie sehen jedenfalls nicht nach unterdrückter Sklavenschar aus… Es wäre wenigstens eine gewisse Rechtfertigung gewesen, würden dieselben Gestalten etwa beim Zusammenbruch Walhallas nochmals auftauchen – das aber wird nicht der Fall sein.

Sehr gute stimmliche Leistungen Wotan (Derek Welton) und Annika Schlicht als Fricka, einigermaßen witzig der ebenso in bester Stimmverfassung stehende Mime im Wagnerlook (Ya-Chung Huang). Gute Riesen (Andrew Harris ist Fasolt, Tobias Kehrer Fafner), eindrucksvoll dahinter ihre „Groß-Ichs“ als kantige, bewegliche (sogar lippensynchrone) Koffermonster. Auch Attilio Glaser macht als Froh seine Sache gut.

Schlußbild: aus dem Tuch formt sich die Weltesche, das Klavier als Baumscheibe, die auch aus der Hand Wotans Nothung aufnimmt – schon logischer die intrauterinen Zwillingsfoeten, die in das Geäst projiziert werden…

In den Applaus für die sängerische „Originalbesetzung“ sowie Dirigent und Orchester mischen sich einige Buh-Rufe für die Statisterie… falsche Adresse, sagen wir.

 

DIE WALKÜRE (05. 01.)

Natürlich erneut SEHR viele alte Koffer – nun zum burgartigen Gemäuer getürmt, in der Mitte das Klavier, mit untergestellten weiteren Koffern, um den Hubmechanismus zu maskieren. Ein wolfsähnlicher Hund entsteigt dem Souffleurkasten, umrundet das Klavier und verschwindet zur Hinterbühne.

Während die Ouvertüre jagt, drängt und schiebt, weht ein Schneesturm zur Türe herein. Sieglinde scheint vor Hunding flüchten zu wollen, sie packt – einen Koffer: erstmals also seit Anfang des „Rheingold“ so ein Behältnis in dramaturgisch plausibler Funktion. Ein etwas verhaltensauffälliger (no na, bei dem Vater…) Sohn ist auch da. Er wird für den Rest des 1. Aktes immer wieder die Interaktionen des Wälsungenpaares recht aufdringlich stören – weniger relevant für die Handlung als für die jeweilige Zuwendung der Gesangstexte der Zwillinge. Daher ist es nachgerade, hm, verständlich, daß ihm Sieglinde – im Rausche des blühenden Wälsungenblutes – die Kehle durchschneidet. Der Regisseur hielt die Einführung dieses „Hundinglings“ samt Mordes für nötig, da „Sieglindes Selbstvorwürfe und Schuldgefühle letztlich wegen ihrer erzwungenen Heirat mit Hunding heute nicht mehr vertretbar sind“; na, da hat er aber zu wenig aufgepaßt: im Umkreis von #MeToo haben doch viele Psychologinnen und Psychologen genau diese, oft mit beträchtlicher Verspätung auftretenden, Selbstvorwürfe als eine wesentliche Folge von definitiv durch die Betreffenden unverschuldeten Übergriffen bezeichnet – auch da war Wagner wieder einmal seiner Zeit (und heutigen Regisseuren) voraus… Wenigstens gibt es in diesem Akt keine dazu-regierten Statistenmassen – aber teils sehr schön herausgearbeitete musikentsprechende Parallelen, etwa im Bewegungsmuster der Zwillinge Brandon Jovanovich (mußte sich ansagen lassen) und Elisabeth Teige (überragend). Daß sie zu Aktende in Unterwäsche Hals über Kopf in den Schneesturm flüchten (obwohl Hunding ohnedies noch durch Sieglindes KO-Tropfen unschädlich ist), tut der Ernsthaftigkeit der Situation freilich nicht gut.

Die Statisten tauchen in Akt 2 wieder überreichlich auf und kommentieren aufdringlich und plump-klischeehaft pantomimisch die Diskussionen und Streitigkeiten von Wotan mit Fricka bzw. Brünnhilde. Die ganze Intimität und persönliche tiefschürfende Interaktion, um die sich Annika Schlicht (Fricka), Nina Stemme (Brünnhilde) und Iain Paterson erfolgreich bemühen, ist damit ruiniert.

Patersons Stimme ist allerdings einen Tick eingetrocknet, es fehlt die tragfähige Wärme, die sein rollenbildlich jüngerer Vorgänger im Rheingold einsetzen konnte. Vielleicht ein Hinweis auf den nun älteren Wotan – oder war er nur verstimmt darüber, daß sein Auftritt (aus dem Klimperkasten) in Unterhosen erfolgen muß? Der Hunding von Tobias Kehrer bringt rollendeckend Schwärze und bedrohliche Größe der Stimme mit brutalem Verhalten in Einklang – eine sehr gelungene Gestaltung, die ein entschiedeneres „Geh!“ seitens Wotan verdient hätte, als es denn zu hören war… Siegmund verbleicht im Feinripp.

Annika Schlicht stellt zusammen mit Elisabeth Teige (fast) das Spitzenduo des Abends – bei Bedarf immenser Druck der Stimmen, glasklare Diktion, große und tief emotionelle Modulation. Fast, weil Nina Stemmes anfänglich leicht verhangene Stimme schließlich doch zur Größe aufläuft, welche eine der aktuell besten Brünnhilden mitzubringen hat.

Die Walküren dürfen zwar ihren (pferde-, auch surrogatlosen) Ritt einerseits im „klassischen“ Flügelhelm (den auch Wotan gelegentlich nutzt, wenn er nicht schon zum Hut des Wanderers greift) präsentieren, auch bringen sie verpackte Leichen, bestimmungsgemäß, nach Wallhall. Jedoch erwachen letztere als Zombies (nicht ganz unlogisch), in blutverschmiertem Feinripp (zumindest innerhalb der Inszenierungslogik) und beginnen, die acht Schwestern zu vergewaltigen – was doch einigermaßen außerhalb der gängigen Voodoo-Stereotype liegt und auch in den gesungenen Texten keinerlei Anregung findet, von Beschwerden über einen gamsigen Hengst einmal abgesehen.

Das von den gebotenen  Bildern her wirklich gelungene Finale mit Abschied und Feuerzauber wird erneut durch Statistenmassen seiner Intensität, seiner Intimität und seiner Stringenz beraubt.

Im musikalischen Ausklang taucht die gebärende Sieglinde im Klavier auf; Mime fungiert als Hebamm, nimmt das Kind und Nothungs Trümmer mit, während Sieglinde wieder im schwarzglänzenden Kasten versinkt.

 

SIEGFRIED (05. 01.)

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Schlussapplaus nach „Siegfried“. Foto: Petra und Helmut Huber

Zwar beginnt der zweite Hauptabend mit einer Ouvertüre unaufgeregt bei geschlossenem Vorhang, ganz aber kann unser Regisseur seinen Gestaltungswillen nicht zähmen: etwa mittens in der Einleitung geht der rote Samt hoch und wir sehen den Wanderer und Alberich, wie sie sich belauern. Befremdlicherweise trägt letzterer schon wieder einmal den orange leuchtenden titelgebenden Ring…

Der erste Akt kommt ohne dazuerfundene Personen aus, ohne Unterwäsche – und die aufgetürmten Koffer gleichen eher Urgestein als Reiseutensilien; dazu fungieren sie auch als Blasebälge. Im Koffergemäuer agiert ein unglaublich guter Mime (Ya-Chung Huang), der nicht nur stimmlich und im Ausdruck einfach brillant ist, sondern der auch in seiner Körpersprache bis in winzigste Details die Rolle bebt und lebt. Dabei ist seine Stimmfärbung merklich anders als die seines Ziehsohnes, was der Dramatik gut tut (bei Gerhard Siegel in der Rolle z. B. „weiß man nie“, ob jetzt Mime oder Siegfried singt…). Siegfried kommt ebenso überzeugend daher als der pubertierende aufbegehrende Lümmel, als den ihn Wagner gezeichnet hat. Dabei ist Clay Hilley in archaisches Zeug gewandet, Horn inklusive, wie man es wohl in den ersten Jahrzehnten der „Ring“-Aufführungsgeschichte stets verwendete – Leo Slezak mag so in Wien und New York aufgetreten sein. Stimmlich erreicht Hilley den frühen Weltstar aus Brünn (noch) nicht ganz, aber hält seine darstellerische und stimmliche Verve, gut sitzende Spitzentöne inklusive, die ganzen drei langen Akte weitestgehend durch.

Das Spiel von Siegfried und bzw. mit Mime ist temporeich, mitreißend, humorvoll und damit restlos überzeugend, was das Publikum auch mit größtem Jubel nach dem Aktschluß quittiert. Mit Recht bekommen davon auch der Wanderer (Iain Paterson) und Alberich (Jordan Shanahan, der als Schwarzalb auch Siegfrieds „Freund“, den Bären, mimt) einiges ab. Lediglich ein etwas nachlässiger Umgang Wotans mit seinem Speer verwundert, gibt aber auch Anlaß zu verblüffenden Bühneneffekten: Mime entgleitet der Speer in Bühnenmitte (beim Klavier) und einen Sekundenbruchteil später hält ihn der Wanderer, der davon 3 m  entfernt steht, beim Souffleurkasten, in der Hand.

Übrigens: Nothung in der Hand eines Leinenkittel-und-Bundschuhträgers ist WEIT weniger seltsam und patschert als würde einer im grauen Businessanzug das Schwert schwingen – ein vom Regisseur womöglich ungewolltes Plädoyer für konservative Inszenierungen??

Auch der zweite Akt behält mangels Statistenfluten großteils seine ursprüngliche Stringenz. Etwas verwunderlich, daß der schon getötete Fafner (im Trichter wie im Direktschall profund und kultiviert: Tobias Kehrer) in seiner Feinrippkleidung, in der er dem bühnenbeherrschenden und gar schröcklich gezeichneten Drachen entschlüpft ist, von seinem Todesort auf dem Souffleurkasten noch einmal aufsteht und etwas zurückweicht: offensichtlich weckt der heftige Streit zwischen Mime und Alberich sogar Tote auf!

Aus dem Totenreich erscheinen Siegfried auch seine Eltern, als feinrippgewandete weiße (Schutz)Engel hinter einem laubwerkbeprojizierten Seidenschleier; die Rechtfertigung dafür findet sich jedenfalls in Wagners Text. Später sieht man sie, nun mit schwarzen Flügeln, auch bedrohlich…

Das Waldvögelein ist mit dem Knabensopran Sebastian Scherer besetzt – der geschätzt sehr knapp Zehnjährige macht seine Sache außerordentlich gut, aber es ist halt, bei aller achtsamen Sorgfalt von Sir Donald Runnickles am Pult, doch eine wahnwitzig große Aufgabe für so einen jungen Kehlkopf. Die Idee für eine derartige Besetzung findet sich bei Wagner, aber der wird schon seine Gründe gehabt haben, schlußendlich doch einen erwachsenen Koloratursopran mit der Rolle zu betrauen.

Verwirrend, daß Siegfried seinen kleinen Ratgeber anscheinend (unabsichtlich??) umbringt – auch wenn er dann im dritten Akt davon erzählt, wie ihn der Vogel zum Feuerberg geführt habe.

Erda (Marina Prudenskaya) haben wir schon eindrucksvoller erlebt, was wohl auch etwas an ihrer, wie am ersten Abend, betont graumäuslichen Aufmachung liegt. Der Wanderer, der hier, wenn er vom Klavier aus die Handlung vorantreibt, sehr dem älteren Johannes Brahms ähnelt, verabschiedet sich nun, mit vom weiterhin mehr als unbekümmerten Siegfried geknickten Speer – was natürlich zur Gestaltung der Erda eine erotische Parallele sein könnte.

Siegfried holt Brünnhilde aus dem Klavier, wie nicht anders zu erwarten. Und endlich „dürfen“ auch Statistinnen und Statisten wieder erscheinen: nicht nur als Publikum bei Wotans Erdabefragung, sondern auch als Illustration der zunehmend entflammenden Anziehung zwischen Wälsenenkel und Wotans Wunschmaid, als sie (in Feinripp und in allen Kombinationsmöglichkeiten, die LGBT bietet) den beiden Protagonisten vormachen, was sie nach Fallen des Schlußvorhangs tun könnten…

Nina Stemme erwacht zwar mit einem sauberst getroffenen Einsatz, auch die folgenden Modulationen und die lange Steigerung hat sie perfekt in Kontrolle, aber leider mißlingt ihr der finale Spitzenton.

 

GÖTTERDÄMMERUNG (09. 01.)

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Schlussapplaus nach dem Ring-Finale „Götterdämmerung“. Foto: Petra und Helmut Huber

 

Ein letztes Mal Spannung, ob der Covid-Test eh negativ bleibt, ob es nicht seitens des Theaters, der Protagonisten, des Orchesters seuchenbedingte Probleme gibt – nein, alles im grünen Bereich!

Am letzten Nachmittag/Abend (Beginn 16 Uhr) der Serie ist Nina Stemme jedenfalls in perfekter Verfassung, insbesondere auch in ihrer tour de force im dritten Akt.

Die Regie geriert sich über weite Strecken zunächst eher konventionell: die Gibichungenhalle ist ein Abbild des Opernhausfoyers, Koffer kommen relativ wenige vor und Feinripp wird in erster Linie nur sichtbar, wenn er als Projektionsfläche für Flammen dienen mag. Auch scheint die Statisterie eine Rolle als Nornenschnur zu spielen, soweit zu verstehen.

Als Hagen (ein schauspielerisch und stimmlich hervorragender Albert Pesendorfer) von seinem Vater konditioniert wird, bekommt sein Gesicht – etwas abgeblaßt – die bekannten Clownsmarken, die der erneut vorzügliche Alberich Jordan Shanahan von Anfang an trug. Und dieses Muster ziert auch die Strumpfmasken, die sich Siegfried und (!!) Gunther überziehen, als sie den Brünnhildenfelsen entern; der Gibichung hilft Siegfried bei den tieferen Tönen aus… Sowohl Thomas Lehman als auch Clay Hilley sind aber in ihrer angestammten tessitura erstklassig unterwegs.

Auch Aile Asszonyi (Gutrune) und noch mehr Okka von der Damerau als Waltraute liefern hervorragende Darstellungen und Sangesleistungen ab.

Dazuerfunden von der Regie wurden ein „burning man“ (Erik Kamerichs von der stunt-crew Babelsberg), der offensichtlich als Vorausläufer Gunther und Brünnhilde ankündigt; weiters – an u. E. passenden Stellen – Ausblicke auf eine „stockkonservativ“ und daher prächtig und teils, als leichte Ironisierung, schrillfarbig gewandete Wallhallbevölkerung. Wotan wird von Brünnhilde sogar an Siegfrieds Bahre geführt.

Konfus allerdings die letzten Szenen: der tote Gunther steht wieder auf und verschwindet im Volk; Brünnhilde singt zwar von Grane, schreitet aber auf eigenen Beinen ins Feuer. Na gut, haben wenigstens „Vier Pfoten“ nix zu meckern… die erstklassigen Rheintöchter (Meechot Marrero, Maria Tucker, Anna Lapkovskaja) aber umso mehr: als nämlich Hagen in die Versenkung, die Scheiterhaufen, Walhall und alle sonstigen Figuren verschlungen hat, „Hände weg vom Ring“ ruft, tut sich nichts weiter – und er verlässt die Szenerie nicht als Beute der Wasserbewohnerinnen via Rhein, sondern über den Zuschauerraum.

Ganz zum Schluss senkt sich die rot gestellte Beleuchtungsmaschinerie herunter, ins Publikum gerichtet – das im Feuer versinkende Walhall? – bevor auf vertikales weißes Arbeitslicht geregelt wird und der leere tiefe nackt-graue Bühnenraum, mit einem teils zugedeckten Flügel in der Mitte, übrig bleibt. Nur eine Raumpflegerin wischt ein paar Flitter- und Federreste vor sich her: von der Logik der Wiederherstellung der Ausgangssituation der vier Abende, klar; für das von der überragend dargebotenen rauschhaften Musik geflashte Publikum aber sowas wie die Faustwatsche des Wendelin Piwonka (© Manfred Deix).

Für das Bühnenpersonal und das unter GMD Sir Donald Runnicles wahrhaft perfekte Orchester der Deutschen Oper Berlin, das auch in allen Ausbrüchen immer Transparenz wahrte und Sängerinnen und Sänger perfekt trug, tosender und langer Applaus; schließlich standing ovation, als das Orchester selbst auf der Bühne erscheinen darf, verdientermaßen.

Insgesamt eine Produktion mit guten bis exzellentesten Gesangsleistungen und auch bis ins Detail sorgfältigem Spiel, aber jede Menge verwirrendem, ablenkendem, äußere und innere Handlung teils konterkarierendem Beiwerk. Prototypisch dafür das von der „Souffleuse“ Erda ins Spiel gebrachte Ring-Drehbuch, das so gut wie allen größeren Rollen immer wieder einmal die Anleitung für weitere Handlungsweisen gibt und somit die Personen im wörtlichen Sinne papieren, unspontan erscheinen läßt. Als Siegfried sein Schwert im Feuer von daraus gerissenen Seiten schmiedet, keimt Hoffnung auf, daß diese tolle Idee damit beerdigt ist – aber vergeblich, sie setzt sich bis zum bitteren Ende fort.

Übrigens: die von Dr. Billand (print-Merker vom Dezember 2021) bemängelten Saallicht-„Attacken“ dürften in diesem dritten Gesamtdurchlauf reduziert worden sein – zweimal, etwas länger, bei der Walküre, einmal und kürzer beim Siegfried. 

Wagner wollte das allergrößte, allerumfassendste Welttheater schreiben – letztlich über die universelle  Korrumpierbarkeit, der Vermögen wie Beziehungen zum Opfer fallen. Die Qualität eines Regiekonzeptes erweist sich daran, daß die stückimmanenten und (auch heute) relevanten Facetten klargelegt oder betont werden, und nicht irgendwelche Sachen, die weder in Text, Subtext noch Komposition vorhanden sind, aufgepfropft werden. Dominieren letztere eine Inszenierung, so wird das – um die Nornenfrage zu beantworten – eher das Werk von Lobbyisten, Influencerinnen bzw. Hausierertum als zur Regiearbeit.

Das Bühnenbild und die vielen Statistinnen und Statisten können nicht billig (gewesen) sein. Vielleicht hätte man das bei manchen Inszenierungsideen nur störende Orchester wegsparen und durch die Stuttgarter Kabarettband „Die kleine Tierschau“ ersetzen können – die sind ja Kraft ihres œuvres Experten für Feinripp („… der Grund für mein Versagen“). Sollte Stefan Herheim noch einen Koffer in Berlin haben, ist dieser sicherlich bis obenhin mit Feinripp-Unterwäsche jefüllt. Vielleicht ist der Rückgriff auf diesen als maximal unerotisch verrufenen Stoff ja auch eine Bosheit gegenüber dem notorischen Seidenunterwäscheliebhaber Richard Wagner – so eine Volte allerdings wäre dann weit subtiler gewesen als die eingriffige Inszenierung insgesamt.

Herheims Aussage im Ö1-Interview, bei Gesamtschau seines „Ringes“ wäre das Konzept überzeugend, können wir jedenfalls nicht nachvollziehen.

Petra und Helmut Huber

 

 

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