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BERLIN/ Deutsche Oper: WOZZECK von Alban Berg. Premiere

Eindrucksvoll!

06.10.2018 | Oper


Thomas Blondelle, Elena Zhidkova, Johan Reuter. Copyright: Marcus Lieberenz

Berlin/ Deutsche Oper: „WOZZECK“ von Alban Berg, eindrucksvoll, Premiere. 05.10.2018

Schon vor Beginn dieser Premiere wird das Publikum mit einem überlebensgroßen Männergesicht auf dem noch nicht geöffneten Vorhang konfrontiert. Die Augen und der Mund sind geschlossen, als schliefe der Mann. Auf der Haut ist bei dieser Nahaufnahme (Video: Robert Pflanz) jede Pore zu sehen.

Es ist das Gesicht von Johan Reuter in der Rolle des Wozzeck, der in der Inszenierung von Ole Anders Tandberg auf höchst eindringliche Weise diesen armseligen Typen stimmlich und darstellerisch ungemein glaubhaft verkörpert.  Ein ruhiger, von den anderen verspotteter Mann, dem nach und nach der Wahnsinn immer deutlicher anzumerken ist.

Dieses Gesicht erscheint während der ganzen pausenlosen Spieldauer nach bzw. vor jedem der 15 kleinen Szenen, bald auch mit offenen Augen, die uns alle ohne jedes Mienenspiel direkt anschauen und soghaft ins abgründige Geschehen hineinziehen.

GMD Donald Runnicles hat diese Aufführung zur Chefsache gemacht. Zusammen mit dem hellwachen Orchester der Deutschen Oper Berlin schildert er in den lebhaften, mitunter schrillen Musikfarben von Alban Berg dieses exemplarische Abrutschen eines Einzelnen inmitten einer achtlosen, zumeist feiernden und Branntwein saufenden Soldateska. Reuters Bass-Bariton ist ebenfalls aller Nuancen fähig, zumal dann, wenn er sich gegen das Mobbing zur Wehr setzt.


Elena Zhidkova. Copyright: Marcus Lieberenz

Seine Lebenspartnerin Marie wird von Elena Zhidkova ebenso eindringlich gesungen und gespielt, mit einem gleißenden, hoch hinaufreichenden Mezzo. Auch sie singt wie  Wozzeck öfter den Satz „wir sind arme Leut’“, was man beiden anhand der Garderobe nicht auf den erste Blick ansieht.

Wozzeck trägt hier einen hellblauen Anzug, sie sieht in beige mit kurzem Rock und hübschen Schuhen durchaus attraktiv aus. (Kostüme: Maria Geber). Das prekäre Milieu ist nur zu ahnen, hat sich doch Wozzeck einem Arzt (Seth Carico, agil und stimmlich bestens präsent) für Experimente zur Verfügung gestellt und verdient so ein paar Groschen hinzu.

Hier an der Deutschen Oper Berlin arbeiten Wozzek und Marie offenbar in einem recht solide eingerichteten Gartenrestaurant mit weiß eingedeckten Tischen, dessen große Fenster ins Grüne und auf einen (kaum erkennbaren) See gerichtet sind. Marie sitzt meistens, ein Getränk schlürfend, an der Bar, der kleine Junge (Levi Mika Weber), das Kind der beiden, schläft, den Kopf auf einer Tischplatte (Bühne: Erlend Birkeland).

Um ihren Jungen kümmern sich die Eltern kaum, sie sind mit sich selbst beschäftigt, Wozzeck mit seinen Wahnvorstellungen und Arztbesuchen, sie mit dem Tambourmajor (Thomas Blondelle). Bei diesen beiden geht’s nun ganz schnell und deutlich zur Sache. Liebeshungrig stürzt sich die von ihrem Partner vernachlässigte Schöne  auf den feschen jungen Mann.

An einem solchen Tisch sitzt öfter auch der fettleibige, (angeblich) kurzatmige Hauptmann (Burkhard Ulrich), der Wozzeck als guten Menschen bezeichnet und alle ermahnt, nicht herum zu hetzen. In diesem großen Raum hat auch der experimentierfreudige Arzt seine Praxis, hier marschieren die Soldaten auf, ebenso der dörflich bunt gekleidete Chor (einstudiert von Jeremy Bines) beim Heurigenfest. Auch die Kinder tanzen hier herum (der Kinderchor, geleitet von Christian Lindhorst).

Intensiv gestaltet Elena Zhidkova die Szene der Reue. Marie schämt sich wegen ihres Liebesabenteuers, und Furcht vor Wozzeck keimt in ihr auf. Berührend, wie sie Jesus um Schutz bittet, der doch auch der sündigen Maria Magdalena verziehen habe. Doch in dieser Menschenhölle gibt es keinen Gott, nur den stumm warnenden Narren (Andrew Dickinson) und nur den Mord.

Zärtlichkeit vorspielend zieht Wozzeck die Unheil ahnende Marie auf seinen Schoß und ersticht sie. Das Messer wirft er nicht wie in Alban Bergs Text in den See und ertränkt sich selbst auch nicht in ihm. In dieser wohl durchdachten Inszenierung schlitzt er sich beide Pulsadern auf und sitzt als Toter mit blutigen Armen aufrecht und wie versteinert im Sessel.

In den Nebenrollen reüssieren Annika Schlicht als Margret sowie Tobias Kehrer und Philipp Jekal als die beiden Handwerksburschen.

Zuletzt heftiger Applaus für alle, insbesondere jedoch für Johan Reuter, Elena Zhidkova und Donald Runnicles. Kein einziges Buh fürs Regieteam! Sie alle haben das Fragment von 1926 mit Können und Engagement ins mit Prallelen behaftete Heute überführt. 

Ursula Wiegand

 

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