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BERLIN/ Deutsche Oper/ Werkstatt: WOLFSSCHLUCHT – Webers „Freischütz“ modern

15.09.2019 | Oper


Foto: Marcus Lieberenz

BERLIN/ Deutsche Oper/ Werkstatt: WOLFSSCHLUCHT – Uraufführung am 14.9.2019

Samiel hilf!

Wunderbar verwandelt zu haben vom Regie-Saulus zum Regie-Paulus scheint sich Paul-Georg Dittrich, der bei einer Diskussion während des Symposions „Oper und Film“ noch vollmundig erklärt hatte, er wolle noch „hinterfragen,….ob man Striche macht, Umstellungen vornimmt oder einen zeitgenössischen Komponisten etwas hinzufügen lässt“, nämlich zu bereits bestehenden Opern. Eine Jahr später lässt er den Leser der Berliner Morgenpost am Tag der Uraufführung von „Wolfsschlucht“ durch die Feder des Interviewers wissen: „Dittrich tastet die Musik selbst in der Oper nie an, sie wird nicht zur Verhandlungsmasse, zum Steinbruch, sondern ist Teil des strengen „Korsetts“ der Gattung Oper…“

Und wie sieht das in der Praxis, bei der Uraufführung von „Wolfsschlucht“ am 14.9. in der Tischlerei der Deutschen Oper aus? Das ist eine Werkstattbühne, ein Experimentiertheater, für das wohl andere Maßstäbe gelten, das aber zum Erstaunen des Besuchers es schafft,

in nur 75 Minuten alle Ingredienzien des Regietheaters unterzubringen als da sind: Videobilder, Verlesung fremder Texte, seien es Parteiprogramme, Internetkommentare, Pornographie, viel Blut, dazu alle die beliebten Themen wie Klimaveränderung, Abhängigkeit von Computer und Smartphone, tote Säuglinge, und da Der Freischütz ja bekanntlich im Wald spielt, darf das Waldsterben in Form eines dürren Zweiges nicht fehlen. Ob die türkische Hochzeit- Bräute mit rotem Schleier fahren herein- auch noch Migration und Asylanten zum Thema machen will, ist nicht auszumachen, so wie für denjenigen, der einen der sechs im Raum befindlichen Stühle ergattert hatte, sowieso kaum etwas zu sehen war, er die Pressebilder der Deutschen Oper zu Hilfe nehmen musste, um sich ein Bild von dieser wieder einmal schlechtesten aller Welten zu machen, die an diesem Abend mit einem wie der moderne Mensch von burn out geplagtem Max oder einer offensichtlich mit Schuld beladenen (Verhältnis mit Kaspar? Uneheliches Kind?) Agathe ein weiteres Mal alles Leid der Welt thematisierte.  

Zu Webers Musik kommt an diesem Abend die von Malte Giesen, die vor allem laut und eintönig ist, das Orchester unter Tilman Wildt besteht aus Horn, Schlagzeug, Klavier, Synthesizer und Elektronik, für Bühne und Kostüme sind Pia Dederichs und Lena Schmid verantwortlich, die phantasievollen Kopfschmuck für den Kinderchor (Leitung Christian Lindhorst) zu verantworten haben. Dieser leistet nicht nur musikalisch, sondern auch darstellerisch Erstaunliches, betätigt sich sogar als Bühnenhandwerker, so wenn es allerlei Poster an der Hütte, die in den Saal herabgelassen wird, zu befestigen gilt.

In der Wolfsschlucht treffen bekanntlich Samiel, Kaspar und Max aufeinander, an diesem Abend geht es um Agathe, Max und Kaspar, es gibt keine Handlung, sondern Teile des Originalgeschehens werden in buntem Durcheinander dargeboten, immer mal wieder taucht Max‘ große Arie in Bruchstücken auf, Agathe singt nicht ihr Gebet, sondern Ännchens „Kommt ein schlanker Bursch“, um sie laut Programmheft „anzureichern“, alle drei werden durch Miniports verstärkt. Der Max von Andrew Dickinson hat einen an sich angenehmen Tenor, irritiert jedoch durch häufige Intonationstrübungen. Ganz und gar keine Agathenstimme besitzt Susanna Fairbairn, sondern einen scharfen, schrill klingenden Sopran. Gern mehr gehört hätte man von dem Kaspar von Florian Spiess, der einen schlanken, dabei farbigen Bass für das Trinklied einsetzen konnte. 

Es hat in der Reihe „Überschreibungen“ auch schon bemerkenswert gute Beiträge wie für den Hoffmann gegeben, dieser aber war nur einer der eher peinlichen Versuche mehr, einem beliebten Werks tatsächliche oder eingebildete Probleme unserer Zeit, mehr noch die eigenen Befindlichkeiten überzustülpen und es damit ungenießbar zu machen.

 

Ingrid Wanja/ www.deropernfreund.de

 

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