Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BERLIN/ Deutsche Oper: VASCO DA GAMA – Alagna und Koch ein Traumpaar, trotz verpatzter szenischer Umsetzung

19.10.2015 | Oper

Giacomo Meyerbeer: Vasco da Gama, Deutsche Oper Berlin, 18.10.2015

Roberto Alagna und Sophie Koch als Traumpaar der Oper gelingt trotz verpatzter szenischer Umsetzung der erste Schritt einer Meyerbeer-Renaissance in Berlin

Sophie Koch, Roberto Alagna, ein kurzer Liebestraum. Foto Bettina Stoess
Roberto Alagna, Sophie Koch. Foto: Bettina Stoess

Schon die Geburt Meyerbeers hatte ja etwas dramatisch-Abstruses: Er erblickte das Licht der Welt in einem Reisewagen bei Tasdorf, mit dem seine Mutter von Berlin nach Frankfurt an der Oder unterwegs war. Als stammte die Szene aus einem britischen Roman des 18. Jahrhunderts. So ist auch seine Musik vor allem zu Vasco da Gama ein ganz besonderer Fall. Als hätte Quentin Tarantino das Textbuch verfasst und eine Oper bei Rossini, Auber, Gretry und Salieri in Auftrag gegeben. Dramaturgisch irre modern und die handelnden Personen in allen Facetten gebrochen, ist Meyerbeer in der Umsetzung manchmal wie bei einem Broadway-Musical zwischen Sentimentalität, großer Emphase und mitreissenden koloristisch exotischen Effekten hin und her geschwankt. Und doch vermochte Meyerbeer seinen ganz eigenen persönlichen musikalischen Stil zu finden, der höchst kunstfertige Ensembles, mächtige Chöre, raffinierte Arien und vor allem witzig ironische Tableaus aus den Hut zauberte, ohne freilich vor Banalitäten erster Klasse zurückzuschrecken. Aber auch diese scheinbar einfach gestrickten Nummern scheinen selber ein letzter zwinkernder Gruß der Ära des Belcanto. 

uz
Seth Carico und Roberto Alagna. Foto: Bettina Stoess

Ein Unzeitgemäßer war dieses Berliner Kind, wo andernorts nationale Schulen auf archaisches Liedgut Urständ feierten und Wagner mit Tristan den Weg aus der Tonalität wies, war Meyerbeer ein echt europäischer Geist. Den Ekletizismus der Grand Opéra mischte er mit Elementen der deutschen, französischen und italienischen Oper gehörig frech auf. Die Schönheit und Kraft seiner Musik erweist sich in der Zeit, in der wir leben, besonders aktuell. Der wunderbare Dirigent und herrlich witzige, großartige Mensch Jean Périsson schrieb mir als Widmung bei einem gemeinsamen Abend in Paris in die CD-Aufnahme der Afrikanerin, die er in San Francisco 1973 mit Verrett und Domingo dirigiert hatte: „En espérant convertir Ingo à Meyerbeer!“ Das ist ihm auch gelungen, und gestern haben Alagna, Koch, Brück und Machaidze das ihrige dazu getan. 

Muss Berlin Meyerbeer aufführen? Ich denke Ja, und der auf drei Jahre angelegte Zyklus, der nun  mit Vasco da Gama begonnen hat, ist eine gute Sache für das kulturelle Leben Berlins und das hiesige Publikum. Aber man braucht erstklassige Sänger, was die Deutsche Oper glückhaft aufgeboten hat und eine Regie, die Meyerbeer wirklich ins Heute holt. Wie oft bei Meyerbeer spielt sich in seinen Opern auf Basis religiös-kultureller Konflikte (vgl. auch Der Prophet, Die Hugenotten) die irrsten Liebesgeschichten ab. Im Falle des Vasco da Gama ist noch dazu die Titelfigur ein Antiheld modernsten Zuschnitts. Keine historisierende Figur, trägt dieser Vasco wie sein eigener Bewunderer ein T-Shirt mit dem Konterfei des berühmten Seefahrers. Es geht ihm rein um Unsterblichkeit und Ruhm, echte Liebe ist seine Sache nicht. Von Frauen versteht er, obwohl von allen geliebt, eigentlich rein gar nichts. Dabei ist er noch dazu stetig erfolglos, seine Expedition wird von den Mächtigen in Portugal abgelehnt, aus Todesgefahren muss er andauernd von Frauen gerettet werden, als lieber selber das Ruder aktiv in die Hand zu nehmen. Ein prahlerisches Weichei der großen Töne, die ihn ausschließlich als das legitimieren was er kann: Singen. Als wäre er einer Casting TV-Show aus „Der Superstar von morgen“ entsprungen.

Was hätte wohl Barry Koskie aus diesem Stück gemacht? Das schreit nach extremer Ironisierung. Zwei Momente der Oper mögen als Beispiel dienen: Am Ende des dritten Akts werden die Portugiesen von den indischen Piraten getötet, Meyerbeer schreibt dazu einen irrlichternden Cancan (!), weil er die Perspektive nicht auf Mitleid, sondern auf den barbarischen Triumph richtet, ohne moralisch Stellung zu nehmen. Es geht noch besser: Im 4. Akt kurz vor der berühmtesten Nummer der Oper, dem Tenorhit „O Paradiso“, werden die gefangenen Portugiesinnen zum Tod unter den giftigen Manzanillobaum (der eigentlich nur in der Karibik wächst, aber was solls) geführt. Vasco kommt Sekunden später auf die Szene und singt, wie schön und paradiesisch hier in Indien alles ist. Eine größere Realitätsverweigerung ist nicht denkbar.

Und was bekommt man in der Deutschen Oper zu sehen? Das Regieteam (Vera Nemirova, Jens Kilian, Marie-Thérèse Jossen) kann sich  nicht entscheiden und liefert weder Fisch noch Fleisch. Eher unfreiwillig komisch wirken da Kostüme und das weitgehend naive Bühnenbild. Selica in H&M-Jackerl über orangefarbenem indischem Folkorekostüm im 1. Akt, als wärs eine Esoterikerin aus Kreuzberg, Bollywood lässt im 4. Akt grüßen, Vasco und Selica singen auf einer überdimensionierten „Pizza“ ihr Liebesduett, bevor Ines wieder auftaucht und ihren Vasco-Liebling einpackt. Die beiden werden von Selica „frei“ gegeben, bevor sie selbst unter dem berühmten Manchinelbaum den Freitod sucht, anstatt froh zu sein, den Fatzke los zu werden. Die Bühne besteht aus sechs weißen Segeln, die multifunktional den Raum rund um einen nach oben klappbaren Halbkreis teilen. Praktisch, aber nicht schön, geschweige denn aufregend. Die Sinnlichkeit, das Grelle und das Erregende der Musik finden keine optische Entsprechung.

Ganz anders die Sänger: Roberto (nationale) Alagna ist nach der Premiere wieder ganz groß in Form, besser kann diese mörderisch schwere und anspruchsvolle Partie heute wohl niemand singen. Selica wird von Sophie Koch ganz fabelhaft dargeboten. Die Partie liegt ihr jedoch von der Tessitura her ein klein wenig zu hoch. Dennoch, es wäre nicht Sophie Koch, wenn sie nicht auch daraus noch ein Tugend machte und eine vokal berührende Figur aus Fleisch und Blut auf die Bühne zauberte. Ganz ohne Vorbehalte ist Markus Brück als Bösewicht Nelusco zu loben. Demnächst wird dieser exzellente Berliner Haus-Bariton als Macbeth debütieren. Nino Machaidze singt eine ausdrucksstarke und koloratursichere Ines, in der Höhe klingt sie bisweilen ähnlich wie Renata Scotto allerdings etwas (zu) scharf. Ihr Mann Don Pedro wird von Seth Carico verkörpert, dem Applaus nach zu schließen zu Recht ein Publikumsliebling. Ines‘ Vater ist Andrew Harris, auch er mit geschmeidig rundem Bass ein Ohrenschmaus. In weiteren Rollen gefallen Clemens Bieber als Don Alvar, Dong-Hwan Lee als Großinquisitor, Albert Pesendorfer als Oberpriester und Irene Roberts als Anna.

Die musikalische Leitung des Abends lag in den Händen von Enrique Mazzola. Er ging die Sache zwar mit Schwung und Verve an, man hätte sich aber einen „sängerfreundlicheren“ Mann am Pult wünschen können, zu oft gab es störende rhythmische Interferenzen zwischen Orchester und Solisten. Meyerbeer braucht eben auch im Graben nur die Besten.

Die Aufführung wurde vom rbb aufgenommen und wird am 28.11.2015 ab 20.04 Uhr im kulturradio UKW 92,4 MHz, Berliner Kabelfrequenz 95,35 MHz, gesendet.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

Diese Seite drucken