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BERLIN/ Deutsche Oper: TURANDOT mit Catherine Foster

20.12.2014 | Oper

Berlin/ Deutsche Oper: „TURANDOT“  von Giacomo Puccini mit Catherine Foster, 19.12.2014

Lieber Himmel, was für eine gewalttätige Musik! Ivan Repusic lässt sie mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin gleich dermaßen Terror ankündigend aufbrausen, dass es sensiblen Menschen kalt über den Rücken läuft. Diese Klänge, und was sich danach abspielt, wirken heutzutage – zumindest auf mich – ganz anders als früher.

Sie werden gegenwärtig und passen in unsere Zeit, wo im Fernsehen Videos mit Enthauptungen und ähnlichen Schrecken präsentiert werden. Öffentliche Hinrichtungen, die eine triebhafte Schaulust bedienen, gibt es nach wie vor. Insofern ist die teils drastische Inszenierung von Lorenzo Fioroni aus dem Jahr 2008 durchaus aktuell.

Die Verursacherin all’ dieser Abartigkeiten ist bekanntlich Prinzessin Turandot, gesungen wie schon vor Jahren von Catherine Foster. Ihr kräftiger Sopran, inzwischen Wagner gestählt, ist noch metallischer geworden. Fast schmerzhaft bohrt er sich mitunter ins Ohr, passt aber genau zu dieser eiskalten Frau, die sie – zunächst im Glitzergewand (Kostüme: Katharina Gault) – verkörpert. Eine, die den Männerhass mit dem Hinweis auf ihre zu Tode geschändete Urahnin Lu-u Ling „herausschreit“. Doch es bleibt der Verdacht, dass die blutigen Köpfe der Enthaupteten, die ihre 3 Rätsel nicht lösen konnten, ihr zu besonderer Befriedigung gereichen.

Angeblich erliegen alle Männer ihrer Schönheit, oder ist es der Eroberungswahn, der sie nacheinander in den sicheren Tod führt? Auch Calaf, zunächst ablehnend, kann der Faszination dieser Frau nicht widerstehen. „Und wenn die Welt zusammenbricht – ich will Turandot!“ singt Kamen Chanev mit kräftigem, dunkel angetöntem Tenor und ebenso kräftigem Körperbau. Ein Gewaltmensch auch er, auf Augenhöhe mit dieser Tötungswütigen. Zwei Alphatiere, die über Leichen gehen.

Die fabelhaften Chöre des Hauses, einstudiert von William Spaulding, schildern prägnant und stimmgewaltig das Volk, das auf einer Tribüne sitzend (Bühne: Paul Zoller) zwischen perverser Schaulust und Mitleidsgefühlen schwankt. Hoch über der Menge thront der alte Kaiser Altoum, noch immer dargestellt und mit zartem Tenor gesungen von Peter Maus, seit 40 Jahren im Ensemble der Deutschen Oper Berlin. Dass der ein Ende der Gewalt herbeisehnt, glaubt man ihm mit jeder Silbe.

Doch davon kann keine Rede sein. Calaf opfert indirekt sogar die kleine Liù, die sich lieber foltern lässt und sich selbst tötet, als seinen Namen preiszugeben. Mit lyrischem Leuchtsopran singt Heidi Stober von ihrer geheimen Liebe zu diesem Mann. Hier und auch schon anfangs bei der Wiederbegegnung der beiden hören wir einiges vom früheren Puccini, dem Schöpfer von Tosca und La Bohème.

An Madame Butterfly erinnern Klänge am chinesischen Kaiserhof, wo die Beamten mal den vertriebenen Tartarenherrscher Timur, Calafs Vater, – mit profundem Bass gesungen von Simon Lim – attackieren, mal ihrer Heimat nachtrauern oder ihre Spielchen treiben. Alles gut gesungen und gespielt von Melih Tepretmez als Ping, Gideon Poppe als Pang und Matthew Newlin als Pong.

Turandot ist ein uneinheitlicher Torso geblieben, aber ein hochinteressanter. Die Schrecken des 1. Weltkriegs sind in dieser Musik zu hören und gelten auch für die Gegenwart. Dennoch war die Moderne schon über Puccini hinweggerollt. Bereits 1913 hatte Strawinsky das Publikum mit seinem „Sacre du Printemps“ geschockt. 1924, in Puccinis Todesjahr, wurden Ausschnitte aus Alban Bergs Wozzek uraufgeführt. Den Anschluss an die neue Musik hat Puccini nicht mehr geschafft und hat sich womöglich überholt gefühlt.

Beim Selbstmord der gefolterten Liù „nahm der Tod Puccini die Feder aus der Hand“, formuliert Reclams Opernführer in seiner 30. Auflage von 1969. Franco Alfano komponierte nach Puccinis Skizzen den Schluss. Hier baumelt Liùs lebloser Körper an einem Seil über den Köpfen der nun ergriffenen Zuschauer, danach aber auch über Turandot und Calaf, die nun völlig mitleidlos nur noch das Zueinander anstreben. Das Volk jubelt, einschließlich der Kinderchöre unter Leitung von Christian Lindhorst.

Zu den weiteren Solisten gehören Andrew Harris als Mandarin sowie Elbenita Kajtazi und Christina Sidak als 1. und 2. Damenstimme.

Nach einigem Zwischenbeifall für Heide Stober und das „Liebespaar“ kräftiger Applaus und Gekiekse im voll besetzten Haus. Viele junge Leute fallen an diesem Abend auf, vermutlich Touristen. Prima, dass sie auch in die Oper gehen und ihnen das hörbar gefallen hat.

Ursula Wiegand

 

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