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BERLIN / Deutsche Oper TOSCA – Sondra Radvanovsky, Vittorio Grigolo und Roman Burdenko triumphieren auf ganzer Linie

13.01.2023 | Oper international

BERLIN / Deutsche Oper TOSCA – Sondra Radvanovsky, Vittorio Grigolo und Roman Burdenko triumphieren auf ganzer Linie; 12.1.2023

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Foto: Youtube

Eigentlich braucht es ja „wenig“ für ein atemberaubendes Opernerlebnis, wenn „Tosca“ auf dem Spielplan steht. Ein atmosphärisch dichtes Bühnenbild, drei große, ausdrucksstarke Stimmen, also eine echte Spinto-Primadonna, einen temperamentvollen Tenor und einen grimmig gefährlichen Bassbariton. Und wenn dann noch ein animierender Sängerdirigent mit einem wissenden Orchester dazukommt, ist beim Publikum alles paletti.

In der Deutschen Oper Berlin hat gestern solch ein „einfach“ erstaunlicher Abend mit Riesenjubel stattgefunden. In der 410. Vorstellung seit der Premiere am 13. April 1969 ist die legendäre Produktion des Teams Barlog/Sanjust in den mächtigen realistischen Bühnenbildern mit Kirche, Palazzo Farnese; Engelsburg noch genauso spieltauglich wie am ersten Tag und gibt einen idealen Rahmen für drei außerordentliche „Bühnentiere“ ab.

Ich gestehe, dass ich nach meinem persönlichen Tosca-Rausch in den 70-er und 80-er Jahren nicht mehr in dieser Oper war, weil ich dachte, dass die damaligen „Toscas“, die in Wien zu hören waren (u.a. Marton, Rysanek, Nilsson, Caballé, Scotto, Dimitrova, Tomowa-Sintow, G. Jones), ohnedies nicht zu toppen seien. Und jetzt sehe ich Sondra Radvanovsky auf der Bühne, aktuell in Europa auf Tosca-Tour unterwegs (Zürich, Berlin, Barcelona). Groß, schlank, elegant, mit großer dramatischer Stimme und ebenso tragfähigen Piani, eine berauschende Darstellerin von der eifersüchtigen Diva im ersten Akt, die hierauf sofort die Todesgefahren ahnt und ihren geliebten Mario mit Messern verteidigt bis zum berührenden dritten Akt, wo Schein und Sein sich in melancholischer Poesie samt hochdramatischem Finale verzahnen wie kaum in einem anderen Stück.

Die an der MET vor allem mit Verdi und Belcanto-Rollen zur Diva Assoluta gereifte Radvanovsky ist ein vokales Ur-Ereignis. Die wenig plattentaugliche Riesenstimme mit einem eigentümlichen metallischen Vibrato kann ihre Macht und Faszination erst im Bühnenraum entfalten. Da hat diese Sängerin alles drauf, was zu einer intensiven und Top-Rollengestaltung der in politische Wirren geratenen Sängerin Floria Tosca gehört. In der gnadenlosen Eifersucht schnaubt sie furios wutentbrannt, sofort darauf hat sie für ihren Mario sanft taubengleiches Gurren parat. In der Attacke des zweiten Akts steht sie mit ihren unendlichen Mitteln auf Augenhöhe mit ihrem brutal bigotten Verführer. Das Gebet „Vissi d’arte, vissi d’amore“, das ich zu Mittag desselben Tages auf dem Begräbnis einer Nachbarin, einer bedeutenden ehemaligen Museumsdirektorin in Berlin, mit Maria Callas gehört habe, erklingt bei Radvanovsky in derselben flehentlichen Glut und stimmtechnischen Perfektion. Für mich reiht sie sich damit ganz klar und natürlich in die Reihe der oben genannten bedeutenden Rollenvertreterinnen. Der frenetische Applaus des Publikums scheint zu zeigen, dass es viele gibt, die diese Meinung teilen.

Das zweite Wunder an dem Abend ist, dass das Besetzungsbüro Stimmen gewählt hat, die erstaunlich gut zueinander passen. Da ist zuerst der aus der Toscana stammende Tenor Vittorio Grigolo zu nennen. Wie einst Franco Bonisolli gibt er einen leidenschaftlichen Revolutionär und zärtlich bis ungestümen Lover. Mit einer ebenso raumgreifenden wie technisch felsenfesten, hell timbrierten Stimme gesegnet, vermag er vom hingehauchten Piano bis zu den endlos gehaltenen Spitzentönen im zweiten Akt dem Maler Cavaradossi markantes Eigenprofil zu verleihen. Dass es auch Notenwerte gibt, die in der Partitur stehen, scheint den auch schauspielerischen Überflieger weniger zu interessieren.

Zum Glück ist da ein Dirigent, der kurzfristig eingesprungenen Valerio Galli, der Grigolo jeden Wunsch bezüglich seiner bisweilen manierierten Temporückungen von den Lippen abliest. Überhaupt kann Galli gemeinsam mit dem bestens disponierten Orchester der Deutschen Oper Berlin auch im Orchestergraben mit dem nötigen Suspens, mit beweglicher Italianitá und mit berauschenden Klangfarben (Celli und Klarinette im Vorspiel zur berühmten Tenorarie im dritten Akt „E lucevan le stelle“ klingen berückend schön) den Opernfuror trefflich mit anheizen.

Nicht minder beeindruckend ist der russische Bassbariton Roman Burdenko, der einen grausamen und dennoch unwiderstehlichen Baron Scarpia auf die Bühne wuchtet, einen bigotten Lüstling und willkürlichen Despoten, wie er im Buche steht. Sein Bariton, der mich an James Morris erinnert, scheint keine stimmlichen Grenzen zu kennen. Eberhard Wächter hat uns einmal nach einer Tosca am Bühnentürl erzählt, dass er im Te Deum, um gehört zu werden, ganz einfach vor Takt einsetzt. Das braucht Burdenko nicht, so mächtig und durchdringend kann er seinen metallisch grundierten, gerade geführten Bariton einsetzen. Das Aufeinanderprallen der Protagonisten, vor allem mit der Tosca der Sondra Radvanovsky im zweiten Akt, ist ganz großes Theater, ist packende Oper, die sich jeder Opernbesucher erträumt und halt nur selten bekommt.

Die kleineren Rollen sind mit Padraic Rowan (Mesner), Jörg Schörner (Spoletta), Patrick Guetti (Scarrione), Ossian Huskinson (Schließer) und als Hirte mit Nathalie Zint (Mitglied des Kinderchores der Deutschen Oper Berlin) so hervorragend wie spielfreudig besetzt. Nur dem stimmlich ebenso tadellosen Dean Murphy als Angelotti könnte ein wenig Schauspielunterricht nicht schaden, so patschert wie er sich beim Auftritt auf die Bühne fallen lässt, das muss nicht sein.

Insgesamt kann die Deutsche Oper Berlin einen bedeutenden Opernabend verbuchen, der in die Annalen eingehen wird.

Dr. Ingobert Waltenberger

PS:

Ein Video, das auch auf der Website der Sängerin abrufbar ist und einen schönen Ausschnitt aus dem zweiten Akt aus dem Jahr 2020 zeigt.

Zu Youtube

 

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