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BERLIN / Deutsche Oper: TOSCA – Camilla Nylund, Vittorio Grigolo und Daniel Luis de Vicente in mörderisch guter Form

16.06.2024 | Oper international

BERLIN / Deutsche Oper: TOSCA – Camilla Nylund, Vittorio Grigolo und Daniel Luis de Vicente in mörderisch guter Form; 16.6.024

Und es flogen die Fetzen

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Vittorio Grigolo, Camilla Nylund beim Schlussapplaus. Foto: Dr. Ingobert Waltenberger

Am 25. Juli 2024 werden Andreas Schager und Camilla Nylund als Tristan und Isolde Bayreuth eröffnen. Isolde und Brünnhilde (seit ihrem Debüt in Zürich im September 2022) stehen nun offenbar öfter auf dem Spielplan der vor allem im deutschen Fach zu Recht gerühmten jugendlich dramatischen Sopranistin. Die Ausweitung ins Hochdramatische tut Camilla Nylund hörbar auch in Spinto-Partien des italienischen Fachs gut.

Als Tosca an der Deutschen Oper Berlin machte nicht nur Nylunds fülliger und wärmer gewordener Sopran staunen, sondern die finnische Sängerin ließ auch schauspielerisch in bester Divenmanier aufbrausenden Eifersuchts-, Liebes- und Racheanfällen freien Lauf. Und das mit einem zwar durch ein Rückenleiden (Ansage) ein wenig in der Bewegungsfreiheit eingeschränkten Vittorio Grigolo als wie stets vor virilem Temperament glühenden Revolutionär Cavaradossi. Mit leidenschaftlichen Küssen im Liebesduett und einem fächerschleudernd furchterregenden ‚Giura‘ blieb kein Zweifel offen, dass diese Tosca es dem gefürchteten Scarpia bei seinen berechnend lüsternen Avancen nicht leicht machen würde.

Daniel Luis de Vicente, der kurzfristig für Erwin Schrott als Scarpia eingesprungen ist, gab als römischer Polizeichef diesen (stimm)mächtigen und grausamen, nach schönen Frauen und gutem Wein sabbernden Schurken comme il faut. Im zweiten Akt ließ er als kaum beherrschter jähzorniger Sadist seine brutalen Leidenschaften auf die mit allem weiblichen Raffinement gewaschene Tosca der Camilla Nylund prallen. Die dramatischen Passagen glückten der Sopranistin am besten. Der hohe Ton am Ende des ‚Gebets‘ wie das letzte ‚O Scarpia, avanti a Dio!‘ klangen zwar ein wenig nach Brünnhilde, aber wen störte das bei einem so glutvoll erhitzten Abend?

Matteo Beltrami am Pult des Orchesters der Deutschen Oper Berlin ließ es mit weiten Armbewegungen dem Sujet und der Partitur gemäß gehörig krachen, aber zu Beginn des dritten Akts auch feineren Töne der Streicher und im Holz den Vortritt. Die Koordination mit dem Chor vor dem Auftritt Scarpias im ersten Akt wackelte gehörig, aber auch das sind halt die typischen Ingredienzien von Repertoireabenden, wo nicht eine ausgetüftelte Detailliebe das Sagen hat, dafür die vokalen und orchestralen Fetzen fliegen. Wahrscheinlich nichts für Feinschmecker, aber für Liebhaber von Opernkrimis boten Nylund, Grigolo und de Vicente ein bestechendes trio infernal: Dramatische Wahrhaftigkeit vor stilistischer Goldwaage. In kleineren Rollen gefielen Samuel Dale Johnson als Angelotti, Padraic Rowan als komischer Mesner und Andrew Dickinson als fieser Spoletta.

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Vittorio Grigolo, Camilla Nylund beim Schlussapplaus. Foto: Dr. Ingobert Waltenberger

Fazit: Es war ein grandios packender Opernabend dieses Repertoire-Juwels der Deutschen Oper. Der Rahmen der Inszenierung und die bedrückend wuchtigen Bühnenbilder der Boleslaw Barlog/Filippo Sanjust Produktion aus dem Jahr 1969 funktionieren noch immer wie am Schnürl. Nylund, Grigolo und de Vicente boten große Oper mit Riesenstimmen und brennender schauspielerischer Intensität. Viel Applaus für alle Mitwirkenden. Im Publikum gesehen: Den offenbar opernaffinen Verteidigungsminister Boris Pistorius, der die wenigen Stunden Ablenkung vom politischen Geschäft sicher genoss.

Anm.: Falls ich die Spielpläne richtig gelesen habe, singt Camilla Nylund heute, einen Abend nach der Berliner Tosca, Salome in Wien!

Dr. Ingobert Waltenberger

Fotos: I. Waltenberger

 

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