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BERLIN/ Deutsche Oper: TOSCA

20.01.2020 | Oper

BERLIN / Deutsche Oper: TOSCA
19.01. (Werner Häußner)

Dieser Abend ist der Beweis, dass packend gestaltetes Musiktheater auch in betagten Inszenierungen stattfinden kann, die von jeder Anmutung modernen Regie- oder Nachregietheaters frei sind. Boleslaw Barlogs „Tosca“ –Inszenierung ist ein ähnlicher Saurier wie Margherita Wallmanns Wiener Dauerbrenner: Die 403. Aufführung seit 1969 stand am Sonntag an der Deutschen Oper auf dem Spielplan. Die Erwartungen sind – geprägt durch frühere Erfahrungen mit ähnlichen musealen Produktionen – gedämpft, das Ergebnis umso hinreißender. Und das nicht nur wegen einer prominenten Besetzung, die sonst lediglich Genießer schöner Stimmen befriedigen kann. Sondern durchaus als Gesamtkunstwerk, bei dem die Bühne und das Orchester nicht hinter den vokalen Highlights zurückstehen müssen.

Jetzt Vorsicht: Wer daraus ein Plädoyer für sogenannte werkgerechte Inszenierungen ableitet, bei denen die Engelsburg eben wie das Klischee der Engelsburg aussieht, Tosca wie das Klischee der Diva und Scarpia wie der Märchenbuch-Bösewicht, der geht in die Irre. Aber auf der anderen Seite ist festzuhalten: Nur weil Kostüme historisierend und ein Schauplatz durch die Angaben im Libretto identifizierbar ist, muss das Theater nicht abgelebt, verstaubt oder belanglos für die Gegenwart sein.

Was in Berlin – zum Teil mit angehaltenem Atem – zu verfolgen war, ist der Erfahrung und der Spiellaune der Protagonisten zu verdanken, die Spielleiterin Gerlinde Pelkowski offenbar sorgfältig eingewiesen hat. Andere, wie der grandios gestaltende Jörg Schörner als von der Macht paralysierte Kreatur, sind schon so lange im Ensemble, dass sie vermutlich auch im Schlaf ihre Rolle ausfüllen könnten. Der Vorzug dieses Abends: Alle wichtigen, aber nicht hervortretenden Partien waren von gestaltenden Darstellern besetzt: Byung Gil Kim als verzweifelter Angelotti, Timothy Newton als unbeeindruckt im System funktionierender Sciarrone. Dazu Noel Bouley als Mesner, der die Figur nicht karikiert, sondern die fahrigen Bewegungen und das übereifrige Getue als Ausdruck einer von Angst geschüttelten Seele genau auf dem Grat zwischen harmloser Naivität und gefährlichem Opportunismus balanciert. Selbst Padraic Rowan als Schließer kann in seinen paar Momenten des dritten Akts allein durch die Art seiner Bewegung das Geschehen stützen.

Richtig ist auch: Psychologische Vertiefung oder die Suche nach den tiefen Gründen für das Verhalten der Personen findet nicht statt. Darin liegt der Vorsprung gut gemachten Regietheaters, das angesichts der Eigenheiten von „Tosca“ allerdings oft in verkünstelten und eher unglaubwürdigen Abwegen steckenbleibt. Umso wichtiger ist der eigentliche Kern der Opernkunst, die Gestaltung mit der Stimme. Darin haben sich Saioa Hernandez, die Aufsteigerin im Sopranfach, und ihr Tenorpartner Jorge de León, eindrucksvoll hervorgetan.

Hernandez verfügt über das freie Timbre, den gefluteten Klang in allen Lagen, die Flexibilität und die sicher gestützte Brillanz eines echten Spinto-Soprans. Und sie setzt ihre Mittel klug und effektsicher ein. Der erste Akt mit seiner bohrenden Eifersucht gelingt wundervoll, im zweiten sind die emotionalen Extreme zwischen Entsetzen und Verachtung, Empathie und innerer Qual in Farbe und Führung der Stimme präsent. Dass dieser gläubigen Frau das Fundament ihrer Weltsicht, ihre existenzielle Verankerung in einem System transzendenter Gerechtigkeit entzogen wird, macht Hernandez in ihrer subtil, aber nicht oberflächlich balsamisch gesungenen Arie „Vissi d’arte“ deutlich. Der dritte Akt könnte eine Spur mehr von der Diva vertragen, die den Scheintod ihres Geliebten – und ihren pathetischen Abgang – inszeniert. Aber das sind Nuancen einer Interaktion, die keine Leerstellen, keine Momente des Spannungsabfalls kennt.

Jorge de León ist dabei ein Tenor, der mitspielt: Ein glaubwürdig solidarischer „Voltairaner“ im ersten Akt, ein selbstbewusstes Opfer im zweiten, der Scarpia gegenüber alles auf die Karte der Arroganz setzt. Stimmlich kann der Tenor aus Teneriffa mit sicheren, virilen Tönen punkten, er muss keinen Nachdruck erpressen. „Recondite armonie“ mag noch die lyrisch-schwärmerische Lockerheit vermissen lassen, die man etwa an Carlo Bergonzi oder dem jungen Alfredo Kraus bewundert. Aber de León zeigt einen präsenten, konzentriert gefassten Ton, der die Kontrolle nicht missen lässt. Und die Sterne im dritten Akt lässt er als vokale Juwelen leuchten.

Ludovic Tézier ist einer der führenden Darsteller des Scarpia auf internationalen Bühnen. Er weiß um die Effekte, die Puccini seinem düster-gierigen, eleganten Strategen des Bösen in die Partie komponiert hat. Sein Auftritt im ersten Akt hat Wirkung, sein stimmliches Format ist untadelig. Umso mehr irritiert, dass auch Tézier seinen Scarpia im zweiten Akt impulsiven Jähzorn ausleben lässt, statt ihn als den kontrollierten, seine brennende Gier kalkuliert einsetzenden, stets überlegenen Machtmenschen zu zeichnen. Scarpia verliert doch genau zwei Mal die Fassung: das erste Mal für Sekunden, als er vom Sieg Napoleons erfährt, das zweite Mal, als er sich endlich der begehrten Frau sicher fühlt: „Tosca, finalmente mia …“. Entsprechend würde der voluminöse Ton, die satt ausgesungene Phrase das eine oder andere Mal durch subtileren Schliff noch an expressivem Gewicht gewinnen.

Merken muss man sich den Namen des Dirigenten: Yoel Gamzou, derzeit GMD in Bremen. Sein Dirigat – und das in einer Repertoirevorstellung mit sicherlich keinen großen Probezeiten – ist so fabelhaft idiomatisch treffend wie selten zu erleben. Da stimmen die Relationen der Dynamik, die Tempi atmen mit den Sängern, das Metrum ist lebendig, die Agogik wirkt natürlich und organisch. Gamzou lässt Puccinis Musik pulsieren, aufschäumen, sich in bedeutungsvollen Gesten ausspielen; er beherrscht das erfüllte Legato ebenso wie den scharf gefassten Rhythmus.

Man beobachtet mit bewundernder Genugtuung, wie er mit den Sängern agiert, wie er das Orchester mitnimmt – und wie die Musiker ihm folgen, ihre Stärken ausspielen, Details offenlegen und die Farben der Musik leuchten lassen. Da mag ein Übergang weniger bewusst als ein anderer gestaltet sein, da mag es Sekunden abfallender Konzentration geben: Man bemerkt es, aber es hat im Ganzen kein Gewicht, weil Puccinis Musik so fesselnd und so zutreffend geboten wird. Großes Kompliment!

Werner Häußner

 

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