Berlin / Staatsballett: MESSA DA REQUIEM, ein düsteres Gesamtkunstwerk wird zu Recht bejubelt, 14.04.2023
Polina Semionova als Sterbende. Copyright: Serghei Gherciu
Die Erwartungen waren und sind groß, hat sich doch Christian Spuck, der künftige Chef des Staatsballets Berlin, an diesem 14. April 2023 dem Publikum in der ausverkauften Deutschen Oper Berlin vorgestellt und das mit keineswegs leichter Kost. Doch es ist ihm überzeugend gelungen.
Bekanntlich ist Guiseppe Verdis „Messa da Requiem“ ein zumeist düsteres Werk und ebenso ist es die nun Bühne, gestaltet von Christian Schmidt. Auch die Kostüme von Emma Ryyott sind schwarz, geht es doch ums Sterben oder sogar schon um die Beerdigung.
Die Angst vor Bestrafung und ein Jenseits in der Hölle für diejenigen, die nicht den strengen Geboten der katholischen Kirche gefolgt haben, schildert Verdi in eindringlichster Art und Weise. Dennoch zieht dieses Meisterwerk immer wieder die Menschen an, vor allem jene, die diese Messa nicht ohne Grund als dramatische Oper bezeichnen. Das beweist auch dieser Premierenabend, der sich schnell zu einem raumgreifenden und lange vermissten Highlight entwickelt.
Christian Spuck zeigt nun auf der Bühne in einer Neuinszenierung zahlreiche Tableaus mit diversen Inhalten, die der Aufmerksamkeit wert sind. Ebenso aufmerksam lauschen alle fasziniert dem Rundfunkchor Berlin, einstudiert von Justus Barleben, der alle der geschilderten Ereignisse passend interpretiert. Schon bei den ersten Takten nimmt der Wohlklang dieses weltbekannten Chors das Publikum spürbar gefangen.
Auch die vier Solisten – Olesya Golovneva, Sopran, Annika Schlicht, Mezzo, Andrei Danilov, Tenor und Lawson Anderson, Bass) überzeugen. Zum Schluss wird Annika Schlicht besonders gefeiert.
Zunächst macht nicht nur bei Verdis Messa die Bitte um Erbarmen den Anfang, während die im Dies Irae folgenden Drohungen fast Schrecken erregend durch den großen Saal hallen. Dabei gewinnt das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Nicholas Carter ebenfalls eine führende Rolle.
Schon 2016 wurde diese Choreographie von Christian Spuck an „seiner“ Oper Zürich zu einem ein Riesenerfolg, in Berlin wird sie in ihrer Art und Größe zum Ereignis und lässt auf weitere positive Überraschungen hoffen. Der lang anhaltende Jubel zum Schluss der Berliner Premiere zeigt, wie sehr diese Belebung von Verdis Musikdrama durch das Ballett gefallen hat. Die Tanzenden formen aus dieser Messa ein Musiktheater mit besonderer Prägung. Noch mehrere Male steht es im Programm.
Polina Semionova, David Soares. Copyright: Serghei Gherciu
Warum aber überzeugt diese Adaption? Weil Spuck den Tanzenden keine Rollen aufdrückt. Sie agieren alleine, in Gruppen und vor allem zu zweit oder zu dritt. Insbesondere die zahlreichen, klassisch orientierten Pas de deux mit ihren Hebungen bannen die Blicke, vor allem dann, wenn die Startänzerin Polina Semionova – die einzige im hellen Gewand – zusammen mit David Soares im Rex tremendae und im Agnus Dei zu bewundern ist. Letztendlich erscheint sie, am Boden liegend, wie ein Opferlamm, das ohne Fremdeinwirkung sterben muss. Sehr bemerkenswert agiert auch Weronika Frodyma, doch alle die vielen anderen haben sich ebenfalls dieses tänzerisch angereicherte Verdi-Werk überzeugend zu eigen gemacht.
In Spucks Inszenierung wird also diese Messa tatsächlich zum Musiktheater, das auf weite Strecken das menschliche Miteinander auch am Lebensende und danach zeigt. Für Verdi, den freiheitlichen Geist, war jedenfalls seine musikalische Interpretation von Requiem-Gebräuchen keineswegs eine Verbeugung vor der damals äußerst strengen katholischen Kirche, sondern ein Hoch auf Italien.
In Berlin zeigt sich nun Verdis Messa als Gesamtkunstwerk, das Orchesterklang, Gesang, Tanzkunst und Raumnutzung bestens verbindet. Christian Spuck hat damit gekonnt seine Visitenkarte abgegeben. Die heftig Beifall Spendenden sind nun gespannt auf das Kommende, besitzt doch das Staatsballett Berlin genügend talentierte Tänzerinnen und Tänzer, um zu neuen Ufern zu starten. Ursula Wiegand