Berlin / Staatsballett an der Deutschen Oper mit EK /EkMAN, 12.03.2023
„A Sort of“. Foto: Yan Revazov
Hurra, die Schweden sind gekommen, und vor allem die jungen Tanzfans füllen den großen Saal der Deutschen Oper Berlin fast bis zum letzten Platz. Denn seit der Premiere am 16. Februar wissen alle Interessierten, dass gerade am Staatsballett Berlin mit Stücken von Mats Ek und Alexander Ekman Herausragendes geboten wird. Jeder der beiden hat nach eigenen Tanzerfahrungen auf seine Weise den Weg in die Moderne gefunden.
Mats Ek (77), ist mit seinem Stück „A Sort of“ von 1997 als Erster an der Reihe. Schon diese rätselhafte Bezeichnung lässt eine eher nachdenkliche Choreographie erwarten.
Er ist sogar vorab angereist, um sein Stück mit dem Staatsballett einzuüben, lässt den Tanzenden jedoch Freiräume, wenn er erklärt: „In dieser Arbeit geht es darum, wie wir Kunst beobachten und wie oft wir das Bedürfnis verspüren, Kunst zu analysieren und zu verstehen. Ich glaube, dass es keinen richtigen Weg gibt und dass jede:r Kunst so interpretieren und erleben kann, wie er oder sie möchte.“
Das lässt Platz für die Fantasie., und es stört nicht, dass die Musik von Henryk M. Górecki vom Band kommt. Von einem faszinierenden Pas de deux werden wir sofort gefangen genommen.
Die Rollen erscheinen jedoch vertauscht, was aber nur am Outfit zu erkennen ist. Arshak Ghalumyan, sonst ein eher sportlicher Tänzer (der auch choreographisch tätig ist) trägt einen rosafarbenen Damenmantel und Damenschuhe. Zunächst liegt er schlafend auf dem Boden. Wie er beim Erwachen in ungewöhnlicher Weise die Glieder reckt, wird bereits zum ästhetischen Genuss. Den (angeblichen) Partner im braunen Anzug greift er sich aus dem Publikum: die zarte Vivian Assal Koohnavard.
Während des Pas de deux und von Ghalumyan umhergetragen, zieht sie sich einen Schuh aus und trägt den nun auf dem Kopf. Er wandert dann zum anderen Kopf und wird schließlich zum Abschrubben Ghalumyans genutzt. Eine lustige Idee, die wohl den Wünschen von Mats Ek entspricht, der folgendes betont:
„Meine Choreographien sind mit einem Subtext unterlegt: wenn man sie tanzt, muss man mit der Bewegung bestimmte Bilder und Gefühle verbinden. Ohne diese sehen die Bewegungen einfach nur merkwürdig und fremd aus. Der Fokus muss immer klar sein: bei einem Solo liegt er im Inneren der Person, bei mehreren Tänzern im Bezug auf das Gegenüber.“ Das hat hier funktioniert. Zuletzt sitzen all’ diese „Bunten“ nach ihren Darbietungen fröhlich auf einer mit einem grünen Tuch behängten Mauer.
Im Übrigen wechselt die Besetzung bei den einzelnen Terminen und ebenso die Bekleidung. Maria Gerber, zuständig für Bühne und Kostüme, liebt wohl Farben, verteilt aber die Garderobe unterschiedlich. Ein Tänzer muss sich mit einer Badehose begnügen.
Wichtiger ist jedoch, dass manche Tänzerinnen und Tänzer, die lange Zeit zumeist nur klassisches Ballett getanzt haben, auch moderne Choreographien gerne und gut interpretieren. Das Staatsballett Berlin, das ohne einen Chef-Choreographen auch die Pandemie überstehen musste und an Wertschätzung verloren hatte, zeigt sich nun sehr gut in Form und ist deutlich auf dem Weg nach oben. Der designierte Leiter Christian Spuck wird hier schon am 14. April Verdis „Messa da Requiem“ seine Visitenkarte abgeben.
„Cacti“. Foto: Yan Revazov
Nach der Pause folgt CACTI (von 2010), eine Choreographie von Alexander Ekman (39), die zum internationalen Renner geworden ist. Dazu gibt es live-Musik von Joseph Haydn, Ludwig van Beethoven und Franz Schubert, gespielt von Elisabeth Heise-Glaß (1. Violine), Aaron Biebuyck (2. Violine), Maria Dubovik (Bratsche) und Arne-Christian Pelz (Cello) vom Orchester der Deutschen Oper Berlin. Die Vier bewegen sich um die Tanzenden herum, und bieten neben Schönklang mit sichtlicher Freude auch Konzentration und exakten Rhythmus.
Ekman galt zunächst als Rebell, da er die die zeitgenössische Tanzszene parodierte. Die in seinen Augen auf diesem Gebiet affektierte kreative Szene kriegte ebenfalls ihr Fett weg.
Ekman, auch zuständig für Bühne und Kostüme, stellt nun 27 Tänzerinnen und Tänzer auf kleine Podeste belegt mit weißen Holz-Quadraten. Scheinbar sind sie gefangen und wollen weg. Tempo-Tanzen ist angesagt, als wären sie alle im Fitness-Studio.
Sie stampfen und zucken auch unermüdlich und das mit solcher Kraft und Ausdauer und solch exakten Rhythmen, als planten sie eine diesbezügliche Weltmeisterschaft. Mit den weißen Holzquadraten werden knallende Geräusche erzeugt, alles ist laut und heftig. Gut so!
Dazu wird auf Englisch ein Text von Spenser Theberge gesprochen, den angeblich zwei hin und her Tanzende – Danielle Muir und Johnny McMillan – beim Üben von sich geben. Schmeicheleien sind es sicherlich nicht.
Das Publikum lacht und gluckst. Das Gleiche geschah wohl noch deutlicher im Ausland. Zwanzig Tanzcompagnien weltweit haben das Stück bereits aufgeführt. In den USA soll sich das Publikum fast kaputt gelacht haben.
Für das Durchhalten gewinnen sie schließlich (angeblich alle einen Kaktus, dessen Stacheln vielleicht den Aufbruch in die Freiheit ermöglichen und ihnen auch helfen könnte, ihre ganz persönliche Sicht auf die Kunst zu verteidigen.
Ursula Wiegand
Letzter Termin für EK/ Ekman am 22. März. – In der Staatsoper Berlin werden bis in den Mai hinein Ekmans LIB mit Sharon Eyals Strong kombiniert.