BERLIN / Deutsche Oper SIMON BOCCANEGRA – 3. Vorstellung seit der Premiere am 29. Jänner 2023; 4.2.
Verdis musikalisch vielleicht vielschichtigste Oper floppt szenisch und musikalisch
Attilio Glaser, Liang Li, Maria Motolygina, George Petean. Foto: Deutsche Oper Berlin/ Bettina Stöss
Und in dem „Wie“, da liegt der ganze Unterschied. Dieses Zitat von Hugo von Hofmannsthals aus dem „Rosenkavalier“ passt wohl zu dieser szenisch missglückten und musikalisch langweiligen Vorstellung von Verdis an sich aufregend schöner Oper „Simon Boccanegra“ in der zweiten Fassung von 1881 ergänzt um das Vorspiel der Fassung von 1857.
Seit der Premiere an der Wiener Staatsoper vom 22 März 1984, dirigiert von Claudio Abbado, gehört diese komplexe Oper um politische Macht von Clans und die Verschmelzung von Regierungsverantwortung mit privaten Traumata zu meinen absoluten Lieblingsopern. Man braucht zum Erfolg dieser Oper beim Publikum ein erstklassiges Orchester, einen genialen Dirigenten und sechs stimmmächtige und rein vokal zu Charakterstudien befähigte Solisten, sowie ein Bühnenbild und Kostüme, die die Atmosphäre der Musik verstärken oder zumindest spiegeln.
Regisseur Vasily Barkhatov hat nicht Unrecht, wenn er konstatiert, dass ihn die Geschichte an mexikanische Fernsehserien unserer Tage erinnert, wo alle zehn Minuten eine neue Ungeheuerlichkeit geschieht und man wie ein Detektiv herausfinden muss, wer etwa wen vor hundert Jahren umgebracht hat und wessen Bruder sich in wessen Schwester verliebt.“ Für ihn ist die Botschaft des Stücks, dass sich die Strukturen politischer Machtausübung nicht mit dem Wunsch nach privatem, familiärem Glück vereinen lassen und letztlich tragisch scheitern. Im Idealfall bedeutet es, Politiker zu sein, alles dem Amt als Diener des Staates zu opfern.
Dieser philosophische Ansatz ganz nach Art eines Kant’schen Imperativs mag in Theorie zutreffen, zur szenischen Mobilisierung von glutheißen Emotionen, fiesen Intrigen und rasenden Eifersüchteleien taugt er nicht. Die Schöpfer von Opern wie „Il Trovatore“, „La forza del destino“ oder „Simon Boccanegra“ – und da stimme ich dem Dramaturgen Sebastian Hanusa voll zu – interessieren sich für die ganz großen Emotionen, für Extremsituationen, Schockmomente, für starke Bühneneffekte und für das Grelle und bizarr Überzeichnete.
Und was bekommen wir auf der Bühne der Deutschen Oper Berlin von Bühnenbildner Zinovy Margolin und den Kostümen von Olga Shaishmelashvili serviert? Auf der Drehbühne sehen wir z.B. im Prolog dieses von adeligen Familien in Norditalien handelnden Stücks irgend einen Bibliotheksraum Marke null acht fuffzehn mit einer nichtssagenden Standard-Möblage und als Mädchenpensionat im ersten Bild des ersten Akts ein vor kaltlichtiger Hässlichkeit nur so strotzenden Schlafsaal mit drei einfachen Betten, einem Ikearegal und Plastiksesseln. Amelia schlapft im pink Pyjama und Filzgaloschen rum und vertreibt die beiden Zimmernachbarinnen aus dem Bett, bevor ihr Geliebter Gabriele Adorno in Uniform bequem durch das Fenster hereinsteigt und die beiden im operationssaaltauglichen Neonlicht ihr „romantisches“ Liebesduett singen. Und natürlich besucht auch der Doge seine plötzlich als Tochter erkannte Amelia in diesem Schlafzimmer, natürlich vor laufenden TV-Kameras und zeitweise in projiziert-grieseliges Weiß getaucht.
Und so weiter und so fort. Mit solch einer Optik kann gar keine Stimmung aufkommen, weil die Musik eine völlig andere Sprache spricht. Da ist in Tizianfarben von politischem Auf- und Abstieg, individuellen Befindlichkeiten, Erinnerungen, verbohrten Phantasmagorien und inkompatiblen Leidenschaften, Mord und Irrtümern die Rede, vom ewigen Rad der persönlichen und politischen Korruption und des Scheiterns.
Dazu hat Verdi eine einzigartige, ganz und gar nicht melodiensprühende Partitur voller dramatischer Kontraste und in scherenschnittartigen Szenen geschaffen, ja ein musikalisches Universum errichtet, in dem zwei tiefe Männerstimmen dominieren. Wer wissen will, wie das im Bestfall (orchestral) klingen kann, der höre sich etwa die Aufnahme unter Claudio Abbado aus der Mailänder Scala (Deutsche Grammophon) oder den Filmmitschnitt aus der Wiener Staatsoper mit Thomas Hampson, Cristina Gallardo-Domas, Ferruccio Furlanetto, Boaz Daniel und Dan Paul Dumitrescu mit dem Dirigenten Daniele Gatti an.
Leider hoppelt die musikalische Leitung des Jader Bignamini in einem lauschigen Mittelmaß mit einigen überhitzen Fortissimi dahin. So spannungsarm und beiläufig darf Oper insgesamt nicht daherkommen.
Von der Sängerbesetzung ragen nur der von Timbre, von Diktion und Expansionsfähigkeit her erstklassige Bass des Liang Li als Jacop Fiesaco und die rohdiamantene, in den voluminösen Höhen schon jetzt ungemein beeindruckende russische Sopranistin Maria Motolygina, Absolventin des Nachwuchsprogramms am Bolschoi-Theater, als Maria /Amelia heraus. George Petean gibt einen allzu routinierten, allzu braven Simon Boccanegra. Michael Bachtadze fehlt für den Paolo Albiani jegliche Dämonie und Schwärze und Attilio Glaser beschränkt sich als Gabriele Adorno auf ein unsinnliches Dauerforte.
Schade. Eine vertane Chance. Das Haus war in dieser dritten Vorstellung ganz und gar nicht gut besucht. Wen wundert’s?
Dr. Ingobert Waltenberger