BERLIN / Deutsche Oper: RIENZI, Wagner -Woche, 10.5.2019
18. Aufführung seit der Premiere am 24.1.2010 in der Regie von Philipp Stölzl
Rienzi, dieses vom Komponisten selber als „Schreihals“ in fünf Akten weggelegte Zwitterkind zwischen frühen noch von Bellini beeinflussten Opernanfängen und dem Beginn von Wagners Reifephase mit dem ,Fliegenden Holländer‘ wurde durch Hitlers Leidenschaft für die Musik endgültig diskreditiert. Daher findet es nur selten Eingang in das Repertoire, und wenn dann nur als mehr oder weniger amüsante Faschisten-Persiflage, wie im vorliegenden Fall, wo Charlie Chaplin, kulturgeschichtliche Ausflüge zu George Grosz&Co, aber auch das gesamte filmische Arsenal der Nazi-Propaganda einen optisch ganz schön überfrachteten Abend aus der Regietheater-Mottenkiste ergeben. Dabei kennt niemand diese Oper ganz, wird doch immer nur eine extrem zusammengestrichene Version gespielt. In diesem Fall an der Deutschen Oper hat man aus den 6 Stunden netto Musik 2 1/2 gemacht. Warum es von dieser durchaus interessanten frühromantischen Chor-Oper mit motivischen Tannhäuser- und Lohengrin-Vorwegnahmen weder eine einzige komplette Platteneinspielung gibt noch innovative Inszenierungsversuche abseits der üblichen, ist mir ein Rätsel. Schließlich ist ja auch unsere Welt politisch nicht stehen geblieben und hat sich mit völlig neuen digitalen, oligarchen oder konzernzentrierten Machtambitionen und -instrumenten herumzuschlagen. Die tägliche Zeitungslektüre liefert jede Menge an anschaulichen Beispielen.
Musikalisch ist der Abend geprägt durch eine triumphalen Sangesleistung des Ensemble-Mitglieds Annika Schlicht als Adriano. Die junge schwäbische Mezzosopranistin mit beeindruckendem Altfundament und dramatischer Attacke macht als Sohn des adeligen Verschwörers Steffano Colonnas und Geliebte der Schwester Rienzis den seelischen Zwiespalt, die Zerrissenheit in den Loyalitäten beeindruckend hörbar. Mit glühend dunklen Tönen und luftig aufschwingenden Höhen ist sie das vokale und emotionale Epizentrum der Aufführung. Bei der extrem anfordernden Arie „Gerechter Gott“ kommt allerdings auch Annika Schlicht gegen Ende kurz an ihre Grenzen.
Irene sollte eigentlich von Elisabeth Teige gesungen werden. Wegen einer plötzlichen Erkrankung hat sie sich dankenswerterweise bereit erklärt, die Partie der Irene zu spielen. Also musste man sich kurzfristig auf die Suche nach einer „Ersatz-Irene“ machen, was bei einem so selten gespielten Stück in unterschiedlichsten Strichvarianten ein äußerst schwieriges Unterfangen darstellt. Zwei Stunden vor Vorstellungsbeginn ist Camila Ribero-Souza im Theater eingetroffen. Sie hatte die Partie der Irene einmal vor acht Jahren gesungen und das auch in einer völlig anders gekürzten Version als an der Deutschen Oper Berlin. Die tapfere brasilianische Sängerin mit offenkundigem Blattsingvermögen, akustisch leider ungeschickt auf der Bühnenseite platziert, verfügt über einen leuchtenden jugendlich dramatischen Sopran. Sie sang bereits im Tannhäuser die Venus und Elisabeth an einem Abend. Im Liebesduett mit Adriano im ersten Akt und im großen Duett mit Rienzi im fünften Akt setzt sie Maßstäbe an dem für diese Rolle so schwierigen Spagat zwischen belkantesk leichtgängigen Verzierungen und dramatischer Durchschlagskraft. Das gilt auch für die Ensembles, wo schon einmal ein hohes Cis fällig wird.
Seit der Premiere mit dabei und unverzichtbar schon wegen der vielen vorfabrizierten Videos ist Torsten Kerl in der Titelpartie. Auch er hat ein Double (Uri Burger), von dem während der Ouvertüre zuerst nur eine Hand sichtbar über den Rand des Chefsessels baumelt. Panoramafenster, Obersalzberg: Rienzi trägt weiße Uniform, sieht aus wie ein Rad schlagender kindischer Göring, der zum Trichter-Grammophon dirigiert und auch einen zirkustauglichen Salto rückwärts auf dem Schreibtisch vollführt. Im ersten Akt gibt es dann den wirklichen Torsten Kerl: Er verfügt über einen höhensicheren, metallisch näselnden Tenor mit enormen Durchhaltevermögen. Er ist ein Routinier im besten Sinn des Wortes, die Partie liegt ihm trotz der immens hohen Tessitura hörbar in der Gurgel. Eigentlich ist die Partie eine undankbare Wurzen, hat Rienzi doch aktelang jede Menge an rezitativischen und ariosen Ansprachen zu singen sowie Ensembles zu pfeffern, bevor er im fünften Akt in der lyrisch verinnerlichten Arie „Allmächt’ger Vater, blick herab!„ Wunder an Legato und italienischer Phrasierung schaffen soll. Torsten Kerl kann das natürlich auch nicht, aber liefert eine hoch achtenswerte Gesamtleistung mit Stil und Kondition.
Das Rauf- und Runtersingen des gesamten Wagner Tenorfach hat allerdings auch schon seinen Tribut gefordert, so kommen die höchsten Höhen nicht ohne einen kleinen Anschleifer aus.
Von den kleineren Partien fällt Derek Welton in der Rolle des Kardinals Orvieto mit balsamischem Bass auf, die Antagonisten Steffano Colonna und Paolo Orsini sind mit Andrew Harris und Dong-Hwan Lee, die beiden Rienzi-Vasallen Baroncelli und Cecco del Vecchio mit Clemens Bieber und Stephen Bronk tauglich besetzt.
Die Hundertschaft des Chors der Deutschen Oper Berlin kann sein hohes Niveau erneut unter Beweis stellen. Exzellent von Jeremy Bines präpariert, gelingen der glorreichen Formation vor allem in zweiten Teil große eindringliche Momente. Homogenität, runde klangvolle Piani und satte Forteentladungen, alles zur Wonne des Publikums.
Am Pult stand Evan Rogister, ein aufstrebender Stern am Dirigentenhimmel, zumindest was seine Engagements zwischen Washington, der MET und dem Bolshoi Theater Moskau anlangt. Er arbeitet handwerklich sauber, der erste Teil klang bisweilen jedoch zu behäbig. Italienisches Fluidum, wie vom Dirigenten der Premiere, Sebastian Lang-Lessing, im Programmheft eingefordert („Man sollte an das Stück musikalisch wie an einen frühen Verdi herangehen“) war nicht auszumachen. Der berühmte romantische Sound des Orchesters der Deutschen Oper Berlin war auch diesmal das Atout der Aufführung. Wagner ist hier an der Bismarckstrasse immer in guten orchestralen Händen.
Zum Schluss dankt das Publikum mit kurzem, heftigem Applaus; mit vielen Bravi für die Damen Schlicht und Ribero-Souza, Torsten Kerl, den Chor und Orchester.
Dr. Ingobert Waltenberger