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BERLIN / Deutsche Oper PIQUE DAME – mit Ivan Gyngazov, Maria Motolygina, Lucio Gallo, Dean Murphy und Jennifer Larmore

27.06.2025 | Oper international

BERLIN / Deutsche Oper PIQUE DAME – mit Ivan Gyngazov, Maria Motolygina, Lucio Gallo, Dean Murphy und Jennifer Larmore; 26.6.2025

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v.l.n.r.:Motolygina, Gyngazov, Larmore. Foto: Dr. Ingobert Waltenberger

Das Berliner Wetter hält gerade die eine oder andere Herausforderung für das Opernpublikum bereit. War es am Montag auf dem Weg zur Orangerie in Potsdam und damit zur Premiere von Agostino Steffanis „Orlando generoso“ ein Schlingern mit dem Auto durch herabgefallene Äste und die in Sturmböen von oben wütende Alleenvegetation (das gesamte S-Bahnnetz war ausgefallen), so zog auch gestern just zur Zeit des Aufbruchs in die Oper eine gewaltige Gewitterfront durch Berlin

Diese Wetterlage setzte sich dann werkgerecht in Tchaikovskys „Pique Dame“ fort, denn da hat der Komponist dem Libretto seines Bruders Modest nach der Erzählung von Alexander Puschkin gemäß ein Gewitter in scharfrhythmisch wogende Noten gesetzt.  Die Premiere der Produktion in der Inszenierung von Sam Brown (Ausstattung Stuart Nunn) fand am 9. März 2024 statt. Noch unrunder als am ersten Tag wirkt diese reißerisch-hollywoodeske Gemengelage aus 18. Jahrhundert-Elementen in Bühnenbild und Kostümen, projizierten Stummfilmszenen der Vorgeschichte der alten Gräfin und neonbeleuchteten Kulissen, garniert mit allerlei stilisiertem Orgiengereibe (völlig jugendfrei) beim festlichen Ball Jeletzkijs und einer hübschen Tanzeinlage des schwarz korsettierten männlichen Balletts im alkoholgeschwängerten Spielkasino des letzten Bilds.

Inszenierung und Bühnenbild stehen bei einer Repertoireaufführung nicht mehr im Zentrum des Interesses („Die Kröte will geschluckt sein“), sondern die musikalische Seite der Aufführung. Und da gibt es doch erheblich Positives zu berichten. Im Graben dramatisch aufgeputscht und zu einem aufrüttelnden Seelengemälde gespachtelt, entlockte der slowakische Dirigent Juraj Valčuha, seit 2016 Musikdirektor des Teatro San Carlo Neapel, mit überschäumendem Temperament und geschürzten Tempi dem Orchester der Deutschen Oper Berlin einen pastosen Tchaikovsky-Klang. Manche agogische Feinheit, smoothe Übergänge und das geheimnisvoll Gespenstische fanden dabei zwar minder Gehör, für die heftigen, unversöhnlich aufeinander prallenden Leidenschaften und Emotionen, die aufgestachelte Natur, das Militärisch Genrehafte und Tänzerische der Partitur fand Valčuha jedoch einen dramaturgisch adäquat mitreißenden Gestus.

Für den Hermann war der in Nowosibirsk ausgebildete russische Tenor Ivan Gyngazov aufgeboten. Darstellerisch blieb er dem auf der militärischen Hierarchie wenig angesehenen, von Spielsucht und einer kurz aufflammenden Leidenschaft zu Lisa besessenen Hermann nichts schuldig. Die metallisch sicheren Höhen gleißten in heldischer Attacke und beeindruckender Phonstärke, die untere Mittellage und Tiefe erwiesen sich als weniger tragfähig fokussiert.

Die Lisa der Maria Motolygina ist auch stimmlich passend eine junge Frau mit leuchtendem lyrischen Sopran, einer grundlegend hohen Musikalität bei vereinzelten Verhärtungen in der extremen Höhe. In der Inszenierung wird sie zur unreifen Kindsfrau mit Brille und Babylockenfrisur degradiert, was der Dramaturgie des Stücks überhaupt nicht gerecht wird und die Balance der Charaktere in eine komische Schräglage rückt. Natürlich ist diese von der Strenge der Großmutter überbehütete Lisa von der Wildheit der Werbung des Hermann überwältigt, aber es wird überhaupt nicht klar, aus welchem Grund der konservative Fürst Jeletzkij in diesen freakig puppenspielenden Teenager verliebt sein soll.

Noch abstruser steht es um die charakterliche Zeichnung und Rollengestaltung der Gräfin. Jennifer Larmore, ein von mir adorierter einstiger Spielmezzo im Mozart- und Rossinifach, hat sich nach und nach das dramatischere Charakterfach erobern können. Stimmlich hat sie natürlich mit der (vokal) kleinen Rolle der Gräfin keinerlei Schwierigkeiten, wenngleich ihr die Tessitura der Rolle im Grunde genommen zu tief liegt. Aber die für die legendär mystische Schöne aus Pariser Salons und einst Spielbesessene mit dem Kartengeheimnis viel zu jung wirkende Larmore (die Großmutter der Lisa nimmt man ihr auf keinen Fall ab) muss die Rolle als dem Whisky nicht abgeneigte, hormongesteuerte, profan überkandidelte Filmdiva gestalten. Den in ihren Salon geschlichenen Hermann will sie unerschrocken postwendend verführen, merkt aber bald, dass der junge Draufgänger weniger von ihren weiblichen Reizen, sondern nur an ihrem sagenumwobenen Geheimnis interessiert ist. Warum die so völlig Angstbefreite dann am Schrecken sterben soll, bleibt ein Rätsel.

Als stimmlich und von den Typen her großartig besetzt, erweist sich die Männerriege rund um Hermann.  Allen voran der umwerfende Dean Murphy, seit 2021/2022 Ensemblemitglied der Deutschen Oper Berlin, als Fürst Jeletzkij. Der blendend aussehende amerikanische Bariton verfügt über ein männlich elegantes Traumtimbre, und vermag seine in allen Lagen ausgewogenen kernig dunkle Stimme in luxuriösem Legato aufblühen lassen als auch zu markant differenziertem Parlando formen. Lucio Gallo führt als (von der Regie vulgär gezeichneter) Graf Tomskij sein nach wie vor heldenbaritonales, ungestüm flackerndes Feuer ins Treffen.

Aber auch Chance Jonas-O’Toole als Tchekalinskij, Padraic Rowan als Ssurin, Andrew Dickinson als Tschaplitzkij und Michael Bachtadze als Narumow legen ihr intensiv Bestes in ihre jeweiligen Rollen dieser von derben Witzen und Machismo geprägten Männerwelt.

Den von Jeremys Bines einstudierten Chören der Deutschen Oper Berlin gebührt ein Sonderapplaus, besonders dem Männerchor für den a cappella gesungenen Schlusschor.

Fazit: Eine spannende Repertoireaufführung, eher deftig dramatisch denn in feinsinniger Detailausleuchtung musikalisch in Szene gesetzt. Sängerisch erstklassig, stört manch inszenatorischer Firlefanz und die teils völlig unlogische Personenregie.

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Ensemble. Foto: Dr. Ingobert Waltenberger

Dr. Ingobert Waltenberger  

 

 

 

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