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BERLIN / Deutsche Oper PIQUE DAME, 4. Vorstellung nach der Premiere

21.03.2024 | Oper international

BERLIN / Deutsche Oper PIQUE DAME, 4. Vorstellung nach der Premiere; 20.3.2024

Doris Soffel glänzt als glamouröse Gräfin im Hollywoodstarlook

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Copyright: Marcus Lieberenz

Der Hit der Aufführung ist die großartige Doris Soffel als dämonische Gräfin. Diese unheilbringende „Pique Dame“, geheimnisvoll, schön, und noch als untoter Geist mit mephistophelischem Lachen ihr tödliches Werk verrichtend, stürzt den liebes- und geldsüchtigen Herman mit der Preisgabe der drei „gewinnsicheren“ Karten ins Verderben. Ein mit der Gräfin seelisch kommunizierendes Gefäß ist dieser gesellschaftlich wenig fitte Hermann, den Soffel nach seinem Selbstmord mittels Pistole wie die Gottesmutter Maria in Pietàpose in ihren Armen hält. Schon vorher zählen ihre Auftritte als herrschsüchtige Matriarchin, erinnerungssentimentale ehemalige Glücksritterin in den Casinos ihrer aristokratischen Welt und noch immer verführerische Heldin zu den Höhepunkten der Aufführung. Dabei verbinden sich stimmliche Präsenz und darstellerische Dichte/Präzision zu einer charismatischen Bühnenkunst in Vollendung. Nach dem Vorbild einer expressiven Stummfilmdiva strahlt diese Gräfin in androgyner 30-er Jahre Optik. Zeitlos, ein wenig Kundry, in glamouröser Pose zwischen Flickenschildt und Dietrich, ist hier fesselndes Singschauspiel, ganz große Oper zu erleben. Alleine wegen Doris Soffel lohnt schon der Pique Dame Besuch

Es sind die stärksten Momente einer psychoanalytisch und sexuell überfrachteten Inszenierung von Sam Brown, deren Grundlagen auf den im Juli 2021 an Covid verstorbenen Regisseur Graham Vick zurückgehen. Immerhin konnte dessen Partner Ron Howell die Choreografie übernehmen. In einem technisch aufwändigen Bühnenbild (Stuart Nunn), das unentschieden zwischen historisierend und regietheaterpossierlich wankt, spielen filmische Elemente (Filmstills und Ausschnitte aus einer Verfilmung der Erzählung von Puschkin aus dem Jahr 1916) ästhetisch eine bedeutende Rolle. Die Mischung von Bühne und Film ist offenbar heute zu einem unwiderstehlich attraktiven Stilmittel geworden.

Psychoanalytisch will sich die Regie, weil sie das So-Werden der Hauptfiguren, ihr destruktives Potential aus der verhassten Kindheit von Hermann und Lisa destilliert. Wir sehen den kleinen Hermann gemobbt von seinen sadistischen Kommilitonen, und Lisa als steif bebrilltes Kindchen, erstarrt in autoritären Familienstrukturen. Gerade beim Charakter der Lisa hat die Regie wohl auf die härtere Erzählgangart Puschkins geschielt. Leid kann sie einem tun, die arme Enkelin der Gräfin (Waise?), die aus Realitätsflucht noch immer mit Puppe und geschundenem Teddybärchen im Arm spielt und partout nicht erwachsen werden will. Die Verlobte eines Fürsten zu sein, nimmt man solch einer infantil zurückgebliebenen Figur allerdings nicht ab. Ihr Schwärmen für und ihre unreflektierte Hingabe an den Außenseiter Hermann können da nur schiefgehen.

Da Sondra Radvanovsky die Vorstellung kurzfristig abgesagt hat, gab es die Gelegenheit, die junge Russin Maria Motolygina als Lisa kennenzulernen. Absolventin des Nachwuchsprogramms am Bolshoi Theater und Gewinnerin des Internationalen Königin-Sonja-Musikwettbewerbs 2021, verfügt die Sopranistin über eine voluminöse, frisch-höhensichere Sopranstimme. Beeindruckend geriet ihre Arie am winterlichen Kanal, in der sie sich nach szenisch verhaltenem Beginn auch darstellerisch freispielen konnte. Die Sängerin, seit dieser Spielzeit Ensemblemitglied der Deutschen Oper Berlin, wird noch in dieser Saison als Figaro-Gräfin und Elvira in Don Giovanni zu erleben sein. Eine exzeptionelle, interessant timbrierte Stimme, von der sicher noch viel zu hören sein wird.

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Martin Muehle, Doris Soffel. Copyright: Marcus Lieberenz

Der brasilianische Heldentenor Martin Muehle gestaltet und singt den Hermann mit Passion, Anstand und Durchhaltevermögen in monochromen Farben. Die metallischen Höhen beeindrucken, der Phrasierung mangelt es an Geschmeidigkeit und Flexibilität. Als von der Regie von Anfang an als (revolutionärer) Looser gezeichnet, ist kaum eine Entwicklung der Figur vom schüchternen Beobachter zum skrupellos agierenden Hitzkopf zu erkennen. Die vielen Fotos von Lisa an den Wänden der Kasernenbaracke lassen den besessenen Stalker erahnen. Warum er der Zarin Katharina beim (als Orgie beginnenden) festlichen Ball bei Jeletzkij den Schleier ohne Konsequenzen herunterreißen darf, erschließt sich mir nicht.

Der amerikanische Bariton Thomas Lehman singt einen korrekten Fürsten Jeletzkij ganz auf Linie und mit vorbildlichem Legato, bringt aber kaum Blut in diese als Counterpart zu Hermann dramaturgisch so wichtige Figur. Lucio Gallo poltert als Tomskij vibratosatt und stilistisch anfechtbar über die Bretter. 

Hocherfreulich und erstaunlich hingegen, wie engagiert, quirlig und stimmlich markant der junge Tenor Chance Jonas-O’Toole und der amerikanische Bariton Kyle Miller als Tschekalinskij und Ssurin reüssieren. Beide sind hochbegabte Stipendiaten, echte Bühnentalente mit viel Potential und hoffentlich bald in größeren Rollen zu hören.

Auch auf der Damenseite gibt es viel Erfreuliches über die Besetzung der kleineren Rollen (die ja das Salz jedes Opernhauses ausmachen) zu berichten. Karis Tuckers jugendlich, helltimbrierter balsamischer Mezzosopran eignet sich vorzüglich für Paulines Romanze. Nicole Piccolomini als Gouvernante und Arianna Manganello als Mascha können sogar ihren Stichworten ausdrückliches Gewicht verleihen.

Der Chor der Deutschen Oper Berlin (vor allem der Männerchor im 3. Akt) und das Opernballett entledigen sich ihrer Aufgaben professionell und engagiert.

Leider gelingt es Sebastian Weigle, diesem überaus kompetenten und allseits geschätzten Kapellmeister im deutschen Fach, nicht, aus der genialen Tchaikovsky-Partitur das unerfüllte Schmachten und tragische Sehnen, die schicksalshaften Klänge herauszufiltern bzw. für einen organisch fließenden musikalischen Ablauf zu sorgen. Sachlich-kühl klingt die Musik dort, wo sie glühend lodern sollte, rau und lärmend, wo höfische Eleganz und tänzerischer Schwung gefragt gewesen wären. Das Orchester der Deutschen Oper Berlin bleibt diesmal dementsprechend unter seinen Möglichkeiten.

Fotos: Berlin, copyright: Marcus Lieberenz

Fotos Schlussapplaus: Ingo Waltenberger

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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