Berlin, Deutsche Oper: DAS RHEINGOLD glänzt halbszenisch auf dem Parkdeck. Oder Das Glück der Tüchtigen. 12.06.2020
Nein, nicht nur der Feuergott Loge ist mit den Tüchtigen gemeint, der gemeinsam mit dem geld- und machtgierigen Gott Wotan den Zwerg Alberich listenreich überwältigt und ihm den Goldenen Ring klaut. Diese Drei sichern stimmlich, was die Männerriege betrifft, den Erfolg dieser halbszenischen Aufführung der Wagner-Oper „Das Rheingold“ auf dem Parkdeck der Deutschen Oper Berlin.
Andrew Harris, Thomas Blondelle, Tobias Kehrer, Padraic Rowan. Foto: Bernd Uhlig
Über solch einen Openair-Platz zu verfügen, ist in dieser „Immer-noch-Corona-Zeit“ ebenfalls ein Glück. Kulturtempel, die so etwas besitzen, können jetzt loslegen, endlich wieder spielen und die Fans mit live-Darbietungen beglücken.
Zwar wie jetzt die Deutsche Oper aus Gründen der Abstandswahrung nur in reduzierter Form, doch das ist weit besser als gar nichts. Die Akustik auf dieser Freifläche ist übrigens erstaunlich gut, und sie dient nicht das erste Mal als Ersatzspielort. Die Gebäude drum herum lassen den Schall nicht in alle Winde davonflattern.
Raumgreifend füllt nun der großartige Bassbariton von Derek Welton den Raum über dem Parkdeck. Der schlanke, hoch gewachsene Sänger im langen güldenen Mantel ist auch figürlich ein würdiger Wotan.
Sehr passend auch Philipp Jekal als Alberich, der als Freier – von den drei Rheintöchtern verspottet – der Liebe abschwört und sich stattdessen ihren nur nachlässig gehüteten Goldschatz aneignet. Von einem Fenster im 2. Stockwerk singt er seine Wut heraus und verflucht die Liebe. Nur dieser Verzicht ermöglicht es ihm, sich aus dem Gold einen Macht verleihenden Ring zu schmieden. Statt der Tarnkappe des Mime, der hier weggespart ist, reicht eine Perücke, um sich gelegentlich zu verfremden.
Was jedoch Gesangs- plus Schauspielkunst betrifft, schießt einer sozusagen den Vogel ab: der Tenor Thomas Blondelle als Feuergott Loge. Er ist der Strippenzieher, dem immer eine Problemlösung einfällt. Sportlich schwarz gekleidet, wieselt er ständig auf den Stufen hin und her, die zur Ersatzbühne (konzipiert von Lili Avar) hinaufführen. Dennoch singt er stets nuancenreich und mit vollem Wohllaut.
Auf diesen recht schmalen Stufen tänzeln gleich anfangs die drei Rheintöchter, so den Fluss mit seinen Wellen imitierend. Chapeau für diesen Balance-Akt, bei dem ihre Stimmen ebenso glitzern wie ihre schicken Kostüme.
Die drei Damen – Elena Tsallagova (Sopran) als Woglinde, Irene Roberts (Mezzo) als Wellgunde und Karis Tucker (Alt) als Flosshilde sind ein eingespieltes Team und offensichtlich auch jeder szenischen Herausforderung gewachsen.
Imponierend auch Annika Schlicht mit klangvollem Mezzo als Fricka. Flurina Stucki (Sopran) als Freia und Judit Kutasi (Alt) als Erda überzeugen genauso wie der schlanke Padraic Rowan (Bariton) als Donner/Froh. Die beiden Riesen Fafner und Fasolt stecken in dunklen Anzügen wie Geschäftsleute.
Richtig so, sie wollen von Wotan endlich ihr Geld für den Bau der Nobelbleibe Walhalla. Den Fluch, mit dem Alberich den entwendeten Ring ausgestattet hat, bekommen sie jedoch bald zu spüren. Tobias Kehrer (Bass) als Fafner erschlägt bekanntlich den Fasolt, verkörpert von Andrew Harris (Bassbariton). Ihre Partien haben beide in bester Kehle.
Insgesamt wird auch für diese reduzierte abgespeckte Rheingold-Version eine Luxusbesetzung aufgeboten. Dass alle Sängerinnen und Sänger ihre Partien bestens beherrschten, ist ein weiterer Glücksfall, aber leicht erklärlich. Wie Generalmusikdirektor Donald Runnicles vor Beginn der Aufführung betont, sollte genau an diesem 12. Juni Wagners Ring – mit „Rheingold“ als Start – in der Neu-Inszenierung von Stefan Herheim im großen Saal Premiere haben.
Was stattdessen auf dem Parkdeck realisiert wurde, „war ein „Kraftakt sondergleichen“. Wir wagen es, unser RHEINGOLD zurückzuerobern, wenn auch zunächst in einer kleineren und damit der aktuell möglichen Form!“ schrieb die Deutsche Oper Berlin vorab.
Ein Wagnis war es tatsächlich, denn erst am 02. Juni gab der Berliner Senat überraschenderweise sein Okay für solch eine Variante. In nur 10 Tagen mussten und wollten nun alle Beteiligten eine Aufführung zu Wege bringen. Doch wer nichts wagt, der nichts gewinnt. Wenn noch glückliche Umstände hinzukommen, gelingt so etwas.
Schon 1990 hatte der britische Komponist Jonathan Dove unter dem Titel „The Ring Saga“ eine komprimierte Version von Wagners opus magnum erstellt, um den „Ring“ auch für kleinere Spielorte und Festivals aufführbar zu machen. Immerhin sitzt Regiestar Herheim ebenfalls im Publikum und schaut sich an, was die Deutsche Oper Berlin quasi aus dem Boden gestampft hat.
Corona bedingt und aus Abstandgründen muss man sich in Berlin ohnehin noch bescheiden, auch beim Kartenangebot für die Musikfans. Auch ziehen nur 22 Musikerinnen und Musiker mit Runnicles zunächst mit Schutzmasken auf die Bühne, die sie dann absetzen.
„Alle Instrumente sind solistisch besetzt“, betont er. Es gibt also nur eine 1. und nur eine 2. Violine, nur 1 Bratsche, nur eine Flöte usw. Doch die Instrumentalisten/innen legen sich mit Verve ins Zeug. Dass dabei die Tuba und die Posaune, obwohl rechts in der Ecke positioniert, mitunter die Oberhand gegenüber Streichern und Holzbläsern gewinnen, ist unvermeidlich.
Ansonsten läuft alles wie am Schnürchen, und das ist vor allem dem Spielleiter Neil Barry Moss zu verdanken, der ebenfalls in Null-Komma-Nix das Konzept, die szenische Einrichtung und die Blick fangenden Kostüme erdacht hat. Der junge Mann, geboren in Südafrika, hat in Kapstadt Operngesang sowie Musik- und Theaterwissenschaften studiert, außerdem Regie und Dramaturgie in Verona. Regie-Erfahrungen konnte er bereits in Pesaro (Italien) und an der Staatsoper Hannover sammeln.
Als die Deutsche Oper Berlin 2019 einen Spielleiter suchte, hat er sich beworben und den Zuschlag erhalten. Vielleicht hat dabei auch die Oper Rheingold eine Rolle gespielt. Denn genau mit der hatte er zuvor ein Stipendium gewonnen. Dass er sich schon intensiv mit dieser Oper beschäftigt hatte, war jetzt ein Vorteil.
„Die 90-Minuten-Fassung von Jonathan Dove kannte ich aber nicht“, räumt er in einem kurzen Vorab-Gespräch ein. Es sei überhaupt die erste „Rheingold-Premiere für ihn. Dass er sich ganz schnell etwas einfallen lassen musste, hat ihn nicht irritiert.
„In 2 Stunden hatte ich das Konzept fertig“, sagt er ohne jede Eitelkeit. Eine solch kurze Zeitspanne wecke seine Kreativität, ein langer Vorlauf wäre weniger günstig. „Mit begrenzten Möglichkeiten etwas Überzeugendes zu machen, ist inspirierend“, fügt er hinzu. Auch die Zusammenarbeit mit den Sängerinnen und Sängern sei bestens gewesen. „Ohne zu spielen, können wir nicht leben, weder die Künstler noch die Zuschauer“, lautet sein Fazit.
Mit diesem kreativen, reaktionsschnellen Spielleiter hat die Deutsche Oper Berlin offensichtlich einen Glücksgriff getan. Der Abend zeigt, dass ihm Personenführung wichtig ist und er die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten clever nutzen kann. Überraschungen hat er auch parat, doch ohne unnötige Mätzchen zu machen oder sich selbst in den Vordergrund zu drängen.
Halbszenische Aufführungen können ziemlich langweilig sein, doch dieses reduzierte „Rheingold“ ist es nicht und entwickelt einen speziellen Glanz. Ein Lob all‘ den Tüchtigen, die mit herzlichem Beifall belohnt werden. – Auch die Glaskästen, die für Spenden zugunsten freischaffender Künstler bereit stehen, füllen sich nach der Vorgabe „pay what you want“ danach mit größeren Scheinen.
Weiteres zum Karten-Erwerb unter www.deutscheoperberlin.de. Weitere Aufführungen, aber nicht bei Regen, am 16., 18., 19.. 20. und 21. Juni 2020.
Überdies gibt es noch einen 50-minütigen Konzertfilm namens „Männer, Mythen, Märchen“, den Musiker*innen des Orchesters, anknüpfend an diese halbszenische Rheingold-Aufführung, gedreht haben. Dabei geht es um Werke anderer Komponisten, die jedoch alle in Wagners DER RING DES NIBELUNGEN von zentraler Bedeutung sind. Dieser Film wird ab dem 22. Juni auf der Website der Deutschen Oper gezeigt.
Ursula Wiegand