BERLIN: NABUCCO, Deutsche Oper Berlin, 6.6.2015
Dalibor Jenis, Liudmyla Monastyrska und Hans-Peter König sorgen für Verdi Glanz
Foto: Bernd Uhlig
Während Italien (Juventus Turin) in der Fussball Champions-League gegen Spanien (FC Barcelona) eine herbe Niederlage einstecken musste, ging andernorts zur selben Zeit in Berlin ein nicht minder sportliches Match triumphal für Italien aus. An der Deutschen Oper Berlin war Verdi der unangefochtene Star des Abends, die italienische Oper konnte einen gloriosen Abend für sich beanspruchen. Die in den ersten zwei Akten eher sperrige Oper wurde durch drei Ausnahmesänger in den Hauptrollen des Babylonierkönigs Nabucco, der Abigaille und des Oberpriesters Zaccaria zum Ereignis.
Für den Regisseur Keith Warner ist Nabucco Verdis Lear. Wie Lear wird Nabucco verrückt, steckt in einem Konflikt zwischen zwei Töchtern und ist eine individuelle Reaktion Auslöser großer politischer und weltverändernder Folgen. Die Inszenierung und Personenführung (Premiere war am 8.9.2013) sind im guten Sinne altmodisch, wenngleich das Bühnenbild von Tilo Steffens mit eher unansehnlichen Versatzstücken der industriellen Revolution spielt. Wie auch immer, das Stück findet auch ohne Mitlesen der Obertitel seine verständliche dramaturgische Umsetzung.
Zum vokalen Höhepunkt der Aufführung gerät das brutale Duett zwischen Abigaille und Nabucco im dritten Akt. Die seit etwa 5 Jahren im internationalen Opernzirkus für Furore sorgende ukrainische Sopranistin Liudmyla Monastyrska verfügt über einen ausladenden Spinto, der zu gewaltigen Ausbrüchen ebenso befähigt ist wie zu weichen runden Piani und einem satten Mezzavoce. Die mörderische Partie der Abigaille singt sie ohne technische oder konditionelle Probleme. Man erinnert sich an den berühmten Nilsson Spruch, die einstens gemeint hat, das Wichtigste für eine Götterdämmerungs Brünnhilde seien bequeme Schuhe. Der Regisseur hat in einem Interview erläutert, er möchte verhindern, dass die Abigaille nur eine Kombination aus Big Soprano und Bitch sei. Schließlich geht sie daran zugrunde, dass sie nicht bekommt, was sie am meisten braucht, nämlich die Liebe und den Segen ihres Vaters. Ganz konnte auch Keith Warner diesen schablonenhaften Eindruck nicht verhindern, weil die Läuterung musikalisch gerade mal fünf Minuten dauert, und die Abigaille zuvor zwei Stunden lang auf der Bühne tobt, wettert, intrigiert und verführt.
Verdi hat seiner Titelfigur Nabucco die schönste Musik dieser Oper auf den Leib geschrieben. Der überaus edel timbrierte Bariton des Dalibor Jenis, der klanglich ein wenig an Renato Bruson erinnert, vollzieht die Wandlung vom machtbesessenen Herrscher über den Abfall in den Wahnsinn und die Auferstehung der Ratio samt Läuterung sowohl alleine von den stimmlichen Mitteln her als auch darstellerisch durchaus glaubwürdig. Da es in Nabucco aber nicht nur um zwei unterschiedliche Völker, sondern auch um Religion und deren Repräsentanten geht, gehört die dritte zentrale Rolle dem Oberpriester Zaccaria. Hans-Peter König liefert ein wahrhaft stimmgewaltiges Porträt dieses politischen Glaubensmannes. Die Arien und die sauschwere Stretta im ersten Akt gelingen eindrucksvoll, auf jeden Fall ist H-P. König Ghiaurov in der Aufnahme unter Muti weit überlegen. Grandios! In der undankbaren Rolle der Fenena wartet die Deutsche Oper Berlin mit einer exzellenten „Hausbesetzung“ auf. Ronnita Miller verfügt über einen runden, samtig timbrierten Mezzo, dem nach oben hin keine Grenzen gesetzt sind. Jedes Opernhaus darf sich glücklich schätzen, über so eine Stimme im Ensemble verfügen zu können. Als Mann zwischen zwei Frauen wird der Hebräerprinz Ismaele von Bruno Ribero mit eher weißem Tenor, dafür aber kraftvoll gesungen. Mit der Intonation hapert es zwar hie und da, dennoch ist die Leistung insgesamt achtenswert. Der Verdi gestählte Dirgent Paolo Arrivabeni animiert den bestens vorbereiteten Chor (Einstudierung William Spaulding) und das Orchester der Deutschen Oper Berlin zu Höchstleistungen.
Ein schöner, vom Publikum heftig beklatschter Opernabend, auch wenn draußen bereits die Feuerwerkskörper für Kaiser Fussball steigen und das Haus wahrscheinlich deshalb auch nicht ganz voll war. Die, die da waren, haben es genossen.
Dr. Ingobert Waltenberger