BERLIN / Deutsche Oper „LOHENGRIN“ in Festspielbesetzung; 15.5.2022
Copyright: Deutsche Oper Berlin
Von der Schwere und Last der Geschichte, von selbsternannten Heilsbringern und tödlichen Schlachtfeldern
Klaus Florian Vogt, seit 20 Jahren ist er nach seinem Erfurter Rollendebüt 2002 weltweit als Schwanenritter unterwegs. Er begeistert auch noch 10 Jahre nach der Premiere in der klugen Inszenierung des Dänen Kasper Holten 2012 an der Deutschen Oper Berlin. Ähnlich wie Siegfried Jerusalem startete Vogt seine musikalische Karriere als Instrumentalist im Orchester. 1988–1997 war er als Hornist im Philharmonischen Staatsorchester Hamburg tätig. Nächstes Jahr steht der erste Jung-Siegfried an. Der Abend am 15.5. in der Deutschen Oper Berlin ist erst einmal sein Abend. Spätestens als er in der Gralserzählung mit magischen Pianissimi und im nächsten Moment heldisch auftrumpfenden Höhen den durchaus dunklen Verführer, der er in dieser Regiearbeit sein soll, bezaubert, hat er gewonnen. Sein klanglich so charakteristischer heller Tenor mit jugendlichem Flair und in stimmlicher Frische scheint ein Idealfall zu sein. Sein Tenor sitzt perfekt. Projektion und Stimmstrahl vermitteln jenes Silber, das das Geheimnis des sagenhaften Gralsritters ummantelt.
Es war überhaupt ein Abend der Sänger. Die Hälfte des Chors der Deutschen Oper Berlin befindet sich aktuell in Omikron-Quarantäne. Daher mussten laut Ansage vor der Aufführung aus Deutschland landesweit Choristen anreisen, um den Abend zu retten. Der Preis für diese spontane Lösung bestand darin, dass es einen Strich im Männerchor im zweiten Akt gab und der Chor sich rhythmisch erst einmal einpendeln musste, bevor dann ab dem zweiten Akt alles wieder klappte. Aber auch das Orchester der Deutschen Oper, besonders die Streicher, hatten gleich zu Beginn der Ouvertüre Mühe, zueinander zu finden. Das war etwas ungewohnt, weil das Orchester doch sonst seinen Wagner in- und auswendig kann. Dafür sorgten die Trompeter im Zwischenspiel des dritten Aktes – räumlich perfekt im Saal platziert – für sensationelles Bläsergold.
Klaus Florian Vogt hatte das Glück, seine Lohengrin Jubiläen gemeinsam mit einem immens starken Ensemble feiern zu können. Da ist mit „Bayreuth an der Spree“ zuerst einmal Günther Groissböck zu nennen. Er verkörperte mit seinem mächtigen Bass und einer immensen Bühnenpräsenz den König Heinrich der Vogler comme il faut. Die Partie ist von der hohen Tessitura her ja eigentlich eine Zumutung. Bei Groissböck klingen selbst die extremen Höhen noch rund und sämig.
Von der Stimmschönheit her ist hier ebenso sofort Camilla Nylund als Elsa zu reihen. Sie geht die emotional so extreme Rolle mit vielen Schattierungen im Piano und Mezzoforte an. Die Sängerin ist hochmusikalisch, neben einer lupenreinen Intonation begeistert Nylund mit wunderbar ausschwingenden Phrasen, einer vorzüglichen Diktion und glänzenden Höhen.
Als ihre Gegenspielerin Ortrud ist Anna Smirnova eine stimmliche Naturgewalt. Mit einer „Röhre“ wie einst die Varnay sie hatte, gesegnet, wird ihr dämonisch herausgeschleuderten Fluch „Entweihte Götter“ zu einem memorablen Höhepunkt der Aufführung. Auch schauspielerisch ist Smirnova eine charismatische und höchst präsente Erscheinung.
Martin Gantner gibt mit hell metallischem, bisweilen schneidendem Heldenbariton einen Telramund zwischen Hörigkeit und Auflehnung, Angepasstheit und schließlich gesellschaftlicher Ächtung. Thomas Lehman ist mit knackig jungem Kavaliersbariton der beste Heerrufer, den ich in den letzten 50 Jahren gehört habe.
Sir Donald Runnicles, der seit Jahren Exklusivrechte auf das Wagner-Repertoire an der Deutschen Oper Berlin gepachtet zu haben scheint, enttäuschte im ersten Akt mit allzu langsamen Tempi. Ihm gelang es nicht, den Spannungsbogen von der ersten bis zum letzten Ton durchzuhalten. Im zweiten Akt sorgte er hingegen wieder für dramatisch packende Momente vor dem Münster. Runnicles ist ein verlässlicher Kapellmeister mit enormer Erfahrung, wie es einst Horst Stein oder Heinrich Hollreiser waren. Mir fehlt aber bisweilen der äußerste interpretatorischer Mut und jene Glut, die aus einem guten Wagner Abend einen exzeptionellen unvergesslichen machen können.
Foto: M. Lieberentz
Die Inszenierung von Kapser Holten, eine der besten im Repertoire der Deutschen Oper Berlin, erweist sich als politisch hellseherische Arbeit und spannender Krimi zugleich. Wie zuvor schon in Moskau, so hat er auch bei seiner Neuinszenierung des Lohengrins in Berlin 2012 die Absurdität und Sinnlosigkeit von Krieg sowie machtbesessene Politiker, die sich wie Helden inszenieren, angeprangert. Im Lohengrin sollen die Männer in den Krieg gegen Ungarn gehen. Holten thematisiert den Kriegsrausch, das erbarmungswürdige soldateske Kanonenfutter, das zu all den Millionen Toten etwa im ersten Weltkrieg geworden ist. („Die Ouvertüre hört sich fast wie ein Requiem an“). Die Regie zeigt, wie einen das sinnstiftende Potenzial von Ideologien in die Irre führen kann. „Denn der sinnloseste Ort auf der Welt ist das Schlachtfeld.“ In einem Interview sagte Holten 2012: „Hier in Europa wollten wir das Thema Krieg in den Vordergrund rücken, denn kein anderer Kontinent hat den Schmerz und das Opfer des Krieges so unmittelbar am eigenen Körper, auf eigenem Boden erfahren, wie Europa. Und auch heute noch ist das politische Spiel von Interesse, wir sind noch immer im Krieg.“ Das hat Holten 2012 gesagt. Wie schaurig aktuell und niederschmetternd hört sich das erst heute an.
Foto: Dr. Ingobert Waltenberger
Am Ende der Aufführung gab es heftigen Applaus, für das Ensemble, den Chor und das Orchester. Es gibt noch eine Aufführung am 22. Mai. Gehen Sie hin, von der Sängerbesetzung her werden Sie aktuell nichts Besseres finden.
Dr. Ingobert Waltenberger