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BERLIN/ Deutsche Oper: LES CONTES D’HOFFMANN. Premiere

02.12.2018 | Oper


Cristina Pasaroiu, Daniel Johansson. Copyright: Bettina Stöß.

BERLIN / Deutsche Oper: LES CONTES D’HOFFMANN, Premiere, 1.12.2018

 

Die Deutsche Oper geht auf Nummer sicher: Der Spezialist für poetisch nachdenkliches, aber auch witzig, hoch komödiantisches Musiktheater macht mit seiner schon weit gereisten Inszenierung von Jaques Offenbachs „Les Contes d‘Hoffmann“, die am 19. November 2005 in Lyon erstmals gezeigt wurde, Stopp in Berlin. Laurent Pelly hat seine Arbeit bislang auch am Gran Teatre del Liceu in Barcelona (der Mitschnitt mit Nathalie Dessay liegt auf DVD vor) und der San Francisco Opera präsentieren können. 

 

Jeder weiß, wo der französische Meisterregisseur Laurent Pelly drauf steht, bekommt der geneigte Opernbesucher in der Regel unterhaltsames duftiges Theater geliefert, optisch oft opulent bis grell bunt, mit perfektem Timing in der Aktion, meisterlich konturierter Personenregie und insgesamt  fantasiereichem sinnlichem Zugang, ohne je in verkopfte  Regietheaterexzesse abzugleiten. Ich erinnere an seine fabelhaften, in die Musiktheatergeschichte eingegangenen Inszenierungen von Rameaus „Platée“, Offenbachs „La belle Hélène“ oder Donizettis „La fille du régiment.“

 

Ob allerdings die Präsentation einer dreizehn Jahre alten Inszenierung –  so gut sie auch sein mag – von künstlerischem Mut zeugt oder das ästhetische Eigenprofil eines ersten Hauses zu stärken vermag, das steht auf einem anderen Blatt. Laurent Pelly siedelt den Hoffmann in der die größte Vollständigkeit beanspruchenden „Lausanner-Fassung“  mit gesprochenen Dialogen im späten 19. Jahrhundert an. Schwarz-weiss und Grautöne inspiriert vom symbolistischen belgischen Maler Léon Spilliaert betonen den düster-dämonischen Charakter des Stücks eher als seine fantastisch romantische Seite. 

 

Ineinander verschränkte, mittel verschiebbarer Wände stetig sich öffnende, ändernde Räume ermöglichen eine schillernd perspektivenreiche, die Flüchtigkeit des Jetzt deutende Bühne. Die gesamte Szenerie (Chantal Thomas) bewegt sich im Reigen der artistischen Imagination, Illusion, dem trickreichen Budenzauber. Sie ist der Unruhe der Musik und der Tragik der Figuren untertan. Mit Trichterbeleuchtung wie im Zirkus und grellen Licht-Schattenspielen (Joël Adam) entsteht eine Atmosphäre, die dem Künstlerdrama eine graphische Dimension verleiht. Und dennoch spart Pelly mit diesem fein gezeichneten Ansatz jede gesellschaftssatirische Facette dieser Oper aus. Ist ihm der Humor abhanden gekommen? Nur beim Couplet von Franz im Antonia-Akt (hervorragend der lyrische Tenor Gideon Poppe, der 2019 an der Wiener Volksoper debütieren wird) springen komödiantische Funken.  

 

Der Dirigent erklärt das, was auf der Bühne zu sehen ist, kurz so: „Hoffmann liebt drei Schönheiten, eine entpuppt sich als Automat, eine als todkrank, eine klaut ihm sein Spiegelbild. Da ist eine große Bitterkeit. Dieser arme Hoffmann, dieser Katastophiker der Liebe, er scheitert ständig. Und es ist ein schreckliches Abenteuer, schlimme Geschichten am Ende. Seine einzige Liebe ist die Muse, die Kunst. Nicht die reale menschliche Liebe, sondern die Liebe zur Kunst.“

 

Der Dirigent der Aufführung, der Italiener Enrique Mazzola,  seit dieser Spielzeit erster ständiger Gastdirigent der Deutschen Oper Berlin, hat sich in der deutschen Hauptstadt vor allem durch die von ihm geleiteten Aufführungen der Grand Opéras von Giacomo Meyerbeer (zuletzt „Le Prophète) einen exzellenten Namen gemacht.  Er ist mit Leidenschaft bei der Sache und animiert das sehr gut disponierte Orchester und den nur manchmal schleppenden Chor (Einstudierung Jeremy Bines) des Hauses zu einer sehr guten Leistung, wenngleich die Dialogfassung immer wieder den musikalischen Faden unterbricht und generell der Spannungsbogen nicht ganz und immer hält. Offenbach wird Mazzola auch bei den Salzburger Festspielen 2019 beschäftigen, wo er „Orphée aux enfers“ dirigieren und Barrie Kosky die Regie übernehmen wird.

Die Besetzung ist durchwachsen. Eine große Enttäuschung ist der Schwede Daniel Johansson in der Titelpartie. Optisch verkörpert er zwar den schwärmerischen Künstler zwischen Wahn und einer alkoholgeschwängerten Wirklichkeit in idealer Weise, rein stimmlich bleibt er seltsam farb- und glanzlos.  Mit an sich schönem Timbre ausgestattet und in den Piani der Mittellage auch resonanzreich klingend, vermag sich Johansson nur mit Mühe hinauf zu den Spitzentönen stemmen, im Passagio verengt sich sein Tenor und klingt fahl und substanzlos. Ob nur eine problematische Abendverfassung  schuld daran war, vermag ich nicht zu beurteilen, weil ich diesen eher lyrischen als dramatischen Tenor zum ersten Mal erlebt habe. An sich könnte ein aufmerksamer Zuhörer nach dieser Premiere zum Schluss kommen, dass die Rolle des Hoffmann (noch?) eine Schuhnummer zu groß für den sympathischen Sänger ist. In den dramatischen Ensembles fehlt es überdies an Volumen, Expansionsfähigkeit und Durchschlagskraft der Stimme.

 

Der Star des Abends war ganz eindeutig die junge Rumänin Cristina Pasaroiu in den vier Frauenrollen Stella, Olympia, Antonia und Giulietta. Obwohl es von den stimmlichen Anforderungen her ein kompletter Unsinn ist, alle vier Rollen nur mit einer Sängerin zu besetzen, gibt es natürlich gute inhaltliche Gründe dafür. Pasariou verfügt über einen in allen Lagen ausgeglichenen, lyrischen Koloratursopran der Luxusklasse. Ob in der gestochen klar artikulierten Olympia-Arie mit schwebend leicht gesungenen Akuti, der traumhaft in irisierendem Farbenspiel interpretierten Antonia-Arie oder als zynische Kurtisane Giulietta, ihr stehen alle Mittel zur Verfügung, um nicht nur musikalisch zu überzeugen, sondern auch als Figur mitzureißen. Vom Volumen und der Tragfähigkeit der Stimme her kommt sie ebenfalls in den großen Ensembles an ihre Grenzen, da hätte auch der Dirigent bisweilen ein besserer Stimmenbegleiter sein können. Jedenfalls ist Cristina Pasaroiu, von ihren Bregenzer Auftritten als Micaela in Carmen bekannt, für das Divenfach eine veritable Entdeckung. Für eine große Karriere bringt sie jedenfalls alle Voraussetzungen mit: Ein exquisites Stimmmaterial à la junge Gheorghiu, eine lupenreine Technik, eine jetzt schon beachtliche Bühnenpräsenz und ein ganz großes schauspielerische Talent. 

 

Ebenso gefällt Irene Roberts als Muse und Nicklausse. Mit rund samtenem, höhensicherem Mezzo ist sie Hoffmanns Alter Ego, und meint am Schluss der Oper: „Man ist groß durch die Liebe und größer durch Tränen.“ Allerdings hätte es jemanden geben könne, der dieser grandiosen Sängerin beibringt, das die französische Sprache auch Konsonanten hat. 

 

Alex Esposito darf mit seinem dunkel dräuenden Bassbariton Lindorf, Coppelius, Miracle und Dapertutto imponierend verkörpern. Als Mörder und Intrigant, Verführer und Zerstörer scheint er ein Ebenbild Nosferatus. Eines der eindringlichsten Theaterbilder des Abends findet sich im Antonia-Akt, wenn Dr. Miracle im Luster des gruselig düsteren Stiegenhauses von Crespel (James Platt) imTerzett mit der Mutter (Annika Schlicht) sein tödliches Werk an Antonia in Szene setzt. Erwähnenswert ist auch der schräg-schrullige Physiker Spalanzani von Jörg Schörner, in Berlin für seine unverwechselbaren Charakterstudien ebenso bekannt wie in Wien einst Heinz Zednik.

 

Nach beinahe vier Stunden ist der Großteil des Publikums  wohl der Meinung, einen feinsinnigen und musikalisch überwiegend erstklassigen Abend erlebt zu haben. Die Intensität und Dauer des Applauses waren jedoch endenwollend, eine ganz großes Opernerlebnis hat der Abend nicht geboten. Einige wenige Buhs für das Leading Team, begeisterter bis höflicher Zuspruch für Solisten und Dirigenten. 

 

Nächste Aufführungen: 5., 9., und 15.12.2018, 5., 9. und 12.1. 2019

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

Foto: Copyright Bettina Stöß

 

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