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BERLIN/ Deutsche Oper: L’ARLESIANA von Francesco Cilea, konzertante Premiere

24.02.2018 | Oper


L’Arlesiana, Mariangela Sicilla als Vivetta, Joseph Calleja als Federico, Foto Bettina Stöß

Berlin/ Deutsche Oper: „L’ARLESIANA“ von Francesco Cilea, konzertante Premiere, 21.02.2018

Die Deutsche Oper holt mit L’ARLESIANA ein vergessenes Werk aus der Versenkung. Und gleich, wenn Paolo Arrivabeni den Taktstock hebt und das auf der Bühne platzierte Orchester der Deutschen Oper Berlin mit sattem Klang die düsteren Anfangstakte hören lässt, wird klar, dass sich Tragisches anbahnt.

Es geht um Federico, der sich beim ersten Blick sofort in eine bildschöne Fremde verliebt hat, ein Mädchen aus Arles, also die L’Arlesiana. Er, ein Junge vom Land, ist ihr in die Stadt gefolgt und kommt nun zurück ins Dorf, um von der Mama das „Ja“ zur Heirat zu erbitten. Um den geliebten Filius glücklich zu machen, stimmt sie trotz mancher Bedenken zu.

Schnell kommt jedoch heraus, dass die Schöne ein Flittchen ist und mindestens noch einen weiteren Lover hat. Nun will sie Federico nicht mehr heiraten und schickt sich an, seine bisher unbeachtete Jugendfreundin Vivetta zu ehelichen. Obwohl er ihr seine Liebe schwört, bleiben das Verlangen nach L’Arlesiana und rasende Eifersucht in seinem Herzen. Aus Verzweiflung verübt er schließlich Selbstmord.

War es dieses Libretto von Leopoldo Marenco nach Alphonse Daudet, das dem Publikum nicht gefiel, zumal die Titelfigur nie in Erscheinung tritt? Oder lag es an der Musik von Francesco Cilea? Schon als Junge hatte er – von Bellinis „Norma“ beeindruckt – beschlossen, ebenfalls Opern zu komponieren.

Seine beiden ersten Opern „Gina“ und „La Tilda“ überzeugten jedoch nicht. Erst mit der vierten, „Adriana Levouvreur“, hatte er einen relativ nachhaltigen Erfolg. Kürzlich brillierten Anna Netrebko und Piotr Beczala an der Wiener Staatsoper in den beiden Hauptrollen.

Dass ihm „L’Arlesiana“ nicht hundertprozentig geglückt war, bemerkte Cilea schnell, trotz der gelungenen Uraufführung 1897 in Mailand. Puccinis „Manon Lescaut“, uraufgeführt 1893, und dessen „La Bohème“ (von 1896) waren wohl eine zu starke Konkurrenz.

Da half es Cilea auch nicht, dass der junge, damals noch kaum bekannte Enrico Caruso die Arie „E la solita storia“ sang, die noch heutzutage bei Tenören beliebt ist. Im Internet lassen sich u.a. Version von Pavarotti und Jonas Kaufmann nachhören.

Insgesamt dreimal, zuletzt noch 1912 – nach Puccinis „Tosca“ und „Madame Butterfly“ – hat Cilea an der „L’Arlesiana“ gefeilt, hat aufwallende Orchesterpartien, Chorszenen (hier einstudiert von Jeremy Bines) und Melodien geschaffen, die angenehm ins Ohr gehen. Hit verdächtig waren und sind sie nicht.

Per saldo ist Cileas L’Arlesiana solide Konfektionsware, aber keine meisterliche Maßarbeit. Zum Kennenlernen reicht eine konzertante Aufführung. Damit sie gelingt, müssen die Solistinnen und Solisten jedoch Überzeugungsarbeit leisten.

Die ständig um ihren geliebten Sohn besorgte Mutter Rosa Mamai singt – den Lockenkopf in den Noten verbuddelt – die renommierte Dolora Zajick. Entweder hat sie ihre Brille vergessen, oder sie schaut zum ersten Mal in die Partitur. Mit ihrem volumigen Mezzo singt sie zwar schöne Töne, doch das ist alles.

Kein Augenkontakt mit dem Publikum, keine Gefühlsregung im Gesicht, kein zärtlicher Seitenblick auf den Sohn, wenn sie von durchwachten Nächten an seinem Bett berichtet. Ihre mütterlichen Gefühle bleiben pure Behauptung. Selbst bei konzertanter Aufführung ist das nach heutigen Maßstäben zu wenig.

Allerdings ist Mamas Sorge um den wohl etwas schwächlichen Filius bei dieser Aufführung unbegründet. Herrlich gesund klingt der Tenor des Stargastes Joseph Calleja. Seine kräftige, aber auch biegsame Stimme füllt tonschön und mühelos den ganzen Saal. Außerdem haben sich er und die anderen gut auf ihre Rollen vorbereitet. Sie blicken in den Saal und beglaubigen mit Minenspiel und Gesten Freude, Schmerz und Verzweiflung. Die schon erwähnte Arie singt Calleja mit Power und Herzblut und erhält dafür sofort den verdienten Applaus.

Wie viel an Gefühl sich selbst bei konzertanter Darbietung in eine Rolle legen lässt, beweist die Sopranistin Mariangela Sicilia als Vivetta, Federicos Jugendfreundin. Die liebt ihn von kleinauf, doch er hat sie nie beachtet. Die Mama veranlasst sie, Mut zu zeigen, um Federico zu gewinnen und ihn gleichzeitig zu trösten. Tatsächlich traut sich Vivetta, ihm ihre Liebe offen zu gestehen. Das Wechselbad von Skepsis zur Freude und größtem Kummer – das alles lässt sie hören und sehen.

Denn Federicos Liebesschwüre gegenüber Vivetta, obwohl echt gemeint, haben keinen Bestand. Dass er nach wie vor in das Mädchen von Arles vernarrt ist, wird klar, als sein resoluter Rivale Metifio – Seth Carico mit ebenso resolutem Bass –  auftaucht. Um diese Frau zu kämpfen, kommt Federico, dem Muttersöhnchen, nicht in den Sinn. Stattdessen stürzt er sich aus einem Dachfenster.

Eine Klasse für sich ist Markus Brück als der Ziegenhirte Baldassare. Der legt viel menschliche Wärme in seinen angenehmen Bariton, der führt das Geschehen von Anfang an tatsächlich wie ein guter Hirte, mal mit leicht schelmischem Lächeln, mal ernst und mit Kummer in den Augen. In den Nebenrollen gefallen die jungen Künstler Byung Gil Kim als Marco und die Sopranistin Meechot Marrero in der Hosenrolle als L’Innocente. Damit ist der unschuldige, geistig behinderte und dadurch Glück bringende (!) Bruder Federicos gemeint.

Als der plötzlich wie durch ein Wunder geheilt ist, freut sich die Mama nur halb, sieht sie darin doch eher ein böses Omen. Zwar bedauert sie verbal, sich bisher nicht um ihn gekümmert zu haben, doch einen Blick gönnt sie ihm nicht. Der gilt ja den Noten. Dennoch erhält auch Dolora Zajick zuletzt kräftigen Beifall. Bei Markus Brück, Mariangela Sicilia und Joseph Calleja fällt der jedoch zu recht deutlich stärker aus. Nächster und einziger weiterer Termin heute, am 24.02..                            

 Ursula Wiegand 

 

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