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BERLIN/ Deutsche Oper: LA FORZA DEL DESTINO, Premiere

Tumultartige Szenen in der ersten Berliner Opernpremiere der Saison

09.09.2019 | Oper


Marie José Siri, Ronni Maciel. Foto: Thomas Aurin/ Deutsche Oper

 

BERLIN / Deutsche Oper: LA FORZA DEL DESTINO, Premiere, 8.9.2019

Tumultartige Szenen in der ersten Berliner Opernpremiere der Saison

Kurzkritik

Regisseur Frank Castorf macht aus Verdis “La forza del destino” ein Drama um Krieg, Krieg und nochmals Krieg. Zusätzlich zum schon komplexen Handlungsablauf stülpt Castorf  noch einmal verschiedene Ebenen über die Oper. Da sind einmal die obligaten Filmszenen mit Handkamera oder eingeblendet, zudem hat er immer wieder wie bei einer Operette gesprochene Texte eingefügt. Der tote Marchese von Calatrava beginnt damit, gleich nachdem er erschossen ist. Ein Indio/brasilianischer Revuetänzer in Gitter und Flitter (Ronni Maciel mit einer tollen Schauspielleistung) geistert pantomimisch durch die ganze Oper, inspiriert von Carlos Saures Film  “Ein Mann namens Herbstblume”. Schließlich verlegt Castorf die ganze Handlung ins Neapel 1943, konkret in die Welt des Schriftstellers Curzio Malaparte. Castorf: “Solche Brutalität interessiert mich, deshalb suche ich diese Stoffe. Es wird heftig. Aber ich weiß, dass Verdi nicht das Organische wollte, sondern das Disparate. Die Musik ist so schön, aber Verdi wollte wachrütteln. Für mich gehören diese Kriege zusammen – literarisch, historisch, assoziativ. Wir spüren bis heute die Folgen des Ersten Weltkrieges, als danach Franzosen und Engländer mit einem Lineal Länder wie Syrien und Irak erschufen. Deswegen wird sich auch in diesem Verdi der Zweite Weltkrieg spiegeln.”


Foto: Thomas Aurin/ Deutsche Oper

Das Ganze ergibt teils pralle Theaterbilder mit barocker Kirchenfassade, Armeelaster und einem Kriegslazarett, aber auch eine komplette politische Überfrachtung der Oper und eine ebenso aberwitzige Überlastung des Zusehers, der nicht weiß wohin er zuerst schauen soll, auf die Bühne, auf die Leinwand oder doch lieber die Konzentration der Musik schenken? Die permanente Aufmerksamkeitsdiffusion ist jedenfalls komplett irritierend. 

Im vierten Akt kommt es zwischen dem ersten und zweiten Bild sogar zu tumultartigen Szenen im Publikum, als zwei Schauspieler einen langen englischsprachigen Text zweimal rezitieren. Da hat sich das Publikum gegenseitig (“Provinzpublikum” etc), und die Schauspieler (“Lernt doch singen”) gewaltig und lauthals beschimpft, die Pros gegen die Kontras viele Minuten lang. Was aber schwerer wiegt: In dieser Blut und Schweiß Inszenierung bleibt die Musik Beiwerk. Dem Regisseur scheint sie schlichtweg egal zu sein. Komische Szenen gibts nicht. Die Szene des Brotverteilens von Fra Melitone artet in eine Schlacht mit blutigen Spagetti aus. Immer resorbiert das “spektakuläre Bild”, der spektakuläre Filmausschnitt das Geschehen. Für den Musikfreund heißt das. Schade um den Abend.

La forza del destino – Markus Brück als Don Carlo di Vargas, Russell Thomas als Don Alvaro Thomas Aurin
Markus Brück und Russell Thomas. Foto: Thomas Aurin/ Deutsche Oper

Dabei hat die Aufführung musikalisch durchaus ihre sehr schönen und guten Seiten. Dirigent Jordi Bernacér versucht, die Partitur differenziert und dynamisch abgestuft umzusetzen. Von der Sängerschar überzeugen vor allem der stimmgewaltige Tenor des Russell Thomas als Don Alvaro, Markus Brück als viriler Don Carlos di Vargas (einen Einsatz verhaut er allerdings ordentlich), Misha Kiril als liebenswerter Fra Melitone, Marko Mimica als wunderbar orgelnder Pater Guardian und Maria José Siri als Donna Leonora mit einer grandios gesungenen “Pace” Arie. Der Chor ist Top, das Orchester und die Bühne stehen manchmal rhythmisch auf Kriegsfuss miteinander. Am Schluss Jubel für die Sänger, ein Buhorkan für Castorf, aber auch lautstarke Zustimmung für das Produktionsteam.

Der Rezensent bleibt etwas ratlos zurück. Freude hat der Abend gewiss nicht bereitet. Meine weibliche Begleitung resümierte ihr Unbehagen an der Sache so: “Zum Glück stammt nicht die Musik auch noch von Castorf, sondern von Verdi.”

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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