
Russell Thomas, Markus Brück. Foto: Thomas Aurin
Berlin/ Deutsche Oper: „LA FORZA DEL DESTINO“ von Giuseppe Verdi, oder der Versuch, eine Oper zu verhunzen, Premiere 08.09.2019
Eigentlich sollte es bei einer Oper nur auf die Musik ankommen, oder zumindest hauptsächlich. Marek Janowski, lange Jahre Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB), hat das mal auf großen Plakaten den Menschen in Erinnerung gerufen.
Dementsprechend kommt es bei einer Opernaufführung in erster Linie auf den Komponisten an, das Orchester, den Dirigenten, den Chor sowie die Sängerinnen und Sänger. Sie alle sind bei der Premiere von „La Forza des destino“ in der Deutschen Oper Berlin fast hundertprozentig zu loben. Verdis herrliche Musik sowieso, aber auch das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter der engagierten Leitung von Jordi Bernàcer, der Chor, einstudiert von Jeremy Bines und vor allem die Sängerinnen und Sänger, denn die müssen an diesem Abend viel aushalten und das Publikum ebenso.
Zunächst zu den Hauptrollen: Die Donna Leonora singt mit großem, sympathischem Einsatz María José Siri, anfangs gekleidet in einer standesgemäßen, gut geschneiderten Robe (Kostüme: Adriana Braga Peretzki) . Zunächst klingt ihr kräftiger Sopran noch etwas schrill, wird aber im Verlauf trotz aller Tragik, in die ihr Leben mündet, weicher und ausdrucksvoller.
Ihrem Vater, dem brutalen Marchese von Calatrava, verleiht Stephen Bronk, wenn er nicht gerade liebevoll mit seiner Tochter umgeht, einen aufs Böse eingefärbten Bassbariton. Agunda Kulae als Zigeunerin Preziosilla preist mit kraftvollem Mezzo den Krieg und fordert in der Kneipe, lebhaft tanzend, die jungen Männer auf, sich als Soldaten zu melden.
Die Kirchenseite – das Franziskanerkloster – vertreten Marko Mimica als Pater Guardian mit profundem Bassbariton und Misha Kiria (Bariton) als Fra Melitone in würdiger Weise, soweit ihnen das die Regie erlaubt.
Den faszinierendsten Showdown liefern jedoch der amerikanische Tenor Russell Thomas als indigener Don Alvaro und Markus Brück als rachsüchtiger Don Carlo di Vargas mit seinem reichen Bariton. Das menschliche und stimmliche Mit- und Gegeneinander der beiden überstrahlt – zusammen mit dem Einsatz von María José Siri – die nur auf die Darlegung eigener Sichtweisen bedachte Inszenierung von Frank Castorf, bekanntlich urlange Chef der Berliner Volksbühne.
Maria José Siri, Ronni Maciel. Foto: Thomas Aurin
Bei seiner ersten Opernregie in Berlin fehlt es erstaunlicherweise an der Personenführung, die von einem Theatermann zu erwarten ist. Nicht selten müssen vor allem Markus Brück und Russell Thomas weit hinten auf der überfüllten – eher vollgemüllten – Bühne (eingerichtet von Aleksandar Denic) singen. Stattdessen bietet Castorf quasi eine Leichtversion der „Met im Kino“. Die Gesichter der Sängerinnen und Sänger sind bis in die kleinsten Poren oder Bartstoppeln in groß auf den Bildschirmen zu sehen (Video-Design und Live-Kamera: Maryvonne Riedelsheimer, Andreas Deinert und Kathrin Krottenthaler).
Das ist gar nicht mal so schlecht, wird ja auch bei Openair-Konzerten ähnlich praktiziert, doch die pausenlos laufenden Videos mit nicht selten bluttriefenden Szenen nerven allmählich und lenken wohl absichtlich von der Oper ab. So wenn anfangs Leonoras rachsüchtiger Bruder im Hintergrund einer Kneipe wie im Krimi auf der Suche nach seiner Schwester umherstreift und alle rüde würgt.
Genau genommen inszeniert Castorf halt Castorf und sonst fast gar nichts. Die Musik Verdis und der Inhalt dieser Oper kümmern ihn offensichtlich wenig oder gar nicht, selbst wenn er in einem Interview das Gegenteil behauptet. Und es ist auch keine „Macht des Schicksals“, wenn man ihm nicht nur in Bayreuth Wagners (robusten) Ring anvertraut, sondern nun an der Deutschen Oper Berlin als Einstand ein wesentlich sensibleres Werk von Verdi. Bei dem kommt der Protest gegen den Krieg und gegen die Haltung der Kirche unterschwellig und nicht keulenartig daher.
Aber wie sehr der Operninhalt Frank Castorf entgegenkommt und für ihn „ein gefundenes Fressen“ ist, zeigt das schon erwähnte Interview:
„Das Besondere an Verdis LA FORZA DEL DESTINO ist, dass der Alltag in die hohe Kunst der Oper einbricht. Es ist Krieg, Krieg, Krieg. Bei Verdi kämpfen spanische Truppen gegen die Habsburger. Dieser Krieg ist merkwürdig beschrieben. In einer Szene singt eine Zigeunerin: „Der Krieg ist das Beste, was es gibt, wir sind stolz auf den Krieg!“ Bei Verdi spiegelt sich Zerstörung auch in einer bestimmten Ästhetik, Opern zu schreiben. Er löst die Zeit auf, die Handlung, den Raum. Und ich ziehe mit Verdi ins Neapel 1943, in die Welt des Schriftstellers Curzio Malaparte, der in seinem Roman „Die Haut“ beschreibt, wie die Amerikaner in Sizilien landen. Wie Mussolini gestürzt wird. Wie Italiener, die zuvor im Widerstand gegen die Faschisten gearbeitet haben, plötzlich ihre Brüder, Töchter, Mütter verkaufen. Es herrscht Sodom und Gomorrha. Auch so kann Befreiung aussehen. Manchmal ist es schwerer, Befreiung zu ertragen, als besiegt zu werden, schreibt Malaparte.
Solche Brutalität interessiert mich, deshalb suche ich diese Stoffe. Es wird heftig. Aber ich weiß, dass Verdi nicht das Organische wollte, sondern das Disparate. Die Musik ist so schön, aber Verdi wollte wachrütteln. Für mich gehören diese Kriege zusammen – literarisch, historisch, assoziativ.“
So weit, so ungut. Und da ist es beinahe belanglos, wenn der brutale Marchese von Calatrava einen Koffer, gefüllt mit Augen ermordeter Menschen zum Suppekochen erhält, oder Castorf den Indio in einen ständig präsenten Transvestiten verwandelt, der offenbar auch Pater Guardian auf gewisse Weise zu Diensten ist, den anderen jedoch ständig als unentdeckter Schatten folgt oder auf den Videos bluttriefend im Lazarett zu sehen ist.
Rot wie Blut ist auch die Tomatensoße (?) auf den Spagettis, die Fra Melitone an die Armen verteilt. Die sind damit unzufrieden und schmeißen mit dem Nudelzeug um sich, ähnlich wie früher in der Volksbühne bei den Castorf-Inszenierungen, als mit Kartoffelsalat bis in die Zuschauerreihen geworfen wurde.
Zuletzt platzt dem Publikum in der Deutschen Oper doch noch der Kragen, als die Sänger Marko Mimica und Amber Fasquelle nun einen langatmigen Text gegen den Krieg und die Religion zweimal hintereinander und auf Englisch sprechen müssen. Lieber Himmel, das wissen wir doch alles und ist auf der Opernbühne so unnötig wie ein Kropf.
Ein Tumult bricht aus, denn der Großteil des Publikums protestiert heftig gegen diesen den Fortgang der Handlung eingefügten und schlecht gesprochenen Dialog. Warum gestattet ihm solches die Deutsche Oper Berlin? Fast eine Viertelstunde lang ist die Opernhandlung unterbrochen.
Das ist ein posthumer Affront gegen Verdi, der sich anders als das Publikum nicht mehr wehren kann. Und es ist auch eine Zumutung für die Sängerinnen und Sänger, die nach diesem von Castorf vielleicht gerne produzierten Radau ins finale Geschehen zurückfinden müssen. Das gelingt ihnen bewundernswert. Wie schon öfter während der Aufführung erhalten sie sofortigen Zwischenbeifall und zuletzt starken, hoch verdienten Applaus. Dank ihres Einsatzes haben sie die totale Verhunzung von „La Forza del destino“ gerade noch verhindert.
In weiteren Rollen: als Curra: Amber Fasquelle, als Alkalde: Padraic Rowan und als Chirurgus: Timothy Newton. Heraus sticht Michael Kim als Mastro Trabuco, der die Rolle des Händlers mit Temperament und hörenswertem Tenor anreichert.
Ursula Wiegand
Weitere Termine: 14.09., 18.09., 21.09. 24.09. und 28.09. Dann wieder am 20. und 26.06. 2020