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BERLIN / Deutsche Oper LA FIAMMA – CHRISTOF LOY reüssiert mit optischer Reduktion und packender Personenregie; PREMIERE

30.09.2024 | Oper international

BERLIN / Deutsche Oper LA FIAMMA – CHRISTOF LOY reüssiert mit optischer Reduktion und  packender Personenregie; PREMIERE; 29.9.

Ein eindringlich gelungener, hochdramatischer Abend mit Olesya Golovneva, Georgy Vasiliev, Martina Serafin und Doris Soffel in den Hauptrollen

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Martina Serafin. Foto: Monika Rittershaus

BERLIN / Deutsche Oper LA FIAMMA – CHRISTOF LOY reüssiert mit optischer Reduktion und einer packenden Personenregie; PREMIERE; 29.9.

Ein eindringlich gelungener, hochdramatischer Abend mit Olesya Golovneva, Georgy Vasiliev, Martina Serafin und Doris Soffel in den Hauptrollen

Die Deutsche Oper Berlin erweiterte das gängige Opernrepertoire in den letzten Jahren nach einer Meyerbeer-Offensive mit dem Dirigenten Enrique Mazzola zudem programmatisch klug und wagemutig mit wenig bekannten Opern aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf. Nach Korngolds „Wunder der Heliane“, Zandonais „Francesca da Rimini“ und Franz Schrekers „Der Schatzgräber“ war diesmal Ottorino Respighis 1934 am Teatro Reale in Rom uraufgeführter Opernreißer „La Fiamma“ an der Reihe.

In einer wildwüsten, religiös verbrämten, folterangstimmanenten „Hexen“-Verfolgungsepoche, die die Ära der Konflikte zwischen Ost- und Westrom im 7. Jahrhundert als historischen Hintergrund spiegelt und des Exarchen Basilio, Stellvertreter Ostroms in Italien, byzantinischen Sitz Ravenna als Schauplatz hat, geht es um die leidenschaftliche Liebe der Silvana zu ihrem Stiefsohn Donello. Aber auch um gesellschaftlichen Zwang und Enge, das Verdorren von Emotionen, verkörpert durch die stahlharte, ungnädige Schwiegermutter Eudossia, eine geistige Verwandte der Kabanicha. Für sie gibt es nur ihren Sohn Basilio und seinen politischen Machterhalt. Kein Wunder, dass sie dessen viel jüngere Frau Silvana als störend, ergo des Teufels Geschöpf betrachtet.

Noch tiefer gegraben, finden wir in „La Fiamma“ fatale emotionale Abhängigkeiten. Die Flamme im Titel steht weniger für die Scheiterhaufen der Inquisition, sondern das ebenso vernichtende Feuer von Liebe zweier Personen, deren Vertrauen und Intensität sich nicht auf Augenhöhe abspielen. Wer kann schon die Reaktion seiner Partnerin, seines Partners in unerwarteten Extremsituationen wirklich abschätzen? Das erste Opfer ist das Muttersöhnchen Basilio, der Silvana wirklich ehrlich liebt und an einem Herzinfarkt stirbt, als sie ihm ihre Verachtung, ihren Hass und das Liebesverhältnis zu seinem Sohn ins Gesicht schleudert. Silvana ergeht es am Ende des dritten Aktes nicht besser. Bei der kirchlichen “Untersuchung“, ob Silvanas „magische Kräfte“ den Tod des Exarchen herbeigeführt hätten, hört sie auf zu kämpfen und zu schwören, als sie spürt, dass das Vertrauen Donellos schwindet und er sich von ihr entfernt. Die bis dahin ihr und ihrer Liebe günstig gestimmte Menge kippt in vernichtend-exzessive Gewalt. Das Todesurteil ist gesprochen.

Respighi unterzeichnete1932 ein „Manifest italienischer Musiker für die Tradition der romantischen Kunst des 19. Jahrhunderts“, das die italienische Opernästhetik rehabilitieren sollte. Da es aber bekanntlich nie ein wirklich 100-prozentiges Zurück gibt, fügte Respighi in „La Fiamma“ eklektisch verschiedene musikalische Richtungen von gregorianischen Gesängen, exotischer Pentatonik, Puccinis spätveristischem Raffinement über Stravinskis Neoklassizismus bis zu Dissonanzen à la Strauss‘ „Elektra“ zu einem eigenen Opernwurf. Der ist instrumental, von Chor und Gesangspartien her durchaus beeindruckend bis furchteinflößend. Und es sei hier gesagt, auch die Konzentration des Publikums fordernd bis strapazierend. Die Musik Respighis glänzt weniger durch melodische Erfindungsgabe, als einen beinahe durchgehend dramatischen Hochdruck entsprechend der extremen Gefühlslagen der Protagonisten, die sich besonders in der unsäglich schwierig hohen Tessitura der Silvana, ihrer Magd Monica, des Tenors, aber auch der „Hexe“ Agnesia die Cervia widerspiegelt.

Natürlich hat sich der Komponist bei dem spezifischen, im Endeffekt auch für heutige Ohren modern-experimentellen Stilmix etwas gedacht. Dirigent Carlo Rizzi, u.a. künstlerischer Leiter von Opera Rara, kommt zu dem Ergebnis, dass der Komponist mit den unterschiedlichen Stilen jeweils Situationen bzw. Personen charakterisieren wollte. Kirchentonarten stehen für das griechische Byzanz, der attraktive Donello hingegen, der nach Loy eine Art Parallele zum fremden Jüngling aus Pasolinis Film „Teorema“ bildet, wird weitaus lyrischer mit Klarinettenkantilenen und Streichern gekennzeichnet. Im wellenförmig sich steigernden Liebesduett des dritten Aktes hören wir besten Verismo, während Silvana nach ihrem bedingungslosen Geständnis, für ihre Liebe sterben zu wollen, in die leise rezitierende Sprache Monteverdis verfällt.

Respighi war ein Musiker zwischen den Welten einer radikalen Avantgarde und einer kaum noch goutierten Postromantik am Vorabend des Zweiten Weltkrieges. In die Kategorie des „Ein-Werk-Komponisten“ fällt er nicht, vielmehr war er ein vielseitiger Umdeuter von Traditionen wie Casella, Pizzetti oder Castelnovo-Tedesco. Als Vertreter eines sogenannten italienischen Impressionismus sehe ich den aus Bologna stammenden Schüler von Rimsky Korsakow und schwer von Richard Strauss „Salome“ beeindruckten Respighi auf „La Fiamma“ bezogen nur in wenigen Instrumentierungsdetails.

Als Textgrundlage für den Librettisten Claudio Guastalla diente das Schauerdrama „Anna Pedersdotter“ des norwegischen Schriftstellers G. Wiers Jenssen. Das inspirierte Respighi zu einer Vielfalt an instrumentalen Effekten, an denen nicht nur der übliche Bläserapparat, sondern ebenso Pikkolo, Englischhorn, Baßklarinette, Kontrafagott, Schlagzeug und Harfe beteiligt sind. Die Gesangspartien strotzen vor schwüler, morbid hysterischer Chromatik. Die Chorszenen am Ende des ersten und dritten Aktes wirken in ihrer brutalen Wucht statisch oratorienhaft.

Christof Loy lässt das schwerfällige Stück in einem simplen leeren Bühnenrahmen auf zwei Ebenen in der gleichen Optik der dunklen Holzverkleidung des Zuschauerraums spielen. Eine verschiebbare Wand und ein „Fenster“, das den Blick auf einen sich fortlaufend verfinsternden Garten im Hintergrund freigibt, sind die wenigen, dramaturgisch jedoch ausreichenden Gestaltungselemente. Loy konzentriert sich – und das ist sein Erfolgsrezept – auf eine ausgetüftelte Personenführung, auf das Interagieren und das Verhältnis der Personen zueinander sowie einen situationsbezogen adäquaten körperlichen wie mimischen Ausdruck. Da wird nichts umgedeutet bzw. das Libretto tagespolitisch banal überschrieben. Das Stück findet, so wie es im Textbuch seht, statt. Schwarze Kostüme für alle lassen noch mehr die einzelnen Figuren an psychologischer Kontur gewinnen. Absolute Reduktion als Geheimnis für die klare Sichtbarkeit komplexer gesellschaftlicher wie persönlicher Umstände.

Die musikalische Seite dieser Premiere ist mehr als erfreulich. Nicht nur, dass Dirigent Carlo Rizzi offenbar die Neugier von Orchester und Chor dermaßen wecken konnte, dass daraus absolute Spitzenleistungen resultierten. Ich habe zwei exzellente Einspielungen zur Vorbereitung gehört, einmal die Hungaroton-Aufnahme unter Lamberto Gardelli, und einen Mitschnitt aus dem Musikcentrum Vredenburg/Utrecht unter Edo de Waart u.a. mit der jungen Deborah Voigt als Monica.

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Georgy Vasiliev, Olesya Golovneva. Foto: Monika Rittershaus

Die gestrige Aufführung hat mich aber außer den mitreißenden Qualitäten von Orchester und Chor noch intensiver angesprochen, vor allem wegen der Besetzung der weiblichen Hauptrollen. Allen voran ist die jugendlich dramatische Sopranistin Olesya Golovneva als Silvana zu nennen. Alleine, wie sie mit dramatischem Aplomb und Durchschlagskraft bei stets femininer Anmutung die Mammutpartie bewältigt, nötigt Respekt ab. Dazu vermag sie eine universelle Figur aus Fleisch und Blut glaubhaft auf die Bühne zu stellen. Diese in ein aufideologisiertes, völlig liebloses Umfeld hineingeheiratete junge Frau zerbricht wie in Zeitlupe zuerst an den moralischen und sonstigen Zwängen der Schwiegermutter, sodann an der Schwäche ihres Geliebten Donello. Während der „Strauss-Tage“ (Jänner/Februar 2025) wird sie an der Deutschen Oper Berlin „Salome“ sein. Martina Serafin verleiht der Mezzosopranrolle der autoritären Eudossia, ein Monster an Kälte und Härte, ein eindringlich hochdramatisches Profil. Sua Jo, seit letzter Saison Ensemblemitglied des Hauses, stattet die Rolle der Magd Monica, mit der Donello nach seiner Ankunft im Hause seines Vaters Basilio nicht nur turtelt, mit beeindruckender Stimmfülle und top Höhen aus. Faszinierend! In der ersten Liga an Interpretinnen darf die verehrte Doris Soffel nicht vergessen werden. Als der Hexerei überführte Agnese di Cervia zeigt sie einmal mehr, wie man Charakterrollen auch mit immer noch üppigsten Stimmmitteln und ebenso packender Expressivität ausstatten kann. Allen war der tosende Jubel des Publikums gewiss.

Auf der Seite der männlichen Interpreten hat mich der italienische Bariton Ivan Inverardi als unter der Fuchtel seiner Mutter stehende Kirchenführer Basilio am meisten überzeugt. Seine intensiv erfühlte und musiktheatralische Einverleibung dieser Partie berühren ungemein. Wie der trotz oder wegen seines pflichtbeladenen Amtes arme Teufel unter der Last seiner Verpflichtungen leidet und nach dem brutalen Liebesentzug seiner Gattin tödlich zusammenbricht, bietet ganz große Oper: Erschütternd, echt, wahrhaftig. Dagegen hat der bemühte Tenor des Georgy Vasiliev in der Rolle des verführerischen, aber schwachen Donello einen schweren Stand. Mit vergleichsweise geringerem Stimmvolumen bietet er eine gediegene Leistung, was in Anbetracht der ebenfalls von der Tessitura her unangenehm hoch gelegenen Partie nicht wenig ist. Patrick Guetti als Exorzist und Manuel Fuentes als Bischof fügen sich mit gestalterischer Intensität in das düstere Geschehen.

An Chormassen waren der Chor und Extrachor (Einstudierung Jeremy Bines) sowie der Kinderchor der Deutschen Oper (Einstudierung Christian Lindhorst) aufgeboten. Wahrlich eine Wucht.

Fazit: Eine gut durchdachte, vom gesamten Publikum protestlos akklamierte Produktion in musikalisch erster Güte. Ob man allerdings den in großen Teilen schweren Ozeandampfer der Partitur mag oder nicht, ist eine andere Frage. Aber ich empfehle, das nun verlockende Angebot zu nutzen, so rasch wird man diese Rarität, dermaßen eindringlich serviert, nicht mehr hören.

Nächste Termine: 2., 7., 11., 15., und 18. Oktober

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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