BERLIN /Deutsche Oper: INTERMEZZO – Eine bürgerliche Komödie mit sinfonischen Zwischenspielen in zwei Aufzügen PREMIERE; 25.4.2024
Zum 100. Geburtstag der Uraufführung von Intermezzo: Ein witziger, flotter, spritziger Opern-Komödiengenuss!
Philipp Jekal, Maria Bengtsson. Foto: Monika Rittershaus
Eine handfeste Ehe- und Eifersuchtsgeschichte ist „Intermezzo“ vom Sujet her, auch wenn dieses kitzelige Schlüsselelement, dem berühmten Komponisten in sein eigenes Schlafzimmer spechteln zu können, einen zusätzlichen Reiz liefert. Die Protagonisten Christine als karikatural überzeichnete und zugleich künstlerisch überhöhte Ehefrau Pauline und Kapellmeister Robert Storch als ironisches Ebenbild des Meisters selbst bieten genügend Komödienstoff für einen abendfüllenden, unterhaltsamen Theaterbesuch. Sind die Storchs die schrecklich glamourösen „Geissens“ von anno dazumal? Vielleicht. Auf jeden Fall bildet „Intermezzo“ eine Art Vorläufer der beliebten Beziehungs-Reality-Dokus, yoveuristisch ergiebig mit dem gewissen „Adabei“-Faktor durchtränkt.
Aber, und das verdanken wir dem Genie des Richard Strauss,: Die Oper erschöpft sich nicht in oberflächlich aneinander gereihten Szenen des Alltags, sondern wartet mit einer Partitur auf, die ihresgleichen sucht und mir allemal lieber ist als „Capriccio“ und „Arabella“ zusammen. Der virtuose Strauss‘sche Konversationsstil, der das reschen Miteinander eines berühmten Paars auf die Schaufel nimmt, wird in aller seiner unglaublichen Differenzierungsqualität auf die Spitze getrieben, mit orchestral aufdampfender Poesie veredelt und so jeglicher Banalität enthoben. Sind ja doch treu liebende Seelen mit ihren kleinen und großen Ängsten, die da einander gefunden haben. (Schlusssatz der Christine: „Gelt mein lieber Robert, das nennt man doch eine glückliche Ehe?“). Langweilig dürfte es im Hause Strauss jedenfalls nicht gewesen sein.
Wenn das am 4. November 1924 am Schauspielhaus Dresden mit dem Dirigenten Fritz Busch und Lotte Lehmann als Christine uraufgeführte „Intermezzo“ auf den Spielplänen steht, so wie im Mai 1963 im Theater an der Wien (Keilberth; Steffek, Prey), ebenda im Dezember 2008 (K. Petrenko; Glaser, Skovhus) oder konzertant im Festsaal Werdenfels, Garmisch-Partenkirchen (Schirmer; Simone Schneider, Eiche), nicht zu vergessen die Studioeinspielung vom Jänner 1980 aus dem Münchner Herkulessaal (Sawallisch; Popp, Fischer-Dieskau) dann erwartet das Publikum Hochkarärtiges. Da macht auch die erstklassige Aufführung an der Deutschen Oper Berlin keine Ausnahme.
Mit der nach den Worten von Strauss „modernen, absolut realistischen Charakter- und Nervenkomödie“ bewies Strauss abermals sein visionäres Talent, wenngleich oder gerade, weil Hofmannsthal ein derartiges Libretto zu schreiben verweigerte. Also verfasste Strauss, anfänglich unterstützt vom zunehmends ratlosen Hermann Bahr, den wortgewaltigen Text zu seiner „Alltags“-Komödie kurzerhand selbst. Das „Intermezzo“ ist jedoch alles andere als ein kleines unbedeutendes Stück „dazwischen“ geworden, auch wenn Strauss seine „Eheoper“ eher kokett als bescheiden als „Lückenbüßer“ für eine neue Zusammenarbeit mit Hugo von Hofmannsthal betitelte.
Innovativ und originell ist die Musiksprache auf jeden Fall. Strauss wählte als „Gegenpol“ zu den in einem natürlichen Sprachfluss hin und her flitzenden Dialogen, melodramatischen und gesprochenen Passagen insgesamt zwölf stimmungspralle Introduktionen, Orchesterzwischen- und nachspiele, um den komplexen seelisch emotionalen Befindlichkeiten der handelnden Personen musikalische Form zu geben. Diese fein gewebten Instrumentalstücke gehören zum Besten aus Strauss‘ Feder. In den zwei großen Schlussszenen des ersten und zweiten Akts dürfen zudem Christine und Robert gehörig mit vokalem Gold und weitausschwingenden melodiösen Bögen prunken. Leitmotivisch strukturiert und Zitaten-durchzogen, liefert die in Walzerseligkeit (Ball beim Grundlseewirt) und Tonmalerei schwelgende Musik trotz all ihrer kleinen und kleinsten Brüche genügend Stoff für intellektuelles Stöbern und genießerische Emphase bis zur strahlenden Schlussapotheose in Fis-Dur.
Die „Intermezzo“ Premiere an der Deutschen Oper Berlin am 25. April 2024 steht im Zeichen einer dem Regisseur Tobias Kratzer und dem Dirigenten Sir Donald Runnicles anvertrauten Strauss-Trilogie. In die Mitte zwischen „Arabella“ und „Die Frau ohne Schatten“ gepflanzt, werden Paarbeziehungen in verschiedenen Stadien ihres Bestehens auf den Prüfstand gestellt. Für Intermezzo bedeutet das dramaturgisch aus der Sicht des Hauses. „Auf der einen Seite die Frau, die nach einem Lebensinhalt jenseits der Gattinnenrolle sucht und sich doch nicht von ihrem Mann lösen kann, auf der anderen Seite der Mann, der seine Dominanz auch dadurch demonstriert, indem er seine Frau zur Kunstfigur macht und dadurch seine Sicht der Beziehung verewigt.“
Die Verwirrung, die das kleine Drama auslöst, soll auf einer wahren Begebenheit des Ehepaars Strauss aus der frühen Berliner Zeit rühren. Die verflixte Namensähnlichkeit von Strauss mit dem böhmischen Dirigenten Josef Stránský war es, die das Ehepaar in Berlin 1905 fast zur Scheidung gebracht hätte. In der die Handlung doch auf ein allgemeineres Niveau des realen Lebens hievenden Oper erhält die streitbare Hausherrin, nachdem der Musikergatte der Arbeit wegen nach Wien abgereist ist, zuerst lästigen Besuch des sie um Geld anschnorrenden Barons Lummer, sodann einen angeblich an ihren Mann gerichteten anzüglichen Brief einer gewissen Mieze Maier. Das darauf einsetzende burleske Spiel samt Scheidungsdrohung der temperamentvollen Frau löst sich in Nichts mit ehelichem Wonne- und Waschtrog Pathos auf, als klar wird, dass der Brief eigentlich dem Kapellmeister Stroh bestimmt war, einem ebenfalls in Wien engagierten Kollegen des Storch.
Philipp Jekal, Clemens Bieber. Foto: Monika Rittershaus
Tobias Kratzer, sein Bühnen- und Kostümbildner Rainer Sellmaier und der Videokünstler Jonas Dahl verlegen die Story, die eigentlich teils am Grundlsee im steirischen Salzkammergut, teils in Wien spielt, ins Heute an einen Ort im globalisierten Irgendwo. Da sind wir weit entfernt vom zweifelhaften Hyperrealismus der Uraufführung, wo Storch eine Perücke mit der nachgemachten Haarpracht des jungen Strauss trug und das Bühnenbild eine Nachbildung der Garmischer Villa darstellte.
Die Bühne der Neuproduktion bildet einen flachen Raum, der durch eine Wand, der Breite nach geteilt, halb neutraler Holzhintergrund, halb Platz für filmische Projektionen, abgetrennt ist. Orchester und Dirigent erhalten, in den sinfonischen Passagen im Dauerbild, so eine eigene dramaturgische Rolle zugewiesen, somit sie sind auch Akteure des Stücks. Da die Oper ein Amalgam aus parodistischer Konversationskomödie und sinfonischer Dichtung darstellt, ist dieser Ansatz durchaus legitim. Freilich belässt es Kratzer nicht beim unten und oben, sondern flicht in sein metafiktionales Spiel auch Eigenes. Da wird etwa durch einen geschickten Filmwechsel das Orchester der Deutschen Oper Berlin auf einmal vom Sänger des Hofkapellmeisters Robert Storch dirigiert.
Kratzer gelang eine rasante Comédie über den Alltag eines sehr gut situierten bürgerlichen Paars, dessen eine Hälfte Musiker, die andere das typische desperate housewife verkörpert. Dieser Storch ist kein heroischer Held, sondern ein Normalo, der außer Skat seinen Himbeersaft, Hagebuttenmarmelade und hart gekochte Eier liebt.
In einer köstlichen Demontage des romantischen Künstlerideals spielt und singt Philipp Jekal einen erfolgreichen Dirigenten und Komponisten mit geschwellter Brust, selbstzufrieden, eifrig und bodenständig. Seine Streitereien mit Christine zu Beginn der Oper sind an kindischer Rechthaberei nicht zu überbieten. Die Ehe ist so wie viele, man hat sich sanft auseinandergelebt. Jeder läuft eigenen erotischen Fantasien und Vorstellungen nach, miteinander ist es schwierig geworden, doch ohne einander geht es schon gar nicht.
Kratzer weicht zur Aktualisierung von der Vorlage ab. Da gibt es Autos der Marken Mercedes und BMW auf der Bühne, ein weißes Ledersofa symbolisiert den neureichen Schick des Hauses Storch. Storch, kaum aus dem Haus heraus und mit dem Taxi unterwegs nach Wien, schickt der Kammerjungfer Anna ein Emoji mit Herzerln. Christine lernt den Baron Lummer nicht beim Rodeln, sondern bei einem Autounfall kennen. Nach der Ballnacht lässt sie sich auf ein Pantscherl mit ihm ein.
Den Baron Lummer stampft der Tenor Thomas Blondelle als tschickenden Proleten mit gewissen Qualitäten im Bett auf die Bühne. Die Sehnsüchte und Bedürfnisse der Frau aus reichem Haus sind ihm egal, weil er vielmehr auf schnelles Geld aus ist, um mit seiner unbedarften Resi (Lilit Davtyan) ein bequemes Leben führen zu können. Natürlich ist sein angeblicher Wunsch, studieren zu wollen, reine Staffage. In der Figur dieses Lummer karikiert sich der Regisseur expressis verbis selbst (Programmheft), ziert das schwarze Kapperl wie bei Kratzer selbst auch Lummers Kopf.
Das ist aber nicht die einzige die Deutsche Oper Berlin und seine Künstler einbeziehende selbstreferenzielle Travestie. Clemens Bieber als Kapellmeister Stroh hat die Frisur zufällig genauso wie Sir Donald Runnicles. Um bei der Lebedame Mieze Maier Eindruck zu schinden, gibt er sich nämlich als der erfolgreichere Dirigent Storch aus, was den Auslöser des ganzen Verwirrspiels um eheliche Treue, Entfremdung und um Einsamkeit in einer Beziehung markiert.
Christine steht in jeglicher Hinsicht im Zentrum der Oper. Aufreibend nervig und zickig, streitbar und unüberlegt überreaktiv, ist sie diejenige, die am meisten Angst hat, ihren Partner zu verlieren. Wie ein Kind hätschelt und bemuttert sie ihren Mann. Sie darf für den durch die Welt reisenden berühmten Ehegespons das Haus hüten, stets für die praktischen Dinge des Lebens da sein und sitzt in seiner Abwesenheit gelangweilt mit dem Personal auf dem Sofa herum. Zeitunglesen ist die einzige Abwechslung und ein weinig Gesellschaftstratsch der Höhepunkt des Tages. Wer könnte es ihr verübeln, dass sie sich emotional ausgehungert nach einem echten Mannsbild sehnt. Baron Lummer kann der Ersehnte trotz anfänglicher Überprojektion („Er ist wirklich ein sehr netter, ungeheuer bescheidenen Mensch“) durch das betrügerische Verhalten („Tausend Mark will er haben.“) jedenfalls nicht sein. Maria Bengtsson legt ein Kammerstück an psychologischer Durchdringung der in ihrer Rolle gefangenen Frau vor. Überkandidelt und brettldivenhaft versucht sie als liebende Frau und vom eigenen Mann erschaffene Kunstfigur zu bestehen. Denn der Abgrund lauert und sei es durch ein lächerliches Missverständnis ausgelöst, das bei näherer Prüfung leicht zu beheben gewesen wäre.
Vokal hat Christine Storch die längste und anstrengendste Rolle der Oper. Gefühlt singt ihr dreiviertel aller Gesangsparts zugewiesen. Bewundernswert, dass Bengtsson diese anspruchsvolle Partie ohne Ermüdung durchhält und in allen Details ausgetüftelt über die Rampe bringt. Ihre Stärken liegen neben der Darstellung in den elastisch platzierten, seidig schimmernden Höhen. In den teils in stratosphärischer Lage geschriebenen endlosen Kantilenen bietet Bengtsson Stimmluxus pur. Da fließen die Töne sul fiato mit einer schon unverschämten Leichtigkeit. Beim Parlando im tieferen Register trägt die Stimme wenig, da wird es leise und fragil. Man kann nun trefflich darüber streiten, ob das Orchester zu laut war oder die Sängerin für diese Partie mit einem zwar „nur“ 50 Personen umfassenden Orchester in der Tiefe einfach zu wenig an stimmlicher Projektion zu bieten hat. Auch in Sachen Textverständlichkeit bestünde noch Luft nach oben.
Franzl, ihr kleiner Sohn, wird von Elliott Woodruff als frühreifes, altkluges Papasöhnchen verkörpert. Er weiß, was er will, sein Lieblingsspielzeug sind Partituren, ein kleines Klavier und Frack weisen klar in die Zukunft des Buben. Anna Schoeck ist eine selbstbewusste Kammerzofe Anna.
Markus Brück, Maria Bentsson. Foto: Monika Rittershaus
Markus Brück spielt den Notar. Die die Scheidung verlangende Christine stürmt im Elektrakostüm und mit einer Axt ausgerüstet herein, um ihren vermeintlichen Anspruch durchzusetzen. Köstlich augendrehend und genervt von Christine darf Nadine Secunde als Frau des Notars ein weiteres Mal ihre Schauspielgabe unter Beweis stellen.
Joel Allison als Commerzienrat, Simon Pauly als Justizrat und Tobias Kehrer als Kammersänger vervollständigen die wunderbar charakterisierte Skatrunde, die Kratzer in einem Garderobenraum für das Orchester ihr „Männer-unter-sich-Wesen“ treiben lässt. Als die Kunde von Christines Scheidungsambitionen per Whatsapp hereinschwirrt, bricht Storch sofort auf, um zu ihr zu fahren. Kratzer nutzt die Gelegenheit zu einer herrlich komischen Szene in einem durch Sturm gepeitschten Flugzeug. Da nimmt Storch Stroh das Versprechen ab, sich persönlich um eine Klarstellung bei Christine zu bemühen. Bevor wir zum apotheotischen Schluss kommen, dürfen aber noch Marschallin Elektra und Salome über die Leinwand flimmern, während auf der Bühne Christine in einem ungeheuren Chaos ihre Sachen packen will. Gwyneth Jones (Marschallin, Leonie Rysanek (Elektra), aber auch Hanny Steffek (Christine) geben sich in dieser Collage aus bewegten Bildern ohne Ton das Stelldichein an mythischen Opernfiguren.
Der Schluss der Oper bietet der gerüttelten Familie Erleichterung und rückt die Konstellationen wieder so zurecht, wie sie dem Hausherrn und Star konvenieren. Das Orchester auf der Bühne spielt unter der Leitung des Storch, es wird die Oper „Intermezzo“ geprobt. Christine liest und singt nach dem Klavierauszug, den sie immer wieder wütend zu Boden wirft. Alleine das Spiel geht weiter, auf der Bühne wie im Leben. Das Ehepaar wird sich weiter zusammenraufen und seine Art von Glück leben.
Sir Donald Runnicles hat ein gutes Händchen für die komplexe Partitur, die eine der kunstreichsten und witzigsten von Strauss ist. Die vielen kleinen Wandlungen, Tempo- und Rhythmuswechsel à la Janacek serviert er mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin flott und mit klarer Zeichengebung. Insgesamt bevorzugt Runnicles einen pastosen und dramatisch aufrauschenden Strauss-Klang. Dann und wann wäre ein wenig mehr an kammermusikalischer Durchsichtigkeit geboten.
Dem Publikum hat es gefallen. Mit dieser Modellproduktion hat die Deutsche Oper Berlin mit einem gut eingespielten wie kreativen leading team einen echten Theatercoup gelandet. Was ich noch betonen möchte, dass die Inszenierung und vor allem die Personenregie den musikalischen Vorgaben der Oper nicht nur präzise folgen, sondern dank des offenkundigen Einverständnisses von Regisseur und Dirigent genau die Präzision und das Timing ausweist, die eine große Komödie braucht. Da laufen die rasenden Dialoge, Gags und slapstickartigen Szenen ab wie am Schnürl. Grandios und empfehlenswert ist diese Inszenierung und ihre musikalische Umsetzung. Intermezzo möge so einem breiteren Publikum Freude und beste Unterhaltung bescheren.
Teaser zur Oper: https://deutscheoperberlin.de/de_DE/videos/23928
Fotos: Monika Rittershaus
Hinweis: Die Vorstellungen von Intermezzo am 25. April, 1. und 5. Mai 2024 werden von radio3 (vormals rbb Kultur) und Naxos aufgezeichnet. Die Premierenvorstellung am 25. April 2024 wurde live via Hörfunk auf radio3 übertragen. Die Aufnahme der Premierenvorstellung wird am 27. April 2024 ab 20h03 via Hörfunk auf allen Hörfunkwellen der ARD übertragen. Das Label Naxos plant, aus den entstandenen Aufnahmen eine DVD/Blu-ray sowie eine CD zu produzieren.
Dr. Ingobert Waltenberger