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BERLIN/ Deutsche Oper: HAMLET, konzertante Premiere mit Florian Sempey in der Titelpartie und Diana Damrau als Ophélie

Überaus gelungener Saisonausklang mit einer französischen Opernrarität

25.06.2019 | Oper


Florian Sempey, Yves Abel. Foto: Bettina Stoess

BERLIN / Deutsche Oper: HAMLET, konzertante Premiere mit Florian Sempey in der Titelpartie und Diana Damrau als Ophélie, 24.6.2019

 

Überaus gelungener Saisonausklang mit einer französischen Opernrarität

 

“Oh Licht, oh Sonne, oh Ruhm, oh süßer Rausch lebt wohl”, Hamlet Ende 1. Akt

 

Es ist wieder einmal Zeit, überkommene Urteile des 19. Jahrhunderts über bislang weniger erfolgreiche Opern, also Repertoireladenhüter, zu revidieren. Wenn „Faust“ von Gounod ein Publikumsrenner ist, könnte das “Hamlet” von Ambrosia Thomas rein von der musikalischen Substanz her noch allemal sein. Deshalb war auch diese alles in allem exzellente konzertante Aufführung in Berlin (samt zwei Wiederholungen am 27. und 29.6) so wichtig. Dirigent Yves Abel hat mit einer orchestral und chorisch (Jeremy Bines) perfekt einstudierten Aufführung der französischen Fassung alle instrumentalen Finessen der Partitur wie einen am Meeresgrund funkelnden Schatz gehoben: 

 

Schon bei den an Lohengrin 2. Akt erinnernden Fanfaren im einleitenden Krönungsmarsch  glänzt das Blech des Orchesters der Deutschen Oper Berlin wie die Goldelse auf der Siegessäule im Sommersonnenschein. Überhaupt bringt das formidable Orchester an diesem heißen Abend einen Reichtum an Klangfarben ins Spiel, die die Innovationskraft und den Wert der Partitur herausstreichen. Da gibt es neben virtuosen Klarinettensoli  ein von einer Ventilposaune angestimmtes instrumentales Arioso im Orchestervorspiel vor der ersten Geistererscheinung zu bestaunen. So manch Zuschauer wird sich auch gewundert haben, dass ein solistisches Altsaxophon seinen melancholisch reizvollen Klang im Rezitativ vor der Pantomime des 2. Aktes in langen Kantinen ausspielen darf. Berlioz war der erste Opernkomponist überhaupt, der das Instrument in der Partitur der “Trojaner” vorsah. Dass Thomas‘ Oper Hamlet kaum Reißer zum Mitsingen vorweisen kann, stört heute wohl weniger. Dafür lohnt ein genaues Hinhören, wie geschickt der Komponist  parallele Stimmungen im Orchester verarbeitet, und dazu etwa neue „Schnitttechniken“ einsetzt. Anselm Gerhard schreibt dazu im Booklet: „Diese Fragmentierung musikalischer und dramaturgischer Kontinuitäten bei Thomas ist eine unerhörte Qualität. Denn in einem haarsträubenden Stilbruch überblendet er die Ebene des Tragisch-Erhabenen mit einem Splitter aus der komischen Tradition.“


Diana Damrau, Yves Abel. Foto: Bettina Stoess

 

Natürlich verdankte die Oper ihren Erfolg zur Zeit der Entstehung nicht der Rolle des Titelhelden, sondern der großen Szene der Ophélie im vierten Akt. Besonders die exotische  Ballade „des blauen Sees“, eingebettet in eine riesige stil- und genreübergreifende Soloszene ist als Vehikel für Diven wie die Gruberova geeignet. Auch Maria Callas hat diese “Wahnsinnsszene” auf Schallplatte verewigt. Diana Damraus Stimme ist eigentlich schon zu schwer für das Fach der mädchenhaften “femme fragile”. Ideal dafür war etwa Nathalie Dessay auf dem Zenit ihrer Karriere. Dennoch meistert Damrau die luftigen Verzierungen, die langen Legatobögen dieser einem schwedischen Lied nachempfundenen eingängigen Melodie mit Raffinesse und die Koloraturen wie sachte hingetupfte Farbkleckse. Schwierigkeiten hat Damrau allerdings mit der Tessitura der Arie, weshalb die Spitzentöne einiger hörbarer Anstrengung bedürfen. Positiv hervorzuheben ist das wie immer intensive (vielleicht zu kokette) Eintauchen in die Rolle sowie das wunderbare Timbre der deutschen Primadonna, das wie ihr silbernes Abendkleid vor der Pause glitzert und leuchtet. Eine ‚Opheliamania‘ wie im Paris der 1820-Jahre wird es jetzt in Berlin allerdings nicht geben.

 

Florian Sempey als Hamlet ist wahrlich kein von des Krankheits Blässe angekränkelter Schwächling. Der viril markante französische Bariton überwältigt mit der gesanglich besten Leistung des Abends sowohl stimmlich als auch suggestiv-gestisch. Mit wallender Haarmähne und dem Charisma eines auf die Opernbühne verschlagenen Gerard Depardieu wie aus Wajdas Film “Danton” dürfte der grandiose, bisher vor allem als Rossinischer Figaro durch die Lande ziehende Sänger bald voll international durchstarten. Mit seinem expansionsfähigen, balsamischen Bariton zieht  Sempey alle Register dieser unendlich langen und schweren Partie. Ein stabile Mittellage, eine fantastische Höhe sowie ein tragfähiges Piano erlauben Sempey sowohl die seelischen Konflikte und Zerrissenheit der Figur, die vom Geist des vergifteten Vaters beschworene Rache als auch das derbe Trinklied “Oh Zauber des Alkohols, fülle mein Herz mit Rausch und vergessen” zur Begeisterung des Publikums zu intonieren.

 

Überhaupt hat es die Oper neben der staatspolitischen Misere im Staate Dänemark und einer zum Selbstmord getriebenen Braut mit dem Alkohol. Auch die beiden Totengräber (Philipp Jekal, Ya-Chung Huang) singen anstatt zu beten im Duett ein Trinklied, („Nur das Vergnügen am Trinken ist echt, im Wein ist das wahre Leben“), musikalisch eine Reminiszenz an die Geharnischten in der Zauberflöte.

 

Die zweite Sensation des Abends in Bezug auf die Besetzung war Eve-Maud Hubeaux in der Rolle von Hamlets Mutter Gertrude, Königin von Dänemark. In Erscheinung, Eleganz  und Charisma einer Stummfilmdiva der 20-Jahre nicht unähnlich, lässt Hubeaux mit einem mächtigen dramatischen Mezzo aufhorchen. Wie sie schon anlässlich der Messa di Requiem unter Teodor Currenttis zeigte (siehe Ausschnitt youtube https://www.youtube.com/watch?v=feuQGTOw7Xw), liegen ihr expressive Extreme als auch das stilvolle Weben musikalischer Phrasen gleichermaßen, von der Ausstrahlung her wahrlich eine Bette Davis der Opernbühne. Das aufregende Duett mit ihrem Sohn Hamlet im dritten Akt, wo nichts von der gesamten familiären Schmutzwäsche ausgespart wird, war für mich der atemberaubende Kulminationspunkt des Abends.

 

Der königliche Giftmischer und schmierige Machtmensch Claudius wurde vom französischen Bassbariton Nicolas Testé glaubhaft und mit raumfüllender vokaler Düsternis, in der extremen Riefe ein wenig rau bröckelnd, verkörpert. Die kleine Rolle des Polonius, Vater der Ophélie, Mitwisser und Komplize bei der Beseitigung des alten Königs, war dem Stipendiaten des Förderkreises der Deutsch Oper Berlin Byung Gil Kim anvertraut.

 

Die Qualität in den kleinen Rollen  zeigt ja oft den Rang eines Hauses. Der lyrische Tenor Philippe Talbot als Bruder der Ophélie Laërte, Andrew Harris als auf dem tiefen d schwarz orgelnder Geist des verstorbenen Königs, Andrew Dickinson als Marcellus, Thomas Lehman als Horatio (beides Freunde von Hamlet) komplettierten den schallplattenwürdigen Cast.

 

Am Ende viel Jubel für die Beteiligten, besonderes aber für den Dirigenten, das Orchester, den Chor, Sempey, Damrau und  Hubeaux. Jetzt können Melomanen beruhigt in die Sommerpause gehen. Sie gibt noch gehörig kräftige Lebenszeichen, die große alte, ehrwürdige Lady Oper.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

Fotos: Copyright Bettina Stöß

 

 

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