BERLIN / Deutsche Oper FEDORA – Vida Miknevičiūtė und Jonathan Tetelman im Lavastrom entfesselter Leidenschaften; 30.11.2025

Muzychenko, Hakobyan. Foto: Bettina Stoess
Riesenjubel für die zweite Aufführung der Serie
Beinahe zehn Jahre alt und noch immer State of the Art. Christof Loys Inszenierung von Umberto Giordanos Verismoreißer „Fedora“ hatte im Dezember 2016 in Stockholm Premiere, wurde im April 2022 nach Frankfurt übernommen und ist nun vorübergehend an der Deutsche Oper in Berlin (Premiere 27.11.) sanft und gut gelandet.
Das auf die legendäre Sarah Bernhard im fortgeschrittenen Alter maßgeschneiderte Theaterstück des Victorien Sardou sah Giordano in Neapel 1885 in französischer Sprache. Nachdem Giordano seinen künstlerischen Durchbruch mit Andrea Chénier feiern konnte, hielt auch Sardou den Komponisten für geeignet, seine Fedora auf die Opernbühne zu bringen und gab endlich seinen Sanctus dazu. Am 17.11.1898 wurde die Uraufführung am Teatro Lirico in Milano mit Giordano am Pult, Gemma Bellincioni Stagno in der Rolle der Fürstin Fedora Romazov und Enrico Caruso als Verlobtenmörder Loris Ipanov ausgiebig gefeiert.
Russische Nihilisten gegen Anhänger des Zaren samt Attentat auf den Herrscher, Ehrenmord, Spionage, Eifersucht, Rache, Denunzierung und dramatisches Ende in Liebe und Tod: alles wie bei Sardou. Nur verlegte Librettist Arturo Colautti die Handlung des dritten Aktes von Paris an den schweizerischen Thuner See.
Die unglückliche Liebesgeschichte ist rasch erzählt: Die reiche verwitwete Fedora will, offensichtlich ohne sich über ihn näher erkundigt zu haben, den verarmten Grafen Vladimir Andrejevich in St. Petersburg heiraten. Dazu kommt es aber nicht, weil Loris Ipanov den Grafen aus Eifersucht im Pavillon desselben erschießt. Der materiell berechnende Graf mit teuren Nebenbeschäftigungen (Frauen, Pferde, Glückspiel) hatte nämlich an diesem Ort ein Rendez-Vous mit der erst kürzlich angetrauten Frau des Ipanov, Wanda.
In Paris treffen Loris auf Fedora und Giovanni de Siriex auf die Gräfin Olga Sukarev, Cousine Fedoras. Loris liefert seinen Hit ‚Amor ti vieta di non amar‘ (=Amor verbietet Dir, nicht zu lieben) ab und überzeugt Fedora davon, dass der untreue Graf Vladimir als erster geschossen habe und erst darauf von ihm tödlich verwundet wurde. Freilich hatte die rachsüchtige Fedora schon zuvor einen verleumderischen Brief an den russischen Polizeichef und Bruder des Vladimir, General Jariskin, geschrieben, worin sie Loris und dessen Bruder Valerian politisch umstürzlerischer Aktivitäten bezichtigte. Der Akt schließt mit einem wonnig ausgedehnten Liebesduett.
Im dritten Akt leben Loris und Fedora in Fedoras Villa im Berner Oberland. Da erfahren alle, dass der von Olga als Schützling verhätschelte polnische Pianist Boleslao Lazinski ein Spion und der Bruder Loris‘ nach der Verhaftung in der Zelle ertrunken sei. Den Schock überlebt die Mutter von Loris nicht. Ein Freund informiert den Verzweifelten über eine Russin, die die beiden Brüder Ipanov in St. Petersburg denunziert hatte. Als er in dieser Frau Fedora erkennt, verflucht er sie und will sie töten. Sie nimmt Gift und stirbt in seinen Armen. Die Moral von der Geschicht‘: Denunziation fällt auf den Denunzianten zurück. In unserem Fall ist es Fedora, die nicht unbedingt sympathische Heldin, die ihrer Tat in Einsamkeit erliegt.
Musikalisch zeichnet sich die baritonlose Oper – im Sinne von dunklem Gegenspieler zum Tenor – durch wiederkehrende Motive, einen bis zur Hysterie aufgeputschten emotionalen Pegel, ein chopinähnliches Pastiche eines Nocturne (Klavier solo), die Einbeziehung eines Akkordeons in der Begleitung von ‚La montanina‘, eines Schweizer Kuhreigens (Ranz de vaches) sowie ein hochdramatisches Melodram im Finale aus.
Und dennoch will sich diese am Schauspiel, am Text orientierte Musik nicht zu einer dramaturgisch überzeugenden Oper fügen. Da bleiben die Charaktere und nur flüchtig angerissene Genreszenen trotz der glühenden Leidenschaften zu blass und beliebig. Mag sein, dass zur Zeit der Entstehung die Launen einer Diva alleine als bewunderswert genug angesehen wurden, um so einer bemitleidenswert aus dem Bauch agierenden, im Innersten kaltschnäuzigen Figur in ihrem verwerflichen bis zum Selbstmord zwänglichen Verhalten folgen zu wollen. Auch Loris als pubertär am Mamarock kleben gebliebener Jüngling bietet sich nicht gerade als gefestigter Partner einer emotional aus allen Ufern getretenen Frau an.
Damit auch jetzt diese nur ca. knackige 100 Minuten dauernde Oper funktionieren kann – in Berlin wird pausenlos gespielt – bedarf es eines gloriosen Duos aus Sopran und Tenor. In Wien gab es am 15.12.1994 als Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen eine Inszenierung von Jonathan Miller mit Agnes Baltsa und José Carreras in den Hauptrollen. Bis zum Jahr 2005 stand Fedora auf dem Spielplan und erlebte immerhin 40 Vorstellungen. In der Titelpartie waren in der Folge u.a. Mirellas Freni, Mara Zampieri und Katja Ricciarelli zu erleben.

Tetelman, Mikneviciute. Foto: Bettina Stoess
Nicht minder prominent und singdarstellerisch fulminant sind in Berlin, wo Fedora seit Menschengedenken nicht auf den Spielplänen zu finden war, die litauische Sopranistin Vida Miknevičiūtė als Fürstin Fedora Romazov und der aufregendste Versimotenor überhaupt, Jonathan Tetelman als Loris Ipanov angesetzt.
Miknevičiūtė darf als heiratslustige Witwe Fedora in stets hollywoodreifem Look der 20-er Jahre als Bühnenfigur, meist filmisch gedoppelt, ihren Launen und Kaprizen frönen, wobei der Zuschauer immer im Informationsvorsprung bleibt. Viel zu spät kapiert sie, dass sie mit Vladimir einen Spieler, Pferdenarren und Weiberhelden heiraten wollte, dass ihre unbedachte, völlig überschießende Rache, die das Leben der Familie Ipanovs völlig zerstört, auch sie selbst in den Abgrund reißt. Wobei sie gottergeben scheinend – ein bisschen Kirche und Gott muss ja auch sein – das tödliche Gift in einem juwelenbesetzten Kreuz an ihrer Brust stets griffbereit hält. Offenbar ist ihr unbewusst klar, dass ihre Exzesse final selbstmörderisch ausgehen. Rein stimmlich ist die bisher vor allem im deutschen Fach zu Ruhm gelangte Sopranistin mit der stählernen Höhe Vida Miknevičiūtė ein gewaltiges Naturereignis. Zu zarten Piani fähig, sind es indes die kreatürlich in den Raum gepfefferten Spitzentöne, die durch Bein und Mark gehen und das Publikum mitten ins nach solch stimmwundersamer Souveränität gierende Melomanenherz treffen.
Was Stimmpracht und die unglaubliche vokale Projektion anlangt, stand auch Jonathan Tetelman in nichts zurück. Das virile Timbre, die bestsitzenden Stentortöne und tenorale Hochdramatik machen diesen vom Stimmtyp in del Monaco Nähe anzusiedelnden Superstar ohnedies zum unangefochtenen Tenor-Weltmeister im italienischen Fach. Dazu kommt ein Latin-Lover Bühnentemperament, eine blendende Erscheinung und fertig sind die Zutaten, die das Publikum am Ende der Vorstellung völlig ausrasten ließen. Vom Typ her spielte er den zwischen Argwohn und naivem Vertrauen wankenden politisch Verfolgten ebenfalls als emotional tickende Zeitbombe, der erst im Tod der Geliebten seine Unzulänglichkeit allzu spät erkennt.
Was die Bühnenpräsenz und das scharfe Profil der Figuren anlangt, sind noch unbedingt die hinreißende Julia Muzychenko als Gräfin Olga Sukarev und Navasard Hakobyan als Attaché in französischen Staatsdiensten lobend vor den Vorhang zu bitten.
Fedora ist aber auch ein Stück, das in zahlreichen weiteren Gesangs- und Schauspielrollen ein gesamtes Ensemble fordert und beschäftigt. Und allesamt sind da gut auf ihren Posten und machen die Aufführung trotz der strukturellen Schwächen der Oper zu einem großen Ereignis: Arianna Manganello als Page Dimitri, Matthew Peña als Diener Desiré, Michael Dimovsky als Baron Rouvel, Artur Garbas als Kutscher Cirillo, Volodymyr Morozov als Arzt Borov, Tobias Kehrer als Polizeioffizier Gretch, Michael Bachtadze als Chirurg Lorek, Chris Reynolds als Pianist Boleslao Lazinski, Benjamin Dickerson als Knecht Nicola, Simon Grindberg als Sergio, und die Schauspieler Andrea Spartà als Portier Michele, Hanno Jusek als Dr. Müller, Maximilian Reisinger als Diener Basilio, Niall Fallon sowie Koray Tuna als Polizeiagenten.
Christof Loy hat im einfachen Einheitsbühnenbild und mit den eleganten Kostümen des Herbert Murauer inszeniert. Eine großer Goldrahmen dient als Projektionsfläche für schwarz-weiß Live-Videozuspielungen von Close Ups meist der Fedora als Hommage an die vier Stummfilme, die in den zehner- und zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts über Fedora entstanden sind, aber auch um ein Vexierspiel: „Wo geht es um die reale Darstellerin und wo um die Bühnenfigur Fedora und wo sind beide nicht mehr voneinander zu trennen?“ (C. Loy). Der Rahmen gibt zudem im zweiten und dritten Akt den Blick auf weitere Spielebenen des Salons mit Klavier und des heimeligen schweizerischen Hauses frei.
Dirigent John Fiore lässt die Musik eher al fresco denn detailverliebt aufrauschen, in den zwei, drei signature Melodien hat er den Mut, das Schmalz gehörig fließen zu lassen. Gott sei Dank ist da kein „Entschlacker“ am Werk. Orchester und der Chor der Deutschen Oper Berlin gaben – vielleicht auch in Anbetracht der Filmaufzeichnung – alles an Wohlklang und wirkmächtigem Pathos. Vor allem in der letzten Viertelstunde dürfte auch dank Tetelman und Miknevičiūtė so manche heimliche Träne im Publikum geflossen sein.
Hinweis: Die Premiere am 27. November wurde vom rbb aufgenommen und zeitversetzt live im Hörfunk via radio3 um 19h00 übertragen. Die Vorstellungen am 30. November und 2. Dezember werden mitgefilmt. Die Vorstellung am 2. Dezember wird als audiovisueller Livestream auf STAGE+ (Deutsche Grammophon) und medici.tv übertragen. Die Veröffentlichung einer Blu-ray dieser Produktion als Zusammenarbeit zwischen EuroArts, dem rbb und der Deutschen Oper Berlin ist ebenso in Aussicht genommen.
Für Fans großer Sänger und historischer Lives: Die beiden aufwühlendsten Aufnahmen sind der Mitschnitt einer Aufführung vom 14.12.1961 mit Renata Tebaldi und Giuseppe di Stefano aus Neapel unter Arturo Basile und ein Mitschnitt vom 16.9.1969 unter Napoleone Annovazzi aus Lucca (Teatro del Giglio) mit Magda Olivero und wieder Giuseppe di Stefano in den Hauptrollen.
Fotos: Bettina Stöß
Dr. Ingobert Waltenberger

