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BERLIN/ Deutsche Oper: EDWARD II von Andrea Lorenzo Scartazzini Uraufführung

21.02.2017 | Oper

Berlin/ Deutsche Oper: „EDWARD II“ von Andrea Lorenzo Scartazzini Uraufführung, 19.02.2017

„Die Deutsche Oper Berlin hat eine lange Tradition als Spielstätte des zeitgenössischen Musiktheaters. Anknüpfend an die großen Uraufführungsserien ihrer Geschichte wird ab 2016 wieder in jeder Spielzeit ein Kompositionsauftrag für eine große Oper vergeben,“ schreibt sie vorab.

Edward II, Michael Nagy (Edward II) küsst LadislavElgr (Gaveston), Foto Monika Rittershaus
Edward II, Michael Nagy (Edward II) küsst Ladislav Elgr (Gaveston), Foto Monika Rittershaus

Für 2017 hat sie bei Andrea Lorenzo Scartazzini (geb. 1971) geordert und damit klug gewählt. Der 46Jährige weiß zu komponieren und hat ein leicht ins Ohr gehendes 90-Minuten-Werk ohne schrille Dissonanzen, jedoch passend zu den Protagonisten und ihren Schicksalen geschaffen. Gelungen sind ihm vor allem die Massenszenen, die der Chor der Deutschen Oper Berlin, einstudiert von Raymond Hughes, volumig darbietet, Schauspielkunst inklusive.

„Edward II“, das neue Musiktheater, stellt das Leben und Sterben dieses homosexuellen englischen Königs (1284-1327) in zehn zugespitzten Szenen vor. Das Libretto von Thomas Jonigk nutzt Motive aus Christopher Marlowes gleichnamigem Stück, bindet aber auch die anhaltende Diskriminierung und Bedrohung von Menschen anderer sexueller Prägung oder anderer Religion mit ein. Was ist schlimmer, Juden oder Sodomiten? (der feine Ausdruck für Schwule), fragt das angeblich dumme, leicht beeinflussbare Volk. Derbere Ausdrücke fallen später.

Regie führt der international geschätzte Christof Loy, übrigens Jonigks Lebenspartner. Loy doziert nicht, sondern stellt „echte Menschen“ auf die lichte Bühne mit Kapellen-Anmutung (Annette Kurz). Die Partien, die sie zu singen haben, entsprechen ihren Charakteren, schildern auch eindrucksvoll Liebesbegehren, Angstträume und Brutalitäten. Scartazzini, ebenfalls bekennend „anders“, hat keine dürre Papiermusik komponiert.

Edward II, Agneta Eichenholz als Isabella, Foto  Monika Rittershaus
Agneta Eichenholz als Isabella, Foto  Monika Rittershaus

Der hiesige Edward II lebt seine Neigung offen aus und begibt sich damit leichtfertig in Gefahr. Mit einfühlsamem Bariton singt ihn Michael Nagy. Edwards Frau Isabella, mit der er einen Sohn hat, darf sein Schlafzimmer nicht mehr betreten. Diese traurige Rolle ist bei der schönen Sopranistin Agneta Eichenholz in ebenso schöner Kehle.

Gut gecastet ist auch Edwards Lover Piers de Gaveston, hier Ladislav Elgr, ein großer Blonder mit durchsetzungsfähigem Tenor. Ein Prachtkerl in weißer Feinripp-Unterwäsche (Kostüme Klaus Bruns). Bettszenen werden nicht gezeigt.

Recht ähnlich sieht ihm – vielleicht absichtlich? – ein stattlicher stummer Engel (Jarrett Ott) im Glitzeroutfit, der Edward durchs Leben bis zum Tod begleitet. Der tröstet den König auch nach seinen Angstträumen.

Mit einem solchen beginnt die Oper. Maskierte Männer unter Führung von Roger Mortimer (Andrew Harris mit markantem Bass) schleppen Gaveston im blutbeschmierten Abendkleid herbei, zwingen den König und ihn zu dem ansonsten zwischen Mann und Frau üblichen Eheversprechen am Traualtar. Danach bringen sie beide von hinten um. Eine erschreckende, und musikalisch aufrüttelnde Szene, die die spätere Todesart vorwegnimmt. Packend musiziert es das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Thomas Søndergard.

Schreiend erwacht Edward II, seine Frau eilt besorgt herbei. Sie scheint ihren Mann dennoch zu lieben, träumt ihrerseits sogar davon, ihr wachse ein männliches Geschlechtsteil, das ihn begeistern würde. Nach Edwards Paniktraum vertraut sie Kummer, Frust, Eifersucht und eigene Unsicherheit dem kleinen Sohn, Prinz Edward (Mattis van Hasselt) an, der das alles glücklicherweise nicht voll begreift.

Edward II, Gaveston (Ladislav Elgr) wird weggeschleppt, Foto Monika Rittershaus
Gaveston (Ladislav Elgr) wird weggeschleppt, Foto Monika Rittershaus

Genau genommen ist dieses neue Werk – pardon – eine echte Schwulenoper. Der Bischof von Coventry (Burkhard Ulrich), der Edwards offenes Liebesverhältnis mit Gaveston anprangert, ist selbst heimlich schwul. Man reißt ihm die Kleider vom Leib, und schon wird seine Neigung offenkundig. Übermütig macht Edward nun Gaveston zum neuen Bischof. Der aber muss fliehen und wird von einer Menschenmenge gehetzt.

Doch damit nicht genug  – hier sind fast alle mehr oder minder Wichtigen schwul: Priester, Räte und Soldaten, eine Hinzufügung, die in ihrer gewissen Komik den Totengräbern in Shakespeares Hamlet nachempfunden ist. Entsprechend gesungen und gespielt wird das von zwei gestandenen Kräften des Hauses: Markus Brück und Gideon Poppe. Beim Auftritt von Brück, dessen rundlicher Bauch aus dem knappen einschlägigen Lederdress quillt, gibt’s Lacher im Publikum. Auch der Prinz trägt zwischendurch auch mal Tüllrock und Schmuck. Wie der Vater so der Sohn?

Und Isabella? Die befreit sich aus der seelisch-gesellschaftlichen Abhängigkeit vom König und wendet sich dem kraftvollen Mortimer zu. Hart ist sie geworden. Zunächst wird Edward II abgesetzt, der nach Irland geflohene Gaveston bestialisch ermordet. Edward II, wieder als König eingesetzt, tötet aus Rache (angeblich) Hunderttausende seiner Untertanen.

Letztendlich erteilt Isabella den Mordauftrag, und Edward sieht ergeben seinem Ende entgegen. „Ich war ein schlechter König,“ gesteht er seinem Engel. Der Killer Lightborn (James Kryshak) behandelt die Tötung geschäftsmäßig, die beiden schon erwähnten Soldaten führen sie brutal aus und treiben ihm eine glühende Eisenstange durch ein abgesägtes Kuhhorn in den After. (Eine historisch nicht bewiesene Version). Jedenfalls wurde der Mittelalter-Edward II zur Ikone der Schwulenbewegung.

Per saldo erweckt diese Oper den Anschein, als wäre die Liebe von Mann zu Mann das Normale, das Zusammensein von Mann und Frau das Anormale. Lesben kommen im Stück gar nicht vor. Wo bleibt da die so dramatisch eingeforderte Toleranz gegenüber den Anderslebenden?

Solche Fragen stellen sich die Besucher dieser Uraufführung offenkundig nicht. Und was mögen die etwa sechsjährigen Chorkinder bei solchen Bildern denken? Einhelliger Beifall erfüllt das ausverkaufte Haus, kein einziges Buh ist zu vernehmen, auch nicht beim Erscheinen des Regieteams. Berlin ist halt eine tolerante Stadt.    

Ursula Wiegand

Weitere Termine am 24.02. sowie am 04. und 09. März

 

 

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