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BERLIN/ Deutsche Oper: DON QUICHOTTE. Premiere

Poetisch surreale Deutung dieser polystilistisch späten Massenet-Oper

31.05.2019 | Oper


Foto: Deutsche Oper Berlin/ Thomas Aurin

BERLIN / Deutsche Oper: DON QUICHOTTE, Premiere, 30.5.2019

Poetisch surreale Deutung dieser polystilistisch späten Massenet-Oper

 

Eine Oper mit einem Bass in der Titelrolle? Wenn schon denn schon, dann sollte solch ein Stück Musiktheater zumindest ein Politisch-Dramatischer, wie der hypertrophe Machthaber Boris Godunow oder Erotisch-Dämonischer wie der lüsterne Höllenhund Don Giovanni sein. Aber eine komisch heroische, aus der Zeit gefallene und am Ende tragische Fantasiefigur wie der gegen Windmühlen kämpfende Don Quichotte? Er ist der gute Ritter von der traurigen Gestalt, der „mit blitzender Rüstung, Lanze, Schild und Schwert auf einem alten Pferd durch die Gegend galoppiert, um heldenhaft gegen das Unrecht zu kämpfen und den Menschen die alten glückseligen Zeiten wiederzubringen.

 

Jules Massenet hat sich mit Hilfe des Librettisten Henri Cain das Drama “Le Chevalier de la longue figure” von Jacques Le Lorrain sowie den 1000 Seiten Roman des Miguel de Cervantes musikalisch zu Eigen gemacht, voller feinem südländischem Charme und fast schon zärtlichem Respekt vor dem weltfremden Idealisten. Freilich nicht ohne in dieser 23.  und damit vorletzten Oper starke eigene Akzente zu setzen. Natürlich steht in der Oper die Liebesgeschichte im Zentrum der Handlung.  „Um Dulcinées Liebe zu erringen, soll Don Quichotte eine von Räubern gestohlene Perlenkette zurückbringen. Als der Liebesritter tatsächlich in die Hände der Banditen fällt, sind jene von Quichottes Großmut und naiver Gutartigkeit so berührt, dass sie ihm Leib, Leben und obendrein den geraubten Schmuck schenken. Der zurückkehrende Sieger wagt einen Heiratsantrag, aber die Herzensdame lacht nur. Der alte Träumer, er ist am Ende und stirbt. Seinem treuen Begleiter Sancho Pansa möchte er als letzte Tat noch etwas vererben, doch sein einziger Besitz sind seine Träume.” (Quelle: Aufsatz: Abenteuer eines trauernden Ritters” Website der Deutschen  Oper). Kein Wunder: Don Quichotte, so ist dem Original zu entnehmen, verschlang Ritterromane in so großer Zahl, dass sein Gehirn vom vielen Lesen „austrocknete“ und er schließlich den Verstand verlor: „Sein Kopf füllte sich mit allem, was er in den Büchern gelesen, mit Verzauberungen, Schlachten, Liebe und sonstigem haarsträubenden Unsinn.“ 


Foto: Deutsche Oper Berlin/ Thomas Aurin

 Kennen oder gar live erlebt haben werden Massenets Don Quichotte dennoch herzlich wenige und wenn, dann konzertant oder von einer der handverlesenen Platteneinspielungen (Kord; Ghiaurov, Crespin, Bacquier DECCA – Plasson; Van Dam Fondari, Berganza ERATO oder die relativ neueste Aufnahme unter Gergiev mit Furlanetto in der Titelpartie). Die Deutsche Oper Berlin nimmt sich nun des raren Juwels an. Mit einer jungen Besetzung und in der Regie von Jakop Ahlbom, ein Zauberer und Performer, dessen Qualitäten in der Kreation magischer und surrealistisch-albtraumhafter Theaterwelten liegen. Seine Produktionen verbinden Pantomime, Tanz, Musik und Illusion. Also tut Ahlbom was er kann und setzt Don Quichotte in ein cabarethaftes Ambiente mit viel Tanz, Akrobatik , Zaubertricks, allerlei Käfergetier und surrealen Gestalten auf die Bühne.

 

Das führt teils zu umwerfend poetischen Bildern: Sancho Panda ist selbst – einen schicken Pferdekopf übergestülpt – Rosinante und trägt den seelisch weidwunden Don Quichotte auf seinem Rücken weg von Dulcinea. Was für ein überragendes Bild von unverbrüchlicher Freundschaft. Oder die von Quichotte als Riese wahrgenommene Windmühle als optisch großer schnurrbartbewehrter Kopf, durch dessen Mund Don Qichotte geht und aus dessen langer Zunge im Waldbild des dritten Aktes Riesenkäfer auf die Bühne kriechen.

 

Auf der anderen Seite gehen der allmähliche Abschied vom Leben unseres Helden, die Trauer um die Unmöglichkeit von Liebe und Realisierung innerster Träume in diesem optischen Overkill an Bewegung, Gestalten und kunstgeschichtlich überfrachteten  Bilder unter. Vor allem die introvertierteren Passagen der Musik werden da bisweilen allzu grell mit überbordende optischer Phantasiegewalt “übertönt”. 

 

Rein musikalisch bietet der Abend viel Schönes. Emmanuel Villaume, der seine erste Premiere an der Deutschen Oper Berlin absolvierte, hat das richtige Feeling für das Pariser Parfum als auch die zahllosen Feinheiten der Partitur. Massenets Spätstil ist geprägt von äußerster Verknappung der Mittel, einer Fülle an (Eigen)Zitaten, einem wilden Mix aus spanischer Kunstfolklore, mächtigen Chören, sakralen Einwürfen in Kirchentonarten, an Rhythmik der Tanzmusik der Renaissance, fein abgestimmten Zwischentönen, Debussy fügte als Merkmale noch “klare, helle Farben und flüsternde Melodien” hinzu. Das Orchester der Deutschen Oper Berlin spann einen wunderbar duftig melancholischen Klangteppich, die leisen Vorspiele des vierten und fünften Aktes in ein irisierendes Theaterlicht tauchend.

 

Die drei Hauptrollen – einzigartigerweise kein Sopran und Tenor dabei – verlangen nach zwei Bässen und einem Mezzo mit ausladender Kontraalttiefe und koloraturgewandten Höhen. An erster Stelle ist hier – auch der Applausstärke nach – Seth Carico in der Dienerrolle des Sancho Panda zu nennen. Ganz geistiger Bruder des Leporello darf auch er eine Arie über die Untreue singen. Carico verfügt über einen breit aufgestellten Bassbariton mit guter Tiefe, kerniger Mittellage und tollen Höhen. Vor allem aber stellt er einen Typ auf die Bühne, menschlich, sympathisch, in seiner finalen Trauer und Hilflosigkeit unendlich berührend. Don Quichottes Angebetete Dulcinée ist bei Clémentine Margaine eine ziemlich deftige Femme Fatale. Mit mächtig auftrumpfendem Alt erinnert sie an die legendäre Regine Crespin. Von der Regie ist sie als Serviererin in einem Restaurant gezeichnet, nur Don Quichotte sieht Dulcinée in seiner Fantasie als rotgewandete Schönheit. Leider, wirklich leider ist der italienische Bassbariton Alex Esposito in der Titelpartie als (Stimm)Typ eine Fehlbesetzung. Reüssierte der junge sympathische Sänger wunderbar als Leporello in Don Giovanni, so liegt ihm die für Fjodor Schaljapin geschrieben Bassrolle eindeutig zu tief. Dort wo es darauf ankäme, fehlt es der Stimme an Expansionsfähigkeit. Nur in den Piani stellt sich auf einmal der lyrische Zauber ein, den diese Partie von Anfang an verlangt. Außerdem sieht er muskelbepackt in seiner engen Hose, den mit silbernen Paillette besetzten Stilettos ganz und gar nicht wie eine “traurige Gestalt” aus. Kein Mensch kann verstehen, warum er verhöhnt, geschweige denn von Dulcinée zurückgewiesen wird. Das Vierergespann an Verehrern Dulcineés (Pedro, Garcias, Rodriguez, Juan) ist mit Alexandra Hutton, Cornelia Kim, James Kryshak und Samuel Dale Johnson erstklassig besetzt. 

 

Stimmlich und schauspielerisch großartig agiert der Chor im ersten und vierten Akt (Einstudierung Jeremy Bines). Ein Akrobat (John Förster), ein Gitarrist (Gonzalo Celis), jede Menge an Tänzern und eine entfesselte Statisterie sorgen für eine volle Bühne im Cinemascope Format.

 

Am Ende großer Applaus für das Orchester, Carico und Margaine, verhaltener für Esposito. Das Regieteam mit Jakop Ahlbom, Katrin Bombe – Bühne, Ulrich Niepel – Licht durfte sich der uneingeschränkten Zustimmung des Publikums erfreuen.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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