BERLIN / Deutsche Oper: DON GIOVANNI; 11.9.2024
Ganz nach Berliner Club-Art: Don Giovanni als schrill, kinky, fetischburleske Supershow
Copyright: Bettina Stoess
2010 ging die Premiere über die Bühne, Roland Schwabs, dem Nightclub genius loci Berlin huldigende Don Giovanni Inszenierung. Hier steht das Verlangen des Giovanni nach Strafe, seine apokalyptische Sehnsucht nach dem Jüngsten Gericht, Gewalt und Selbstzerstörung im Mittelpunkt einer bildmächtigen Produktion. Emotionaler Vampirismus, „Fanny Games“, sadistische Grässlichkeiten, Selbstverschwendung, die Utopie von Ekstase, Transzendenz, großer Rausch, große Ernüchterung sind die Stichworte, die Schwabs Don Giovanni Inszenierung heute noch genauso radikal aktuell und begreifbar machen wie am ersten Tag.
Dass es da nicht immer salonfähig zugeht, versteht sich von selbst. Wer die Berliner Clubszene kennt, wird da nicht schockiert sein. Ändere vielleicht schon. Vor allem, wenn das Finale des ersten Aktes eine wilde Party im Berghain, KitKat oder einer anderen der mythischen Berliner Club Locations mit all dem „hedonistischen Originalitätszwang“ (ist nicht so schlimm, tragen alle eh nur schwarze Klamotten) imitiert. Und die szenisch rotdampfende, extrem wilde Höllenfahrt in nichts anderem besteht, als dass auf den die ganze Bühnenmaschinerie in wogendes Auf und Ab versetzenden Drogen Horrortrip das nüchterne Aufwachen unseres mentalerotischen Antihelden und Möchtegern-Märtyrers folgt. Wieder ist es nichts mit der Erlösung, sondern Don Giovanni muss weiter seinen schon längst überdrüssigen, ihm zum Hals heraushängenden dekadenten Party-Nihilismus weiterleben. Das ist seine wahre Hölle.
Auf das Final-Ensemble „Questo è il fin di chi fa mal! E de’ perfidi la morte alla vita è sempre ugual!“ wird verzichtet. Schwab hat dennoch auf die Charakterisierung des Werks als dramma giocoso beileibe nicht vergessen. Es gibt sie, die humorigen und komischen Momente in dieser Inszenierung, vor allem, weil Schwab den Don Giovanni mit einem Bewegungschor zigfach duplizierend, mimisch all die Verachtung und den giftigen Hohn seiner Seele pantomimisch wunderbar locker frech auflöst.
Funktioniert hat die Sache an diesem Abend ganz großartig. Der Altersdurchschnitt des Publikums dürfte – ich kam aus dem Staunen nicht heraus – zwischen 30 und 40 gelegen haben und der Schlussapplaus war so lautstark begeistert wie bei einer Premiere an der Komischen Oper oder einem Pop-Konzert. Ein, zwei Buhs ausgenommen, aber das gehört bei so einem intensiven Abend einfach dazu.
Die musikalische Seite des Abends war fabulös. Schon bei der Ouvertüre hat Dirigent Andrea Sanguinetti, neuer GM des Aalto Musiktheaters Essen und der Essener Philharmoniker, mit viel Körpereinsatz die mephistophelische Kadenz vorgegeben. Die Don Giovanni-Partitur setzte er genauso furios gegen den Strich gebürstet, dramatisch, flott und spannend-kantig um, wie dies einst Currentzis tat. Das Orchester der Deutschen Oper Berlin folgte seinen Anweisungen taktgenau.
Copyright: Bettina Stoess
Mattia Olivieri als Don Giovanni und Tommaso Barea als Don Giovanni und Leporello sind aktuell in diesen Rollen, vor allem in dieser fordernden Inszenierung, unüberbietbar. Optische, stimmliche und darstellerische Gesamtkunstgeschöpfe sind sie, die auch als Hollywood-Filmstars für Furore sorgen würden. Der italienische Kavaliersbariton Mattia Olivieri, schon längst kein Geheimtipp mehr, gibt den perversen Schönling als Marquis de Sade Imitat, als eine Art schwarzes Loch im Berliner Nachtdunkel-Universum mit körperlich artistischer Bravour, elegant kerniger Stimmführung und einer prickelnden Champagnerarie, die diesen Namen diesmal auch verdient. Seinen schwarzlockigen Spießgesellen Leporello verkörperte der Venezianer Tommaso Barea, der schon in der Komischen Oper als Figaro bella figura machte. Als devoter Hipster, als virtuos komischer Feierkumpane, als his Masters Voice glüht und brennt sich auch er durch die Untiefen „metropolitaner Sucht- und Sehnsuchtskulissen.“
Der Rest der Besetzung rekrutierte sich überwiegend aus dem stark verjüngten, gefühlt immer interessanter werdenden Ensemble der Deutschen Oper Berlin. Allen voran die lyrisch-dramatische Maria Motolygina als stimmlich außerordentlich gewandte wie durchschlagskräftige Donna Elvira. Ihre große Arie „Mi tradì quell’alma ingrata: infelice, oh Dio! mi fa.“ bot sie mit einer stupenden Leichtigkeit und dennoch großem Ton dar. Auch die Charakterisierung der Rolle als erztreu-eifersüchtige, sich von den Männern viel zu viel gefallen lassende Frau gelang ihr vorzüglich. Zudem legte der deutsch-britische Tenor Kleran Carrel, Christoph Prégardien Schüler, ein stimmliches Kabinettstück als Don Ottavio vor. Die zweite Strophe seiner berühmten Arie „Dalla sua Pace“ in ätherisch schwebenden Piani geriet zum veritablen Mozart-Juwel. Die portorikanische lyrische Koloratursopranistin Meechot Marrero und Manuel Fuentes gaben das quirlig-bäuerlich ungleiche Paar Zerlina und Masetto. Der teerschwarz kieselgranulierte Bass von Patrick Guetti – sein Sarastro führte ihn schon an die New Yorker Met – war der Prototyp eines furchteinflößenden Komturs: Leider machten der Qualität seiner Leistung die mit der Stimmwucht offenbar überforderten Lautsprecher zu schaffen. Das einsame Buh vor dem Solovorhang hätte gerechterweise der Technik gebührt. Bleibt Fiuirina Stucki als Donna Anna. Ihr präziser und agil geführter lyrischer Sopran mit gestochen scharfen Koloraturen in der großen Arie im zweiten Akt „Non mi dir“ ist für diese dramatische Rolle bei allem Respekt zu leichtgewichtig. Sicher, in den Ensembles hält sie wunderbar Linie und überrascht mit vielen Decrescendi und feiner vokaler Gestaltungskunst. Aber bitte mit mehr Risiko und Emotion. Dort, wo es in dieser Rolle Farbe und Expressivität zu bekennen gibt, herrschte stattdessen Vorsicht und Bedachtsamkeit.
Insgesamt herauszustreichen ist, dass mit dem Ensemble musikalisch offenbar intensiv gearbeitet wurde. Gesungen wurde allseits mit vielen, früher nicht üblichen Verzierungen, wie es derzeit aus der Barockmusik hergeleitet, halt so Mode ist.
Maria Bogdanova (Mandoline) und Pauli Jämsä am Fortepiano gebührt ein Sonderlob für ihre charaktervollen musikalischen Beiträge.
Fazit: Ein Repertoire-Opernabend mit Suspense und feurigem Chili, in einer szenischen wie musikalischen Geschlossenheit, wie sie nur selten zu erleben ist. Die Weltklasse Performance von Olivieri und Barea, ergänzt um ein engagiertes und stimmlich vorzügliches Ensemble, machten den Abend in dieser hervorragenden, für Berlin maßgeschneiderten Produktion zu einem großen Erlebnis. Höchst empfehlenswert.
Weitere Vorstellungen: am 14. und 18. September
Fotos mit Olivieri und Barea aus einer Vorstellungsserie 2023. Copyright Bettina Stöß
Dr. Ingobert Waltenberger