Berlin / Deutsche Oper – DIE ZAUBERFLÖTE: Mozartsensation an der Deutschen Oper
Der Dirigent David Bates macht Repertoirevorstellung der „Zauberflöte“ zum Glanzlicht
Man begibt sich zum Platz, lehnt sich in Erwartung einer mäßig interessanten Vorstellung der lange bekannten Inszenierung von Günter Krämer, von der viele sagen, sie hätte statt einer der in der nächsten Saison zum letzten Mal gespielten Repertoireperlen („Tannhäuser“, „Andrea Chenier“, „Parsifal“ und die schon letzte Spielzeit entsorgte und bereits jetzt schon schmerzlich vermisste „La Gioconda“ – böse Zungen behaupten bereits, dass auch die Regiemeisterwerke „La boheme“ und „Tosca“ zeitnah ausgetauscht werden) zum Abschuss freigegeben werden sollen, in den Stuhl zurück und gedenkt, für die nächsten drei Stunden abzuschalten. Man erwartet, dass das einlullende, vor sich hin plätschernde Dirigat eines der Kapellmeister beginnt.
Doch weit gefehlt.
Ein bestens gelaunter, zu Späßen aufgelegter, aber optisch auf den ersten Blick recht unscheinbarer Mann, David Bates, betritt den Graben. Es ist die einzige (!) Aufführung, die er dirigiert. Man kann davon ausgehen, dass bei der vorletzten von 14 Aufführungen in dieser Spielzeit und der 396. Vorstellung dieser Inszenierung nur eine kurze Verständigungsprobe oder gar keine Probe angesetzt war – umso mehr überrascht das was folgt.
Bereits bei den ersten Akkorden wird klar, dass heute etwas anders ist, sobald die schnellen Takte der Ouvertüre beginnen, sitze ich drei Stunden auf der Stuhlkante und starre die meiste Zeit gebannt in den Orchestergraben. Das Wagner- und Strauss-erprobte Orchester der Deutschen Oper klingt in Sachen Mozart wie ausgetauscht. Ein transparenter, süffiger Mozartklang entspringt dem Graben. In meist flotten, teilweise sehr raschen Tempi, mit großer Verve und sehr unterschiedlichen, zur jeweiligen Situation der Handlung passenden Klangfarben wird die Aufführung zu einem absoluten Hörerlebnis. Alle folgen dem Dirigenten willig und, wie es scheint gut gelaunt. Außer dem Terzett der Knaben „Bald prangt den Morgen zu verkünden“ funktioniert die von Tempo und Dynamik sich deutlich von den anderen Repertoirevorstellungen unterscheidende Aufführung wie ein Uhrwerk. Bates kommuniziert so toll mit den Musikerinnen und Musikern. In den zackigen Zeichen, die er gibt, dem wie eine Peitsche geschwungenen Taktstock und vor allem in der differenzierten, stets die Stimmung des Folgenden ausdrückenden Mimik des Maestros liegt das Geheimnis dieses Klangs, der aufhorchen lässt.
Die Mitglieder des Ensembles in den Solopartien machen an diesem Abend einen sehr guten Job und wachsen über sich hinaus. Philip Jekal, der schon sehr oft Papagenos am Haus gesungen hat, läuft an diesem Abend zur Hochform auf. Mit wirklich
komischem Spiel entlockt er dem Publikum eine Lachsalve nach der anderen. Auch stimmlich ist er bestens disponiert und singt einen absolut rollendeckenden und spannenden Vogelfänger. Gerade in der Arie „Ein Mädchen oder Weibchen“, die von David Bates in aberwitzigem Tempo gespielt wird, brilliert er und weiß, wie er mit den spannenden Accelerandi und Diminuendi des Dirigenten umzugehen hat.
Kiran Carell singt einen recht klangschönen, absolut adäquaten Tamino. Seine Stimme hat den Glanz, welchen die Rolle verlangt. Die Bildnis-Arie mit ihren schwer zu singenden Legatobögen gelingt ihm prächtig. Sein Rollenportrait lässt keine Wünsche offen.
Hey-Young Moon, die „Königin der Nacht vom Dienst“ an der Deutsche Oper Berlin, scheint wie ausgetauscht und singt alle Koloraturen auf den Punkt und erreicht die gefürchteten Spitzentöne zielsicher und brillant. Der äußerst wertschätzend dreinschauende und anspornend agierende Dirigent tut das Seine bei ihren Arien.
Die Sandvoss-Stipendiatin Alexandra Oomens, die für diese Spielzeit an der Deutschen Oper weilt und an diesem Abend zum wiederholten Male die Pamina gibt, singt diese mit vollem, sattem Ton. Pamina wird hier als selbstbewusste Frau und erfreulicherweise nicht als „schüchternes Küken“ gegeben. Insgesamt mangelt es der Deutschen Oper ja nicht an tollen Paminas im Ensemble. An dieser Stelle soll gerade die bezaubernde Lilit Davtyan einmal erwähnt werden.
Flurina Stucki, Marina Baroni und Oleksandra Diachenko agieren stimmlich erfreulicherweise als Einheit und passen auch die Lautstärke aneinander an. Ihr freudiges Spiel in der ersten Szene der Oper ist überzeugend.
Schön ist, dass die drei Knaben von Mitgliedern des hauseigenenen Kinderchors besetzt werden können. Sie schlagen sich wacker in ihren schwierig zu singenden Partien. Die drei Stimmen harmonieren gut.
Die große Enttäuschung des Abends ist der Sarastro von Youngwang Oh. Er singt meckernd und mit sehr unangenehmem, rauem Timbre. Er hat so gar nichts von „seriösem Bass“ und verströmt so gar keinen Wohlklang. Auch in den Ensembles wird seine nicht anpassungsfähige Stimme zum Fremdkörper. Ausgerechnet er musste als Gast für teures Geld eingekauft werden. Wie gerne hätte man den ausgefallenen hauseigenen Patrick Guetti oder noch lieber den vermutlich bereits zu Proben in Bayreuth weilenden Ensemblestar Tobias Kehrer gehört.
Auch Michael Bachtadzes Sprecher gerät eher ungünstig und lässt die für die kurze Rolle so wichtige klare Diktion vermissen.
Insgesamt ein packender, spannender Abend, der die bekannteste aller Mozartopern aus dem Repertoiremief herausreißt und der vor allem durch das historisch informierte und so wunderbar aufrüttelnde Dirigat von David Bates zu einem großen Erlebnis geriet – gerne mehr davon!
Wie wäre es mit einer Neuinszenierung der „Zauberflöte“ mit diesem wundervollen Dirigenten am Pult? Die Berliner Opernszene hätte ein neues Glanzlicht in all ihren enervierenden Repertoiredoppelungen.
Zum Schluss noch eine Bitte an den designierten Intendanten und den nun für ein Jahr zur Interimsintendanz erhobenen Operndirektor: Lassen Sie dem Berliner Publikum die letzten Regieperlen des Repertoires der Deutschen Oper. Gerade junge Leute brauchen ein paar optisch schöne und opulente Inszenierungen (und gerne auch wieder in der Originalzeit spielende Neuinszenierungen) für ihre Erstbegegnungen mit der Oper. Das sollten auch die sich in ihrer Filterblase befindende Intendanten und Regisseure verstehen, sonst wird bald vor noch leereren Rängen gespielt. Oper darf auch verzaubern und muss nicht nur „erziehen“.
Matthias Kasper
Besuchte Vorstellung: Sa, 29.06.25 – 396. Vorstellung in dieser Inszenierung