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BERLIN/ Deutsche Oper: DIE WALKÜRE. Premiere

Statt „Parsifal“-Bett nun „Ring“-Klavier…

29.09.2020 | Oper international

Berlin/DOB: DIE WALKÜRE Premiere am 27. September 2020

Statt „Parsifal“-Bett nun „Ring“-Klavier…

Nun fand sie trotz aller Corona-Unsicherheit doch endlich statt, die lang und mit Spannung erwartete neue „Walküre“ an der DOB durch den norwegischen Regisseur Stefan Herheim, nachdem man den Vorabend, „Das Rheingold“, durchaus erfolgreich noch auf dem Parkdeck über die Bühne gehen gelassen hatte. Damit ist nun die fast eine Ewigkeit gespielte und richtungweisende „Tunnel“-Produktion des „Ring“ von Götz Friedrich, die schon Kultstatus erreicht hatte, endgültig Vergangenheit – eine glorreiche für die DOB! Große Fußstapfen also, in die sich der Regisseur der neuen Produktion hineinwagen musste. Aber von Stefan Herheim, der sich mit dem Dramaturgen Alexander Meier-Dörzenbach auch als Wagner-Regisseur mit seinem beeindruckenden „Parsifal“ 2008 in Bayreuth und einem äußerst fantasievollen „Tannhäuser“-Potpourri in Oslo 2010 einen Namen gemacht hat, schienen diese nicht zu groß. Jörg Königsdorf kam an der Spree als weiterer Dramaturg hinzu.

Man soll den „Ring“ ja nicht vor den letzten Takten der „Götterdämmerung“ loben. Aber was gestern in Berlin zu sehen war, lässt keine große Hoffnung auf einen neuen Berliner „Ring“-Weitwurf zu.

Unzählige alte Koffer bevölkern die Bühne Herheims und Silke Bauers, als Hundings Hütte noch an das freilich sängerfreundliche Halbrund der Böcklinschen Toteninsel in Chéreaus Bayreuther Jahrhundert-„Ring“ erinnernd. Wieder einmal beginnt eine Oper erst mal ohne Musik, eine Unart, die sich immer mehr einzuschleichen scheint, wohl, um wieder mal etwas anders zu machen, als der Zuschauer und -hörer gewohnt ist. Neues um des Neuen willen… Aber davon kommt noch mehr an diesem Abend. Man sieht Sieglinde hektisch ihren Koffer packen, sie will wohl weg aus Hundings Zwang. Unter Blitz und Donner fährt ein mitten im Raum stehender Konzertflügel auf einem (Tuch)-Feuerstrahl in die Höhe – die Bude spielt verrückt. Ein großer Schäferhund kommt aus dem Souffleurkasten! Er sieht wie einer der Wölfe Wotans aus (ist aber wohl keiner – Tierschutzgesetze, bedrohte Arten!) und schnüffelt die ganze Hütte ab. Es wird bei aller Herheimscher Detailverliebtheit nicht klar, ob es Geri oder Freki ist.


Brandon Jovanovich (Siegmund), Lise Davidsen (Sieglinde), Eric Naumann (Hundingling). Foto: Bernd Uhlig

Dann bricht Siegmund herein, Sieglinde schmeißt sich ihm Minuten später schon an den Hals, und im allgemeinen Krachen wacht ein gewisser „Hundingling“ auf, ein kleiner Bursche (Eric Naumann), der Sohn Hundings und Sieglindes (!). Er beginnt sofort, den Eindringling mit dem Messer zu bedrohen, was eine Zeit lang immer langweiliger werdend so weitergeht. Dann wird er von Hunding vereinnahmt, und schließlich findet er Gefallen an der Liebe der beiden Geschwister, was Sieglinde aber nicht davon abhält, ihm im Sturm der Begeisterung über ihre Befreiung durch den Bruder die Gurgel durchzuschneiden. Die abstruse Begründung für diese völlig überflüssige stumme Rolle: Herheim fand die Szene, in der eine mit Gewalt in die Ehe gezwungene Frau sich als Sünderin wider wahrer Liebe und Täterin selbst anklagt, immer höchst problematisch und in unserer Zeit nicht vertretbar.“ Mit der Hinzudichtung des Kindes von Hunding und ihr will er sie  „psychologisch anders disponieren und ihr Trauma materialisieren.“ Um mit Siegmund neu beginnen zu können, meint Sieglinde nun, das Kind umbringen zu müssen, denn erst mit der Schwangerschaft durch den Wälsen gewinnt sie neuen Lebenswillen, eine Art Medea. Übrigens taucht der Hundingling als gefallener Held später wieder bei den Walhall-Helden auf – auch nicht ganz einsichtig…


Brandon Jovanovich (Siegmund), Lise Davidsen (Sieglinde). Foto: Bernd Uhlig

Nach all dem theatralisch-technischen Wunderwerk, das im weiteren Verlauf bisweilen auch die Form puren Schnick-Schnacks annimmt, fällt die Kofferwand beim tuchbasierten und beleuchteten Wonnemond – man sieht ihn wirklich, den Mond – schnell zusammen und bildet Kofferberge bis zum Finale. Bei Wotans Bannspruch, nachdem er die glühende Spitze sachgerecht angeknipst hat, kommt auch noch eine Extra-Kofferladung vom Schnürboden herunter. Also, man kann sich schon denken, was gemeint ist: Koffer beinhalten persönliche Dinge, Dinge, an denen man hängt und die man liebt, die man auf keinen Fall verlieren will. All das ist von der Rampe in Auschwitz und den dortigen Museums-Vitrinen nur zu bekannt, zumal die DOB-Koffer genauso aussehen. Dieser Topos wurde aber in Wagner-Inszenierungen schon mehrfach inszeniert. So relevant und wichtig er einst erschien, bietet er nichts Neues mehr.

Es bedurfte also einer seziererischen Durchsicht des Programmheftes, das die „Normal“-Besucher – aus welchen Gründen auch immer – an diesem Abend nicht in der üblichen Papierform bekamen. Mann assoziiert hier mit den Koffern die Wagnersche Darstellung aller „nur denkbaren Realitäten und Wirklichkeiten … in gedrängter, deutlicher plastischer Gestaltung“. So hat also jedes Individuum bei Herheim/Dörzenbach einen Koffer. Sieglinde, immerhin, beschränkt sich auf ein handliches OnBoard-Format. Alle anderen Protagonisten haben auch einen Koffer, Fricka im weißen Pelz standesgemäß einen schicken weißen. Aber auch Wotan trägt einen, dessen Haarschnitt – das kann doch kein Zufall sein – jenem des Verursachers genau der Grausamkeiten entspricht, deretwegen einst so schnell so viele Koffer gepackt wurden. In diesem Kofferrahmen soll laut Regieteam nun ein Spiel mit den unterschiedlichsten Facetten entstehen, ein „Wagnersches Spiel“.


John Lundgren (Wotan), Nina Stemme (Brünnhilde). Foto: Bernd Uhlig

Das Hauptthema oder Regiekonzept des Herheim-„Ring“ ist also die Flucht, und um die geht es natürlich in der „Walküre“ in ganz exzessivem Ausmaß. Bis auf Hunding und Fricka sind hier ja alle auf der Flucht. Ein Besuch im Stelen-Wald des Jüdischen Denkmals in Berlin hat Herheim dazu animiert, ebenso wie die Rolle der Stadt in der Nazi-Zeit und alles, was mit der Verfolgung insbesondere der Juden sowie dem Holocaust zu tun hat. Aber ist das gerade aus der heutigen Perspektive nicht zu kurz gegriffen?! Es sind derzeit weltweit über 60 Millionen Menschen auf der Flucht, aus den unterschiedlichsten Gründen und den unterschiedlichsten Nationen und Regionen. Der „Ring des Nibelungen“, ein universales Meisterwerk der Musiktheater-Literatur mit beachtlichem sozio-politischem Potential, wäre doch mit diesem Thema ein bestens geeignetes künstlerisches Vehikel, die globale Flüchtlingsproblematik auch global anzugehen. Dann gehören aber auch Schwarzafrikaner, Nordafrikaner, Afghanen, Syrer, Jemeniten, Pakistanis et al. auf die Bühne. Christoph Schlingensief hätte das sicher so gemacht. All diese sah man aber nicht unter den Kofferträgern, die da unter erbärmlichen Umständen auf der somit gedanklich und konzeptionell zu eng ausgelegten Berliner Bühne zu sehen waren. Für die entsprechenden Kostüme war Uta Heiseke zuständig, die einmal mehr bei Wotan und den hier äußerst aktiven Wahlhall-Helden auf den neuen stereotypischen Topos setzt, weiße Unterwäsche – nun auch im Wagner-Theater und eben nicht mehr nur im dramatischen Theater präsent! Na bitte.


Annika Schlicht (Fricka), John Lundgren (Wotan), Nina Stemme (Brünnhilde). Foto: Bernd Uhlig

Aber es gibt noch ein zweites Thema in dieser „Walküre“, eben das schon erwähnte Klavier, der Konzert-Flügel in der Mitte der Bühne aller drei Aufzüge. Er erinnerte sofort an das „Parsifal“-Bett Herheims in Bayreuth, eine Art Wunderbett, aus dem alle möglichen Figuren aufstiegen und in dem sie bisweilen auch wieder verschwanden – damals eine gewisse inszenatorische Sensation. Hier treibt er es damit zur Exzessivität, denn fast alles von Bedeutung kommt aus dem Klavier, verschwindet wieder darin oder findet auf ihm statt. Barry Kosky, bei dem verschiedene Altersausgaben des David dem Klavier in Villa Wahnfried entsteigen, lässt grüßen. Der Deckel ist fast ständig in Bewegung, getreu der bekannten Devise „Sesam, öffne dich!“ Nur Wotan hat den Luxus, zu Beginn des 2. Aufzugs in eben weißer Unterwäsche aus dem Souffleurkasten zu steigen, wo er mit der Souffleuse Erda offenbar wenig zuvor Brünnhilde gezeugt hat, die allerdings eine Minute später mit etwa Mitte zwanzig (an diesem Abend nicht eingehalten) in historisierendem Kostüm mit feschem schneeweißem Federhelm auf der Bühne steht, natürlich dem Klavier entsteigend. Da wurde es sogar etwas kitschig! Zu solchen und ähnlichen Ungereimtheiten kam es öfter, wie auch dem redundanten „Walküre“-Spiel Drehbuch, aus dem alles krampfhaft entwickelt wird und aus dem die Walküren bürokratisch ihre kurzen Einsätze singen (müssen), bis es Sieglinde mit den Schwertstücken mitgehen lässt.

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John Lundgren (Wotan), Brandon Jovanovich (Siegmund), Lise Davidsen (Sieglinde. Foto: Bernd Uhlig

Der Klavier-Gedanke ist aber nicht uninteressant. Meier-Dörzenbach bezieht sich auf Wagners Formulierung des mystischen Bayreuther Grabens als des „technischen Herdes der Musik“ und seine Verkleinerung in Form des Klaviers, aus dem alles entsteht. Hier wird ein Stück zuerst gespielt, damit lernt der Sänger. Bekanntermaßen auch die Premiere des 1. Aufzugs der „Walküre“ 1856 im Züricher Hotel Baur au Lac, wo Wagner am Flügel saß, Siegmund und Hunding sang und Emilie Heim die Sieglinde. So sieht das Regieteam das Klavier als das Instrument, „aus dem alles tönt, Welten entstehen und die Kunst für ein Publikum herausgespielt wird …“. Sicher ein nachvollziehbarer Baustein für ein Regiekonzept, aber nach dem, was zu sehen war, nicht unbedingt ein tragfähiger, im wahrsten Sinne des Wortes dieser Produktion. So spielt Wotan in Unterhose wie ein Besessener zu Beginn des 2. Aufzugs neben Brünnhilde alle acht Walküren herbei. Hunding mit seinen Männern kommt auch gleich mit. Ein unglaubliches Chaos spielt sich auf der Bühne ab, in dem jeder Erklärungsversuch zum Scheitern verurteilt ist. Auch Fricka darf später mal ans Klavier. Es ist immer unverständlich, warum Hunding zum Kampf mit Siegmund mit dem Schwert oder einer Stange antritt, während seine Mannen mit geladenen Gewehren um ihn herumstehen. Auf Wink Wotans kommen sie mit Luftschüssen alle ums Leben…

Im 3. Aufzug wird ebenfalls hemmungslos und dramaturgisch völlig überzeichnet agiert. Wotan wuselt mit Speer und Schild schon lange vor der Ankunft Brünnhildes mit Sieglinde hinten auf den Koffern herum. Hat Wagner das musikalisch und textlich nicht ganz anders geschrieben?! Was bringt diese Änderung? Die gefallenen Helden, die eigentlich nach Walhall sollen, übernehmen hier gar die Kontrolle über die Walküren, drehen also mit deren Speeren den Spieß um und treten wie zum Anschauungsunterricht für Brünnhilde zur trockenen Rudelbegattung an den Jungfrauen an, als Wotan ihr das zu erwartende traurige Schicksal unterbreitet – natürlich alle acht „Helden“ in blutverschmierter weißer Unterwäsche! Musste das sein?! Hier konnte man langsam das Interesse an weiteren abstrusen Ideen und deren skurrilen optischen Umsetzungen auf der Bühne verlieren. Eine Überraschung gab es dann allerdings doch noch, als im Finale der Deckel des Flügels nochmal hochging und Sieglinde in den Wehen offenbarte, während sich ein kleiner Gnom mit Barett, offenbar eine Parodie Richard Wagners, damit befasste, ihr das Baby Siegfried aus dem Bauch zu ziehen. Vielleicht war das ja nicht die einzige Parodie an diesem Abend. Selbst Wotan schaute von seinem Gerüst oben perplex herunter…


Nina Stemme (Brünnhilde). Foto: Bernd Uhlig

Hinzu kamen auch noch einige dramaturgische Effekte aus der Klamottenkiste, so der auf einem riesigen, an Stricken aufgezogenen und so nach oben zuckenden Bettlaken projizierte Feuerzauber. Man könnte annehmen, die ganz besonderen technischen Möglichkeiten der Film-, Laser- und Videotechnik, intelligent und wohldosiert eingesetzt wie es Mikki Kunttu im neuen „Ring“ von Helsinki gerade vormacht, seien an Stefan Herheim vorbeigegangen. Für das konventionelle Licht war Ulrich Niepel verantwortlich und für ein szenisch eher begrenztes Video-Design William Duke und Dan Trenchard. Kurz, was man so ganz anders von Stefan Herheim gewohnt war, eine genau durchdachte, konsequent in ein überzeugendes und tragfähiges Regiekonzept eingebaute, durchaus immer wieder unkonventionelle Dramaturgie mit oft faszinierenden Regieeinfällen, war an diesem Abend nicht zu erkennen. Seine „Walküre“ an der DOB wirkt vielmehr wie ein Sammelsurium vieler, zum Teil absurder Einzeleinfälle, die in ihrer Gesamtheit keine wirklich schlüssige Werkinterpretation ergeben. Hoffentlich ändert sich das im „Siegfried“ im Januar 2021.

Das Sängerensemble hinterließ insgesamt einen sehr guten Eindruck, mit einigen Abstrichen. Natürlich brillierte die bewährte Nina Stemme mit der Brünnhilde, auch wenn hier und da doch kleinere Unebenheiten wie Tonverschleppungen zu hören waren. John Lundgren war ein guter Wotan, aber nicht mehr. Der Stimme fehlt es an Resonanz und bassbaritonaler Färbung, so wichtig gerade für die „Walküre“. Man denke nur an Hotter, London, Stewart, Adam, Morris et al. Immerhin sind wir an der DOB. Lise Davidsen sang eine stimmstarke, für meine Begriffe aber zu metallische und auch deshalb zu wenig empathisch klingende Sieglinde. Ihrer Stimme fehlt es an Wärme, die man beispielweise bei Elisabet Strid vernimmt. Eine sehr gute Leistung brachte Brandon Jovanovich. Optisch ist er ein idealer kämpferischer Siegmund und stimmlich entsprach sein Vortrag mit heldentenoralem Aplomb genau diesem Bild, nicht immer ganz stimmschön. Annika Schlicht sang als Fricka zu facettenarm. Die Rolle liegt scheinbar über ihrem Fach. Darstellerisch musste sie wieder einmal die klassische Furie geben. Andrew Harris war ein stimmlich weitgehend überzeugender Hunding, wenn auch ohne jede angsteinflößende schwarze Bassgewalt. Darstellerisch wirkte er eher wie ein Hausmeister, wobei ihm zu Beginn des 2. Aufzugs aber auch übel mitgefahren wurde. Das Walküren-Oktett sang bei den chaotischen und skurrilen Regieanweisungen weitgehend homogen. Flurina Stucki war Helmwige, Aile Asszonyi Gerhilde, Antonia Ahyoung Kim Ortlide, Irene Roberts Waltraute, Ulrike Helzel Siegrune, Karis Tucker Roßweiße, Nicole Piccolomini Grimgerde und Beth Taylor Schwertleite.


John Lundgren (Wotan). Foto: Bernd Uhlig

Donald Runnicles dirigierte das Orchester der Deutschen Oper Berlin mit seiner großen „Ring“-Erfahrung für die Art und Weise, was auf der Bühne abging, etwas zu zurückhaltend. Der eine oder andere orchestrale Schwerpunkt hier und da hätte die musikalische Spannung sicher erhöht, die beispielsweise während der Todverkündigung im 2. Aufzug fast ganz verloren ging. Am besten gelangen die zärtlichen Momente zwischen Siegmund und Sieglinde im 1. Aufzug bei einer insgesamt dem generell hohen Niveau des Hauses entsprechenden Gesamtleistung. Sprühende musikalische Funken entstiegen dem Graben diesmal nicht. Es gab sie stattdessen in oft zu hohem Maße eine Etage höher. Von den 1.860 Plätzen waren wegen der Corona-Hygieneauflagen nur knapp 800 besetzt, sodass der Applaus auch in seiner Stärke begrenzt blieb. Für das Regieteam um Stefan Herheim gab es auch erhebliche Buhrufe.                                                                                          

Klaus Billand

 

 
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