Berlin/ Deutsche Oper: „DIE HUGENOTTEN“ von Giacomo Meyerbeer, Große Oper und ganz aktuell, Premiere, 13.11.2016
Olesya Golovneva, Juan Diego Florez. Copyright: Bettina Stöss
Die Wiederentdeckung von Giacomo Meyerbeers Bühnenwerken hat die Deutsche Oper Berlin auf ihre Fahnen geschrieben. Nach „Vasco da Gama“ ist es die Premiere des Fünfakters „Die Hugenotten“, und David Alden macht daraus Musiktheater im wahrsten Wortsinn, gespickt mit Dramatik, Ironie und Groteske.
Da reiten die Königin Marguerite von Valois und später auch ihr Gemahl auf Riesenschimmeln über die von Giles Cadle gestaltete Bühne. Da sitzt sie in einer veritablen Badewanne und wird von einem Diener mit erotischer Zuwendung abgeseift. Da feiert das katholische Establishment Wein, Weib und Gesang in farbsatter Edelgarderobe, während die Hugenotten in düsterem Schwarz ihre strenge Haltung zur Schau stellen (Kostüme: Constance Hoffman).
Eine insgesamt opulente und Personen bewegende Inszenierung, eine Super-Show in starkem Kontrast zu den schrecklichen Ereignissen der Bartholomäusnacht von 1572, in der tausende Hugenotten nicht nur in Paris heimtückisch ermordet wurden. Dazu noch Ballett, wie es zu Meyerbeers Zeiten in den Opern üblich und Wagner verhasst war. (Choreografie: Marcel Leemann), der bekanntlich gegen den Juden Meyerbeer verbal zu Felde zog.
Vielleicht stören sich einige Zuschauer an dieser Vermengung von Scherz und Ernst, wird doch das Regieteam zuletzt mit ein paar Buhs bedacht. Doch genau diese Kontraste beabsichtigten Meyerbeer und seine Librettisten Eugène Scribe und Émile Deschamps.
Shakespeare hatte es vorgemacht, und speziell in Frankreich wurde es adaptiert. Das unangebracht Lustige sollte das Tragische besonders betonen. Auch wollte Meyerbeer das Publikum während der damals 6stündigen Oper mit solchen Einlagen bei der Stange halten. Nach einigen Streichungen sind es jetzt gute 5 Stunden (mit zwei Pausen).
Juan Diego Florez. Copyright: Bettina Stöss
Was vor unseren Augen abläuft, hat eine bestürzende Aktualität. Das Premierendatum, der 13. November, wurde schon lange zuvor festgelegt. Doch nun ist es der Jahrestag des schrecklichen Terroranschlags in der Pariser Konzerthalle Bataclan mit 90 Opfern (und weiteren Toten an anderen Pariser Orten), an die an diesem neuen Schicksalstag erinnert worden ist. Der Rockmusiker Sting hat als Erster den Bann gebrochen. Ob anderen angesichts der blutbeschmierten, immer öfter emporgereckten Hände auch solche Parallelen in den Kopf kommen? Oder beim Blick auf die Choristen mit schwarzen Ku-Klux-Klan-Kappen?
Auf alle Fälle werden „Die Hugenotten“ zu einem Rundum-Ereignis. Michele Mariotti dirigiert mit Verve und dem erforderlichen Mix aus Spritzigkeit und Ernst das gut aufgelegte Orchester der Deutschen Oper. Wie da alles endet, lässt der anfängliche Choral ahnen. Auch Luthers „Ein starke Burg ist unser Gott“ wird bald vom Chor (einstudiert von Raymond Hughes) Saal füllend gesungen.
Vor allem sind es die Solisten, die Meyerbeers Grand Opéra, uraufgeführt 1836 in Paris, zu einem grandiosen Comeback in Berlin verhelfen. Für die Titelpartie des Hugenotten-Admirals Raoul von Nangis wurde Juan Diego Flórez engagiert, doch selbst für ihn scheint diese ungewohnte Partie keine leichte Übung zu sein. Der Zwischenapplaus nach seiner schwärmerischen Liebesarie für eine Unbekannte im 1. Akt dürfte eher seinem internationalen Ruf zu verdanken sein.
Seine Rolle als junger Landadliger aus strengem Haus, versetzt ins vergnügungssüchtige Paris, macht es ihm allerdings schwierig, seine Meriten von vornherein voll herzuzeigen. Auch ist er vom Skript her einer, der alles zu spät begreift, zwar Mut, aber wenig Entscheidungskraft besitzt.
Doch in den beiden letzten Akten, als er endlich begreift, wie sehr ihn die erst heiß begehrte, dann aus Eifersucht abgelehnte Valentine liebt, erfüllt er voll die in ihn gesetzten Erwartungen. Jetzt bringt er nicht nur Höhe, sondern auch Klang und hat in Olesya Golovneva darüber hinaus eine passende und mitreißende Partnerin. Sie gestaltet die erst verzweifelt und dann todesmutig Liebende, die Rouls wegen Hugenottin wird, ganzkörperlich und mit klarem ausdrucksfähigen Sopran, und beider Höhen strahlen.
Ohnehin wird dieser Abend fast zu einem Frauenereignis. Zunächst für Patrizia Ciofi als schon erwähnte Marguerite von Valois. Ihre makellosen, auch im Liegen zelebrierten, völlig ermüdungsfreien Koloraturen sind ein sinnliches Bekenntnis zu ihrer Art von Liebe und zum Lebensgenuss, was ihr darstellerisch ebenfalls bestens gelingt. Großer Zwischenbeifall! Mit der amerikanischen Mezzosopranistin Irene Roberts in der Hosenrolle als Page Urbain hat sie darüber hinaus nicht nur eine perfekte Partnerin, sondern die Deutsche Oper Berlin ein junges Talent in ihrem Ensemble. Auch sie/er erntet sogleich Applaus.
Immerhin hat die katholische Marguerite von Valois mit König Heinrich von Navarra einen Hugenotten geheiratet. Zwei, die ein Zeichen für Religionsfrieden setzen wollten, was aber der Fanatiker Graf von Saint-Bris – bewusst schneidend von Derek Welton gesungen – durch seinen Mordplan zielstrebig hintertreibt. DIEU LE VEUT (Gott will es) steht in großen Lettern auf der Bühnenrückwand. Sich beim Morden auf Gottes Willen zu berufen, ist die Taktik der Fanatiker durch alle Jahrhunderte bis in die Gegenwart. „Natürlich“ werden die Schwerter geweiht, und wie einst Pilatus waschen sich die selbsternannten Glaubensrichter in herbei gebrachten Schüsseln die Hände in Unschuld
Ante Jerkunica, Juan Diego Florez, Olesya Golovneva. Copyright: Bettina Stöss
Den größten Eindruck des Abends macht (nicht nur auf mich) Ante Jerkunica als Raouls alter Diener Marcel. Zuerst wettert er mit Donnergewalt gegen die verdorbenen Katholiken, möchte sie ebenfalls ermorden und – noch schlimmer – ihnen auch Gottes Gnade entziehen. Sein kräftiger Bass gurgelt hinunter in die Tiefe und ist selbst dort noch voller Klang.
Der zornige Prediger wächst jedoch mehr und mehr in die Rolle des Beschützers hinein und agiert sogar – den Tod aller vor Augen – zuletzt als Priester, der das junge Paar traut. Die Glocke von Saint-Germain, in der Nachbildung über der Kapelle hängend, gibt das Zeichen. Gewehrsalven knattern rhythmisch zum immer hastigeren „Ein feste Burg ist unser Gott“, bis alle verstummen, alle ermordet sind.
Und wie in Verdis Rigoletto entdeckt nun ein Vater, dass auch seine Valentine zum Opfer wurde. Tot ist auch der Graf von Nevers, der einzige, zunächst nur genussfreudige Katholik, der sich mannhaft dem hinterlistigen Morden verweigert hatte. Marc Barrard (Bariton) gibt dieser Rolle Statur.
In den übrigen Partien als Tavannes / 1. Mönch: Paul Kaufmann, als Cossé: Andrew Dickinson, als Méru / 2. Mönch: John Carpenter, als Thoré / Maurevert: Alexei Botnarciuc, als de Retz / 3. Mönch: Stephen Bronk, als Bois-Rosé: Robert Watson, als Nachtwächter Ben Wager. Adriana Ferfezka und Abigail Levis singen und spielen 2 Hofdamen bzw. 2 sich ständig bekreuzigende katholische Mädchen.
Zuletzt große Begeisterung, lang anhaltender Applaus mit vielen Bravi für die Interpreten.
Ursula Wiegand
Weitere Termine: 17., 20., 23., 26., 29. November sowie am 29. Januar und 04. Februar 2017