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BERLIN / Deutsche Oper: DIE FRAU OHNE SCHATTEN. Frau mit Leihmutter – Wenn die Kaisers mit den Färbers sich in Neurosenspießertum nicht genug tun können. Premiere.

27.01.2025 | Oper international

BERLIN / Deutsche Oper: DIE FRAU OHNE SCHATTEN, Premiere; 26.1.2025

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Daniela Köhler  (Kaiserin). Foto: Matthias Baus

Frau mit Leihmutter – Wenn die Kaisers mit den Färbers sich in Neurosenspießertum nicht genug tun können

Zwei maximal dysfunktionale, emotional auseinander gelebte und noch dazu kinderlose Paare wollen genau das: Kinder. In so einer heutigen „Heterohölle“ (Zitat Kratzer aus der „Siegessäule“) siedelt Regisseur Tobias Kratzer diese „Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss an. Statt die dämonisch märchenhaft-symbolgeladene Geschichte um menschliche Reife durch Verzicht, um „sein Glück nicht auf dem Unglück anderer bauen“, um erlösendes Verzeihen in der Erkenntnis von Liebe – und ja auch Fruchtbarkeit – zu erzählen, interessiert Kratzer an der 1919 in Wien uraufgeführten spätromantischen Monumentaloper nur die soziale Erkundung der zentralen Figuren. Der Schatten als Symbol der biologischen Fähigkeit, Kinder auf die Welt zu setzen, wird in dieser Inszenierung zur Leihmutterschaft und so zum zentralen Element der Handlung umfunktioniert. Und nicht zuletzt wortreich von Ulrike Baureithel im Programmheft als „Menschenhandel mitten in Europa“ politisch problematisiert.

Auf der Bühne sieht das dann so aus: Die Kaisers, irgendwie materiell wohlhabend, wohnhaft in einer Art Loft in sterilem Ikea- oder hippem 90 Euro pro Nacht Designerhotellook, leben in einer zerrütteten Ehe. Der Mann hat schon längst keinen Bock mehr auf Sex mit seiner Frau, bevorzugt stattdessen Bordellbesuche oder holt sich selber einen runter. Klar, dass die Frau Kaiser in ihrem Frust ein Amazon Paket nach dem anderen bestellt und am liebsten shoppen geht. Der Geisterbote ist folgerichtig der Amazonbote, der aber wegen Zustellstress nicht gleich wieder verschwindet, sondern der Kundin noch rasch die Leviten liest.

Die Färbers betreiben einen mediokren Waschsalon. Er ist der gutmütige treue Lotsch mit sozialer Ader auch für seine drei Brüder und wünscht sich nichts sehnlicher als Nachwuchs. Sie ist extrem unzufrieden mit dem ewigen Schuften und der faden Tagesroutine und sehnt sich nach Luxus und erotischer Aufmunterung. Die Bitte ihres Mannes nach Kindern? Nix da, Geld muss her und sei es als Leihmutter für die neureichen Kaisers. Als Mittlerin fungiert die businessschlaue Leihmuttermaklerin „Amme“, die vom Opa der Frau Kaiser (warum denke ich da an die alte Fernsehserie „Kaisermühlen Blues“?), Keikobad, bezahlt wird. Denn das vermeintliche Wohl der Tochter geht doch über alles.

Das stets offen umgebaute drehbare Bühnenbild (Rainer Sellmaier) vermanscht ab dem zweiten Akt immer mehr die Welten der beiden Familien. Wer Nachhilfe in Sachen künstlicher Befruchtung braucht, wird mit den Videos der Trias Manuel Braun, Jonas Dahl und Janic Bebi gut bedient sein. Insgesamt finde ich alle filmischen Beigaben beginnend mit der Werbung für In-vitro-Fertilisation (IVF), auf denen als Höhepunkt Catherine Foster LED großleinwandig in einer einschlägigen Klinik im Gynäkologenstuhl aus nächster Nähe zu sehen ist, nicht nur entbehrlich, sondern auch entsetzlich banal.

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Jordan Shanahan (Färber), Catherine Foster (Färberin). Foto: Matthias Baus

Wobei nicht klar ist, wenn die Frau Färber nach der dramatischen Szene mit ihrem Mann, in der sie im teuren Flitter auftaucht (wohl mit dem Geld der Kaisers bezahlt), der die „Irre“ töten will, plötzlich behauptet „Ich habe es nicht getan“. Was hat sie nicht getan? Sich den Samen des Herrn Kaiser einimpfen? Während das Ehepaar also heftig streitet, vergreifen sich die Brüder derweil am „Jüngling“ (der in der Inszenierung ein billiger Escortboy ist), wohl in der Annahme, dass er ihre Schwägerin geschwängert hätte. Zum Aktschluss läuft der Frau Färber Blut zwischen den Beinen herab. Hatte sie eine Fehlgeburt?

Pseudotiefenpsychologisch am diffusesten geht es im dritten Akt zu. Das von Foster zu spät eingesetzte „Schweigt doch, ihr Stimmen“ und „Mir anvertraut, dass ich sie hege…“ von Färber und Färberin, in der die beiden ihre Sehnsucht füreinander herzerweichend schön besingen, sollte eigentlich getrennt erfolgen (sie hören einander nicht). Bei Kratzer sitzen die beiden bei einer Paarberaterin und füllen Fragebögen aus. Entgegen jeglicher Textlogik trennen sei sich am Ende des „Gesprächs“ und dampfen wütend in entgegen gesetzter Richtung ab.

Die große Szene zwischen Amme und Färberin, in der die Kaiserin beginnt, sich von jeglicher Bevormundung zu emanzipieren, ergo für sich und die anderen Verantwortung zu übernehmen, spielt in der Babystation einer Klinik mit vielen kleinen weißen Bettchen. Die Amme schließlich wird, weil sie versucht, ein Baby zu stehlen, von drei Polizisten abgeführt und hingerichtet.

Nachdem die Färbers ihre Scheidungspapiere unterzeichnet haben, geht es ans Finale. Für die Szene „Vater, bist du’s?“ bis zum Ende des Schlussquartetts, mit diesen musikalisch wahnsinnig schönen Höhepunkten, hat sich Kratzer eine „Baby Shower Party“ im Hause der Kaisers ausgedacht. (Für alle die nicht wissen, was so ein Fest‘l ist: Die werdende Mutter feiert geschenkeüberhäuft mit Anhang die bevorstehende Geburt und die Vorfreude über den oder die neue/n Erdenbewohner/in. Üblicherweise finden solche Partys im letzten Schwangerschaftsdrittel statt.) Die Kitschparty dauert so lange, bis die Frau Kaiser beim Lätzchen- und Fläschchenauspacken draufkommt, dass sie das alles nicht will und Torte samt Büffet vom Tisch fegt. Derweil sitzt Opa Keikobad am Klavier und fuchtelt zornig mit dem Auszug von „Die Frau ohne Schatten“ herum. Genau aus dem liest das Ehepaar Kaiser die Schlussapotheose über die „Himmelsboten, die den Vater und die Kinder, also die Ungeborenen freigeben“. Nicht auswendig gelernt oder vom Regisseur als so unsäglich empfunden, dass es nur der Fantasie einer verrückten Partitur entsprungen sein kann? Die Färbers kennen jedenfalls ihre Noten. Ein Rätsel! Ein letzter Szenenwechsel: Während die Stimmen der Ungeborenen ihren zugegebenermaßen verquasten Text singen, sehen wir eine Kita, aus der Papa Färber seine kleine Tochter (offenbar ist er Alleinerzieher) abholt. Aus, Schluss.

Musikalisch bekommt das Publikum eine gestrichene Fassung à la Karl Böhm (mit noch mehr Rotstift, was die melodramatischen Szenen anlangt) zu hören. Donald Runnicles leitet Chor, Kinderchor und Orchester der Deutschen Oper Berlin umsichtig, mit gespürt für Details, in transparenter Opulenz. Und dennoch will sich kein orchestraler Rausch einstellen, berührt mich vor allem der dritte Akt auch instrumental leider nur wenig. Den sängerischen und als Figur darstellerischen Mittelpunkt bildet als einsame Weltklassenspitze des Abends Catherine Foster als Färberin. Sensibler angelegt als einige prominente Kolleginnen, überzeugt Foster mit wunderbaren Legatobögen, einer warmen Mittellage und gleißenden, immer traumhaft gedeckt gesungenen Spitzentönen. Bravissimo. Ihr zur Seite singt Jordan Shanahan mit seiner herrlich warm timbrierten samtigen, allerdings weniger voluminösen Baritonstimme einen großartigen Barak. Auch er weiß als Figur ungemein zu berühren und das trotz aller oben beschriebenen Regiefaxen. Marina Prudenskaya als Amme hat, wie zu erwarten, mit den aberwitzigen technischen Anforderungen und Spitzentönen der Partie keinerlei Schwierigkeiten. Die ehrgeizige Geschäftsfrau nimmt man ihr sofort ab, jegliche Dämonie bleibt sie der Rolle allerdings schuldig. Als Kaiserpaar haben wir es mit zwei Einspringern zu tun. Daniela Köhler hat kurzfristig von Jane Archibald übernommen. Sie verfügt über die nötige Tessitura für die Partitur und bewältigt die Intervallsprünge mit Bravour. Die Piani von „Vater bist du’s?“  klingen aber seltsam stumpf und bröselig, übertragen sich emotional kaum. Clay Hilley brüllt sich mit seinem Stentortenor wenig sensibel durch die sicher unangenehm hoch liegende Partie. Aber in Sachen Phrasierung und Musikalität sollte doch mehr drinnen sein?

Rollendeckend agieren Philipp Jekal, Padraic Rowan und Thomas Cilluffo als Einäugiger, Einarmiger und Buckliger, Patrick Guetti als stimmlich bärbeißiger  Geisterbote, Nina Solodovnikova als Stimme des Falken und Hye-young Moon als Hüterin der Schwelle des Tempels.

Fazit: Entzauberung total! Banales Desillusionstheater einer bestürzend neurotisch kommerziellen Wirklichkeit. Über das Stück erfährt das Publikum so gut wie nichts, darüber umso mehr über die Frage „Ist Leihmutterschaft moralisch vertretbar und eine relevante Chance auf Lebensglück?“ Für diejenigen, die das wollen.

Am Schluss der übliche Mix aus Jubel und Buhs.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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