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BERLIN/ Deutsche Oper: DIE FLEDERMAUS – Gschnas im Weltraumknast

Rolando Villazon scheitert an der Unentschiedenheit der Ideen in einem nicht operetten-geeichten Haus

01.05.2018 | Operette/Musical


Thomas Blondelle (Eisenstein), Thomas Lehmann (Falke). Copyright: Thomas Jauk

BERLIN / Deutsche Oper: DIE FLEDERMAUS, erste Vorstellung nach der Premiere, 1.5.2018 – Gschnas im Weltraumknast

Rolando Villazon scheitert an der Unentschiedenheit der Ideen in einem nicht operetten-geeichten Haus

Was passiert, wenn jemand zwischen zwei Stühlen sitzt? Genau, er fällt durch. Was ist dann, wenn drei Stühle im Spiel sind? Hoppala, erst Recht hart gelandet. Genau das ist Rolando Villazon mit seiner Regie von Johann Strauss jrs. Meisterwerk “Die Fledermaus” an der Deutschen Oper widerfahren. Drei verschiedene Zeiten und Räume, drei nicht kongruente Ansätze, nichts scheint bis zu Ende dekliniert. Am Ende: Buhs auch nach der zweiten Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Konservativen stoßen sich an der Nummer mit dem All und dem skurrilen Treiben auf einer drollig-prolligen DDR-Orgie, die Regietheaterleute gähnen vor lauter Konvention und Biedersinn beim ersten Akt. Allen recht getan, ist eine, Kunst die niemand kann.

Die Fledermaus ist eine der genialsten, frechsten und zündendsten Persiflagen auf die Scheinheiligkeit und Verlogenheit des Bürgertums. Ein Wiener Stück mit französischen Wurzeln, voller hinterhältigem Charme, vordergründig triefender Erotik, viel Wortwitz, subtiler Doppeldeutigkeiten und köstlicher Selbstironie. Aber die Fledermaus ist auch eine Operette voller Lebensfreude, Überschwang, Möchtegernattitüden, dümmlich männlichem Gehabe und weiblicher Raffinesse. 

Wie das halbwegs klingen soll und aussehen kann, darüber gibt es verschiedene Auffassungen. Entweder elegant überhöht, als bürgerliches Salonstück oder in den Dreck gezogen wie Marthaler oder Neuenfels dies vorexerzierten, dürften die beiden extremen Pole sein.

Die Deutsche Oper Berlin hatte eine Otto Schenk Inszenierung im Repertoire. Von 1973 bis 1990. Die Premiere war mit Gundula Janowitz, Donald Grobe und Brigitte Fassbaender prominent besetzt. Nach 28 Jahren ist jetzt Rolando Villazon dran. Es ist seine zweite Arbeit an der Deutschen Oper Berlin nach einer unaufgeregten “La Rondine“ von Puccini. 

Der quirlige mexikanische Sänger und Entertainer mit allerlei Talenten und Wohnsitz in Saint-Germain-en-Laye nahe Paris kann viel, aber für das Wienerische hat er sichtlich kein Gespür. Villazon geht es um die Zeitlosigkeit des Stücks nach dem Motto “Fledermaus forever”. Uff, erinnern wir uns da nicht an einen Don Giovanni von De Simone an der Wiener Staatsoper, der ebenfalls als Zeitreise – zumindest in den Kostümen – angelegt war und mangels Stringenz gründlich schief ging? 

Bei Villazon spielt die Fledermaus im 1. Akt in einem langweilig stofftapetenverzierten Salon aus dem Uraufführungsjahr 1873, der 2. Akt im dreckig abgetakelten Fetisch-Partykeller Ost-Berlins der Fünfzigerjahre sowie der “Frosch-Akt” auf einer Raumstation für Arme und Nostalgiker als außer-, nicht überirdischem Zuchthaus (Bühnenbilder Johannes Leiacker). 

Was auf der Bühne und als Personenführung zu bemerken ist, kann im ersten Akt als altbackenes Theater gelten, wie es hätte irgendwo in den siebziger Jahren auch stattfinden können. Im zweiten Akt erleben wir eine dem Genius Loci geschuldete DDR-Nummer (wieso eigentlich nicht Berlin nach der Wiedervereinigung?) ebenfalls trotz aller wackelnden Hintern und Rosalinde mit Peitsche und Handschellen ihren Eisenstein züchtigend zum Gähnen langweilig. Die Pause beginnt nach dem Czardas der Rosalinde, was den zweiten Akt genau in zwei Teile reißt.

Nach der Pause dürfen sich eine entfesselte Statisterie und das Ballett als Debütanten im Fetischclub gerieren. Orlovsky in Uniform ist umgeben von nordkoreanischen Kampfgirlies, Strapse und schräge Typen stehen herum wie bestellt und nicht abgeholt. Nicht einmal nach dem Finale des zweiten Akts gibt erst Applaus. Die Drehbühne geht weiter zur trotz aller Naivität noch besten Szene des Abends. Das Gefängnis (Hollywood à la Odysseus 2000 und Star Trek schau oba) hat eine Überraschung parat: Frosch ist ein junger Android und kein alkoholdementer Wirrkopf mit Schnapsnase. Florian Teichtmeister führt in dieser Rolle wie Captain Data auf der Enterprise vor, wie sehr er sich nach Gefühlten sehnt und was Charme, Präzision und Timing auf den Brettern, die die Welt bedeuten, bewirken. Eine unglaublich gute und dichte Theaterszene. Ein hinreißender Schauspieler, der beste Protagonist des Abends.

Musikalisch ist das Ganze bemüht und die generelle Steifheit wohl auch das Resultat, dass in der Deutschen Oper normalerweise keine Operette gespielt wird. GMD Donald Runnicles selbst steht am Pult des Orchester der Deutschen Oper Berlin. Er nimmt die Partitur Ernst, was bei der Ouvertüre zu einem schönen Ergebnis führt. Das Orchester spielt luxuriös im Klang wie gewohnt. Im Weiteren fehlen aber die zauberischen Rubati, das Walzerselige und ein echter Drive, um nicht in Ödnis abzugleiten. Vielleicht war es auch keine allzu gute Idee, das Werk überwiegend mit ensembleeigenen Kräften zu besetzen. 

Als veritable Operettentypen mit Kraft, Biss und Drive ins Rampenlicht taugen nur Annette Dasch als prächtige Diva Rosalinde (leider ohne Höhe und Koloratur, was ihr bedauerlicherweise gehörig Buhs einbringt), Thomas Lehmann als glatzig männlicher Falke mit Nosferatu-Masche (rein stimmlich der Hero des Abends) und der herrlich alle Tenöre der Welt persiflierende Enel Scala als Alfred mit der passend penetranten Stimme. 


Copyright: Thomas M. Jauk

Gabriel von Eisenstein ist mit einem Tenor besetzt. Thomas Blondelle wirkt eher als grauer Beamter, denn Lebemann mit Drang zu amourösen Abenteuern. Blass in jeder Hinsicht bleibt auch Angela Brower als Orlovsky. Statt der Puertorikanerin Meechot Marrero singt diesmal Nicole Halslett (Stipendiatin des Förderkreises) die Adele. Rein gesangstechnisch hat sie alles, von der Ausstrahlung her ist sie eher amerikanisches College-Püppchen denn selbstbewusstes Wiener Vorstadtbiest. Auch Judith Shoemaker als Ida und Jörg Schörner als stotternder Dr. Blind hinterlassen keinen bleibenden Eindruck.

Fazit: Ein Abend weder Fisch noch Fleisch, mit vielen mehr oder weniger lustigen Gags garniert. J. Strauss jr. und die Wiener Operette bleiben aber weitgehend auf der Strecke.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

 

 

 

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