Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BERLIN/ Deutsche Oper: DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL – Mit dem UFO zur Drogenbaronesse – Jugendverbot bis 16 Jahre

26.06.2016 | Oper

BERLIN / Deutsche Oper: DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL, 25.6.2016

Mit dem UFO zur Drogenbaronesse – Jugendverbot bis 16 Jahre

entführung1
Belmonte und Osmin: Copyright Thomas Aurin

Es war je nach Sicht der Dinge ein trashy, unterhaltsamer rabenschwarzer britischer Underground-Theaterabend à la Monthy Pythons mit irgendwie komplett unpassender Musik, (die stammt nämlich von einem gewissen Mozart und die ist alles andere als Vorschlaghammer-tauglich) oder es sollte ein Opernabend gewesen sein. Dann muss man zuvörderst von einem großartigen Sängerensemble und einem Orchester in absoluter Hochform berichten. Alle Vokalartisten kamen nicht nur mit der Tessitura und allen technischen Hürden ihrer Partien bestens zurecht, sondern mussten singenderweise auch noch alle mögliche und unmögliche Akrobatik vollführen… aber davon später. 

Während der Ouvertüre, die der musikalische Chef des Hauses Donald Runnicles mit gehörigem Janitscharenfeuer, aber auch wunderbar zarten Zwischentönen und instrumentalen Finessen leitete, war eine witzig schräge Videoproduktion (Ramon Diago) zu sehen: Belmonte (Matthew Newlin mit kernig maskulinem Tenor, allerdings eigenartigen Verfärbungen des Vokals i in der hohen Lage) kutschiert mit einem roten Monstertruck durch die Gegend. Gemeinsam mit den beiden sich unablässig schminkenden, Joint rauchenden, kotzenden und auf high heels staksenden Nutten auf den Rücksitzen geht es über Berg und Tal, auf Schienen und im Gebirge weithin bis zur abgelegenen Drogenresidenz und industriellen Crystal Meth Labor der Bassa Selim. Der Entführer von Konstanze, Pedrillo und Blonde ist nämlich kein Mann, sondern eine fesche, gertenschlanke hochgewachsene Lesbe (als Typus faszinierend Annabelle Mandeng), die auf Konstanze abfährt. Während der ganz vorzüglich gesungenen Arie „Ach, ich liebte, war so glücklich“ muss Konstanze (großartig koloratur- und ausdruckssicher Kathryn Lewek – bitte Namen merken!) wie einst bei Einar Schleefs Version von Jelineks Sportstück im Burgtheater Gymnastik machen und auf der Bühne joggen. Für diese und andere vokale Wunderleistungen wird Frau Lewek nach den Arien und am Schuss zu recht bejubelt. Spätestens hier ist klar, dass es Regisseur Rodrigo García, dem kolumbianischen enfant terrible, Regiewunderkind für Film und Fernsehen mit starker Frankreich-Affinität, in seiner ersten Arbeit für die Oper nicht um die Verdeutlichung/Vertiefung von musikalischen Inhalten, sondern um eine Art von Kontraillustrierung geht. Den Gefühlen,  dem Ungesagten, dem Fragilen, dem Ironischen in den menschlichen Beziehungen der Protagonisten wird nicht getraut, sondern all das wird systematisch mit dem brutalen optischen Überhammer zertrümmert. 

Entführung 2
Belmontes irre Autofahrt. Copyright Thomas Aurin

Die Szene stellt einen einfachen leeren Kubus mit einem aufblasbaren großen Ball dar, auf der linken Bühnenseite und einem Vollmond auf der obern rechten Hinterwand. Der weiße Ballon dient als Projektionsfläche für allerlei filmische Zitate und Kommentare, nicht zuletzt nach dem Beispiel der Prager „Laterna Magica“, wo Theater und Filmisches sich permeabel durchdringen.  Dass García so ganz und gar nicht der Macht der Musik vertraut, kann an dem extremen Beispiel der Videoprojektion während Belmontes Arie „Ich baue ganz auf deine Stärke, Vertrau, o Liebe deiner Macht!“ illustriert werden: Während der gesamten Dauer der Arie flimmert auf einem Laufband das Wort „Lüge“ in großen Lettern über den Ball, mit Großaufnahmen real blutiger Menschenherzen, die in den Lettern schlagen. 

Der bedeutendste dramaturgische Eingriff ist, dass es nicht die ursprünglichen deutschsprachigen Dialoge gibt, sondern die einzelnen Musiknummern durch eine absurde englischsprachige Fäkalsprache miteinander verbunden sind. Als Beispiel möchte ich den ersten Auftritt des „Selim Bassa“ zitieren: In einem rein konditionell beeindruckenden Sprachmarathon im Fitness-Outfit und Basketball stammelt die Drogenbaronesse u.a.: „Constance Inconstance Constance Inconstance … Love inconbstance Love inconstance Love inconstance, L‘amour fou L‘amour fou L‘amour fou.. L‘amour foi gras, L‘amour fou L‘amour foi gras, Ich hasse Dich, ich hasse Dich.“ So geht es fünf Minuten weiter, ein Sprachuntier mindestens genau so montruös wie der Truck, mit dem Belmonte die von einem Picknick im Berliner Tiergarten Entführten retten will.

Entführung 3
Bassa verführt Konstanze im Pool. Copyright Thomas Aurin

Natürlich hat der gestandene Theaterbesucher schon längst verstanden: Alles wird veräppelt in dieser Arbeit, aktionistisch bildreich aufgeladene Gesellschaftskritik auf breiter Basis. Da fehlt keines, aber auch gar kein Klischee: Auf der Holzhammer-Schaufel landen unsere oberflächliche Konsumgesellschaft (die paar zugegebenermaßen skurril witzig projizierten Weltmarken werden es überleben), die Sexbesessenheit der Gesellschaft (ohne Ansehen des Geschlechts wird von allen alles betatscht und besprungen, was im Weg steht), Auto- und Pferdestärkenfetisch, Drogenkonsum (zum genialen Duett Pedrillo Osmin „Vivat Bacchus! Bacchus lebe“ gibt es keinen Alkohol, dafür aber kiloweise Kokain),  Körperkult (zwei halbnackte fitnessgestählte Statisten als Schergen des Bassa bieten überall „ihre Dienste“ an), Handywahn,… Ein Rundumschlag à la Bildzeitung mit genau so eindringlichen und mächtigen Bildern. Die Bilderflut und -gewalt geht so weit, dass sich der Zuschauer dabei ertappen könnte, so gefordert zu sein, dass die Musik automatisch seltsam in den Hintergrund rückt.  Das Gefühl, wählen zu müssen zwischen Musik oder Szene, ist gar nicht angenehm. Beides zugleich ist wie schon gesagt, in höchstem Maße kontradiktorisch und inkongruent, und mit Absicht konterkariert. Meine charmante nicht sehr opernerfahrene Begleitung an diesem Abend, die auch die Entführung an der Komischen Oper „überlebt“ hat, hatte Schwierigkeiten, dieser Dichotomie aus Musik und hinzu erfundener Handlung zu folgen, die Emotionen aus und mit der Musik blieben auf der Strecke.

 Dabei könnte aus purer Unterhaltungsperspektive vieles, zumindest wenn man den Popart-Stil goutiert, als gelungen bezeichnet werden: Etwa die Zitate aus der vom Bassa geliebten Comicserie „Coyote and Road Runner“: Im Großen Duett zwischen Osmin und Blonde stecken beide abwechselnd ihre Gesichter durch die ausgeschnittenen Köpfe der populären Zeichentrickfiguren.

Am irrsten und verstörendsten ist aber sicherlich das Quartett „Ach, Belmonte! Ach mein Leben“ (eines meiner absoluten Lieblingsstücke der gesamten Opernliteratur) inszeniert. Dort, wo die vier bei Mozart um Vertrauen ringen und gegen Eifersucht und Verdachtsspiegelungen ankämpfen, geschieht bei García folgendes: Die vier sind während der gesamten Dauer des Quartetts mit 17 jungen (halb)nackten schönen Frauen und den beiden Bodybildern erotisch beschäftigt. Es geht überhaupt nicht mehr um den schönen Schein oder Unsicherheit, sondern es ist von vornherein klar, (sexuelle) Treue gibt es nicht, jede(r) treibt was er (sie) will. Sicher kann man das so drastisch darstellen, an der Musik geht das aber sicherlich vorbei. 

entführung 4
Osmin mit Maschinengewehr, Bassa. Copyright Thomas Aurin

Am Schluss hat der Regisseur noch final eine berührende Hommage an das Theater eingebaut. Nachdem unsere vier Freunde (Konstanze, Belmonte, Blonde, Pedrillo) mit Maschinengewehren und viel Rauch versucht haben, sich einen Weg aus dem geheimen Drogenirrsinn zu schlagen, werden sie aufgehalten. Bassa verzeiht wie im Stück (allerdings ist der Widersacher der Vater Belmontes größter Crystal Meth Konkurrent) und fügt hinzu, dass Konstanze schon bei der nächsten Tankstelle abhauen und zurückkehren wird. Vielleicht würden aber bald alle wieder auf das Theater zurückkommen, weil das Ende immer ein neuer Anfang ist. Ein versöhnlicher Ton nach so viel Slapstick, Gags, filmischer Übermacht und verstörender Optik. 

Donald Runnicles entlockt dem Orchester wunderbar differenzierte Farben bei hoher Transparenz und hohem Elan. Auch Siobhan Stagg als Blonde, James Kryshak als Pedrillo und Tobias Kehrer als Osmin überzeugen voll, sowohl stimmlich als auch als Akteure. Die gesamte Besetzung ist etwa derjenigen der kürzlich erschienenen Gesamtaufnahme unter René Jacobs weit überlegen. Der Chor sang seine kurzen Passagen eindringlich, ohne Fehl und Tadel.

Am Ende der Aufführung einhelliger Jubel für alle auf der Bühne, den Dirigenten und das Orchester. Das Berliner Publikum scheint sich an so viel Dekonstruktivismus nicht allzu sehr zu stören.

P.S.: Wer allerdings eine klassische Entführung sehen will, wird woanders hin reisen müssen, denn auch die Komische Oper wartet mit ihrer knallharten Version von Calixto Bieito wahrlich nicht mit leichter Kost auf.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

Diese Seite drucken