BERLIN/ Deutsche Oper: DER SCHATZGRÄBER – 2. Aufführung seit der Premiere am 1.5.; 6.5.
Marc Albrechts und Christof Loys düstere Albtraumvision von Glück und Erlösung
Pauwels, Pursio, Laurenz. Foto: Monika Rittershaus
Die letzte Berliner Aufführung von Franz Schrekers märchensymbolistischer Oper „Der Schatzgräber“ fand 1922 an der Staatsoper statt. Genau 100 Jahre später reanimiert Christof Loy in einer vierteiligen Serie von Opern des frühen 20. Jahrhunderts „Die Schatzgräber“ in seiner gewohnt hyperästhetischen Optik (Bühne Johannes Leiacker, Kostüme Barbara Drosihn). Dieser dritten Inszenierung nach Erich Wolfgang Korngolds „Das Wunder der Heliane“ und Riccardo Zandonais „Francesca da Rimini“ soll in zwei Jahren noch Ottorino Respighis „La Fiamma“ folgen.
Obwohl „Der Schatzgräber“ bis in die Dreißiger Jahre ein enorm erfolgreiches Stück auf vielen Bühne der Welt war, blieb es um diese Oper im Gegensatz zu Schrekers „Die Gezeichneten“ oder „Der ferne Klang“ bis heute erstaunlich ruhig. Nach 1945 sind insgesamt weltweit nur sieben szenische Produktionen zu verzeichnen. Auf CD stellt sich die Sache ähnlich dar. Neben dem Amsterdamer Live-Übertrag unter der musikalischen Leitung von Marc Albrecht gibt es nur noch einen weiteren live Mitschnitt aus der Hamburger Staatsoper aus dem Jahr 1989 (Gerd Albrecht; Capriccio).
Dabei geht es in „Der Schatzgräber“ wie in so vielen spätromantischen Opern nicht zuletzt um eine schillernde tragische Frauenfigur. Die Wirtstochter Els ist ein richtiges Herzerl, würde man in Wien sagen. Sie lügt, lässt stehlen und morden, um an Juwelen heranzukommen. Auch ihre Freier lässt sie reihenweise von ihr hörigen Knecht Albi aus dem Weg räumen. Im Innersten träumt sie von einem Märchenprinzen samt Schloss. Für Loy ist sie eine „Systemsprengerin“. Ihr Counterpart ist der Lautenspieler und Balladensänger Elis, ein Glückssuchender, der mit seinem Instrument noch die entlegensten Goldschätze aufspüren kann.
Als der Königin die Juwelen geraubt werden, welkt sie wie die Götter in Wagners Rheingold nach der Entführung von Freia durch die Riesen dahin. Also wird der Narr beauftragt, den geheimnisvollen Musiker aufzutreiben.
Loy siedelt die mittelalterlich ländliche Handlung in einem schwarzmarmornen Salon der High Society aus der Entstehungszeit an. Loy nimmt das große Bankett des vierten Aufzugs als Angelpunkt seiner Regie. Der König erhebt Elis nach der Übergabe des Schmucks in den Adelsstand. Loy sieht darin die Instrumentalisierung der Untertanen durch die Herrschenden: „Jemand kann degradiert oder befördert werden, man droht mit Entlassung, Gefängnisstrafe oder dem Henker. Wenn der Schatzgräber versagt, wird er geächtet. Wir befinden uns in einem Hamsterrad und wollen weiterkommen.“
Daniel Johansson, Elisabeth Strid. Foto: Monika Rittershaus
Vielleicht sind „Der Schatzgräber“ gerade wegen dieses in Schönheit ertrinkenden sozialkritischen Ansatzes Loys schwächste Regiearbeit an der Deutschen Oper Berlin geworden. Wenn ich der Musik, der schillernden Partitur folge, dann besteht das Drama eben in der Unversöhnlichkeit von individuellen Lebensentwürfen, an konsequent bis ans Ende ausgekosteten Fantasien und individuell egomanischer Glückssucht, die sich natürlich nicht erfült. Es geht um eine Ideologisierung und Fetischisierung von Sex und Fruchtbarkeit, Gold und Juwelen als sexuelle Stimulantien, grosso modo die triebhafte Macht und das abgrundtiefe Elend von Eros. Und genau in diesen schicksalshaften Befangenheiten und alles verschlingenden Abhängigkeiten sind sich alle gleich: Die Königin, der König, der Vogt, der Knecht Albi, die Wirtstochter Els, der Narr und der Künstler Elis.
Der Schatz stellt nicht die Sublimierung sinnlicher Triebe dar, die übliche Metapher für Kunst und deren Funktion in der Gesellschaft. Schein-Befriedigung und das danach, das immer nach Mehr Verlangen des Drogenrausches und der vorprogrammierte Absturz bilden den Kern. Schreker selbst äußerte sich am 10. Juli 1918 in einem Brief an Paul Bekker ziemlich eindeutig so: „Das Verhältnis des Mannes zur Frau und alles was damit zusammenhängt – eine Tragödie. Auch in den glücklichsten Fällen. Und dieses Trauerspiel müsste geschrieben werden, das der ‚Glücklichen‘. Das ist Selbstbetäubung, Morphinismus. Glück ist in dieser Welt nicht und nirgends zu finden. Rausch, ein Gaukeln ums Licht, ein jähes Verbrennen.“
Zertrümmert die Kunst an der Wirklichkeit? Am Ende ja. Arne Stollberg („Prinz und Prinzessin von Traumkönigs Gnaden“) hat dazu trefflich analysiert: „So schonungslos wie Schreker hat wohl selten ein Opernkomponist über sich selbst und sein Metier Gericht gehalten. Doch kann man ebenso gut einen Triumph des Ästhetischen darin erblicken, dass es noch seine eigene Vergeblichkeit ästhetisch zu gestalten vermag“.
Für mich liegt dieses Ästhetische in der Instrumentierung, in diesem Floaten von Themen und Motiven, üppig aufrauschend bis kammermusikalisch intim. Marc Albrecht kennt „Der Schatzgräber“ seit der Hamburger Produktion von 1989, wo er als Assistent mitarbeitete. Er animiert das grandiose Orchester der Deutschen Oper Berlin zu einem gnadenlosen Parforce-Ritt durch die Nacht und Finsternis menschlicher Sehn-Süchte.
Elisabeth Strid, Seth Carico, Gideon Poppe. Foto: Monika Rittershaus
Leider kann die Besetzung nur teilweise mithalten. Grandios gelingt es Michael Laurenz, dem Narren als verqueren Erfüllungsgehilfen zu profilieren, aber vor allem mit seinem perfekt fokussierten Charaktertenor alle Wogen und Fluten des Orchesters spielend zu übertönen. Als Protagonistenpaar stehen halt nicht wie in der „Francesca da Rimini“ so überwältigend rollenadäquate Sänger wie Sara Jakubiak und Jonathan Tetelmann zur Verfügung. Der Schwedin Elisabeth Strid ist die hochdramatische Partie der Els eine Schuhnummer zu groß. Ihr weißer Sopran verfügt weder über die Expansionskraft noch über die erforderliche freie Höhe, um ein beeindruckendes vokales Porträt der Borderlinerin Els gestalten zu können. Auch Textverständlichkeit und schauspielerische Stringenz lassen zu wünschen übrig. Besser ist es um ihren Tenorpartner Daniel Johansson als Elis bestellt. Er wirft sich mit voller Wucht und Intensität in diese Rolle des Künstlers, der auch nur ein Mensch ist. Sein elegant timbrierter jugendlicher Heldentenor ist durchschlagskräftig und glänzt metallisch silbern. Von der Tessitura her liegt ihm die Partie aber alles andere als bequem. Allzu oft sollte er sich an das Goldgräberabenteur Elis nicht wagen. Thomas Johannes Mayer mimt einen überzeugenden staatsautoritären Vogt. Seine Riesenbassstimme leiht der Rolle die nötige vokale Macht.
In weiteren Rollen sind u.a. Tuomas Pursio als König, Clemens Bieber als Kanzler, Michael Adams als Graf, Seth Carico als Junker, Gideon Poppe als Schreiber, Stephen Bronk als Wirt und Patrick Cook als Albi zu hören.
Das Haus war für den zweiten Abend der Premierenserie erschreckend leer. Maskenpflicht gibt es keine mehr.
Ich empfehle trotz aller Einwände, sich diese Oper nach Möglichkeit jetzt anzusehen, weil zumindest aus dem Orchestergraben Spektakuläres zu hören ist. „Der Schatzgräber“ ist zudem von der musikalischen Sprache her vielleicht die differenzierteste aller Schreker Opern. Rein sängerisch müssen wir auf einen hoch erfüllenden Opernabend noch warten.
Weitere Vorstellungen: 10., 14. Mai sowie 4. und 11. Juni 2022
Dr. Ingobert Waltenberger