Berlin, Deutsche Oper: Das Staatsballett Berlin tanzt Tschaikowskys „NUSSKNACKER“, 01. Dez. 2016
Jana Salenko und Marian Walter. Copyright: Fernando Marcos
So viele junge hübsche Menschen und die in der Mehrzahl, der große Saal bis hinauf in die Ränge voll besetzt – das ist wunderbar und wäre – nicht nur bei den sonstigen Ballettvorstellungen und nicht nur in der Deutschen Oper – eine großartige Entwicklung.
Dass die Jugend 5 Stunden Wagner absitzt, erscheint unwahrscheinlich. Aber bei Rossini, Puccini oder Verdi wäre das bei entsprechender Herangehensweise, Vorbereitung und zu reduzierten Eintrittspreisen vielleicht erreichbar. Die Tickets fürs Staatsballett sind allerdings generell recht niedrig.
Jedenfalls stürmt die Smartphon-Generation an diesem Abend den traditionellen „Nussknacker“. Vor Weihnachten muss wohl niemand cool sein, da ist Romantik ganz „in“. Die Kleinen rücken mit Lehrerinnen und Lehrern an. Dass all’ denen die opulent gestaltete Bühne und die edel bunten Kostüme (beides von Jérôme Kaplan) gefallen, ist deutlich zu spüren.
„Ich bevorzuge betörendes, zauberhaftes, magisches Theater,“ hat Kaplan geäußert. Na ja, Fernseh-Shows sind oft noch kitschiger. Und dass diese neue Nussknacker-Version von Nacho Duato second hand ist und er damit, wie zumeist, seine mehr oder weniger älteren Stücke recycelt, wissen die meisten vermutlich nicht.
Hier handelt es sich um seine Inszenierung von 2013, gemacht für das Sankt Petersburger Mikhailovsky-Theater. Na und? könnte man/frau sagen und sollte lieber nicht fragen, ob die vorige Berliner Nussknacker-Luxus-Variante vom Oktober 2013 ihre Kosten eingespielt hat. Und ob es vernünftig war, jene einzustampfen und durch die ebenfalls aufwändig-zuckrige Duato-Fassung zu ersetzen.
Denn eines ist der neue Nussknacker garantiert nicht, wie er in dem im Programmheft abgedruckten Interview behauptet: er ist keineswegs „ohne Firlefanz“, und ob die „gewisse Geschwindigkeit“ seinen Nussknacker „ein wenig zeitgemäßer“ werden lässt, bleibt bei Kunstschnee-Anmutung und unterm Sternenhimmel eine Behauptung.
Dennoch – auf solche Details kommt es an diesem Abend nicht an. Das Publikum aller Altersklassen möchte etwaige Sorgen und Ängste vergessen und einfach verzaubert werden. Auch von Tschaikowsky Musik, mal flott, mal schwelgerisch dargeboten vom Orchester der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung des jungen Dirigenten Marius Stravinsky sowie dem Mädchenchor der Sing-Akademie zu Berlin.
Die beiden „Traumtänzer“ sind Jana Salenko und Marian Walter. Copyright: Fernando Marcos
Also heben die Tänzerinnen und Tänzer ab in eine vorweihnachtliche Traumwelt. Das gelingt überzeugend, insbesondere dem Hauptpaar, das auch die Berliner Premiere am 07.10.2016 tanzte: der zierlich-quicken Iana Salenko als die kleine Clara und Marian Walter als ihrem Nussknacker-Prinzen.
Wie sie zunächst echt kindlich den hölzernen Burschen und dann den erträumten Prinzen (ihren Ehemann im Leben) anstrahlt und umgarnt, ist auch schauspielerisch voll gelungen. Der Pas de deux und die Soli der beiden sind makellos und schön anzusehen. Die eleganten Sprünge von Marian Walter und Jana Salenkos Pirouetten ernten sofortigen Applaus.
Passend dazu Rishat Yulbariskov als Claras Patenonkel Drosselmeier.
Beim Erwachen hält sie bekanntlich wieder den hölzernen Nussknacker in der Hand, ist nach dem Traum erneut ein glückliches Kind. Eine Geschichte vom Erwachsenwerden ist diese Choreografie, als die sie propagiert wird, also nicht. Und dass hier die Kinderrollen von den (erwachsenen) Mitgliedern der Compagnie interpretiert werden, erstaunt denn doch.
Viel Spaß haben die jugendlichen Zuschauer an der munter Kobolz schießenden Mäuseschar unter dem frechen Mäusekönig (Nikolay Kroypaev).Selbst das „Nummernballett“ in der 2. Halbzeit – das übliche Beschäftigungsprogramm für die Compagnie, das den Abend streckt – wird anerkennend beklatscht.
Darunter der rasante Spanische Tanz von Sarah Mestrovic mit Cameron Hunter und auch der angeblich Arabische Tanz mit der biegsamen Elisa Cabrillo Cabrera, obwohl diese Choreografie alle Authentizität vermissen lässt. Am besten gefallen – der Schlussbeifall zeigt es erneut – die vier knackigen Matrosen im temperamentvollen Russischen Tanz.
Vielleicht sollte die lebhafte Zustimmung zu dieser sportlich akrobatischen Nummer den Damen und Herren vom Staatsballett zu denken geben. Trotz des Publikumsinteresses für die alten Märchenballette kann das auf Dauer nicht ausreichen. Unter Malakhov, der jetzt wieder herbeigewünscht wird, hat es auch modernes Ballett gegeben, vor allem von Gästen bei „Malakhov & friends“. Vor seiner Zeit als Intendant tanzten die Compagnien und ihre Solisten an den Opernhäusern ebenfalls immer wieder Modernes, sprich Tanztheater. Warum plötzlich diese Ablehnung solcher Arbeiten, wie sie die weltweit hoch geschätzte Sasha Waltz bietet?
Will also das Staatsballett Berlin wirklich den Rückwärtsgang einlegen und so tun, als wäre immer nur Nussknacker- und Dornröschen-Zeit? Nur auf dem Gewohnten und in jahrelangem hartem Training Eingeübtem zu beharren, wäre kurzsichtig. Die Tänzerinnen und Tänzer können sicherlich auch Tanztheater und das dann vermutlich länger ausüben als den hochklassischen Tanz. Das Publikum ließe sich damit voraussichtlich ebenso begeistern, denn Abwechslung tut gut, und es ist nicht alle Tage Weihnachten…….
Ursula Wiegand