Brian Jagde, Sara Jakubiak. Copyright: Monika Rittershaus
BERLIN / Deutsche Oper: DAS WUNDER DER HELIANE, 30.3.2ß18
Ein Berliner Opernwunder: Sensationelle Wiederbelebung eines Meisterwerks des österreichisch-deutschen Expressionismus
„Selig sind die Liebenden. Die der Liebe sind, sind nicht des Todes. Und auferstehen werden, die dahingesunken sind um Liebe.“ Hans Müller-Eingen, Librettist der Oper
Seit wann habe ich eine solch qualitätsvoll vollendete Vorstellung einer Opernrarität nicht mehr gehört. 10, 20 Jahre ist es mindestens her oder noch länger? So durch den Wind war ich meiner Erinnerung nach bei einer Chowanchtchina Aufführung unter Claudio Abbado an der Wiener Staatsoper. Auch diesmal heftig spontaner Jubel für alle Beteiligten nach der Apotheose am Ende des dritten Akts, wenn die Auferstehung der Liebenden Heliane und des Fremden tatsächlich Realität geworden ist und beide „eng umschlungen“ in den Himmel gehen, während sich Licht und Schönheit über die Welt ergießen. Welch herrliche Utopie.
Man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Zum ersten Mal ist eine der ganz großen Opern der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts, die in der musikalischen Substanz der berühmten „Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss in nichts nachsteht und auch im direkten Vergleich zur allerorts gespielten „ Die Tote Stadt“ des Komponisten Korngold wie die viel größere und schönere Schwester wirkt, in voller Pracht und in einer ganz erstklassigen Besetzung zu hören. Seltene szenische Aufführungen (Gent 1970, Bielefeld 1988, Kaiserslautern 2010, Brünn 2012), letztes Jahr gab es konzertante Wiedergaben an der Wiener Volksoper und in Freiburg, konnten diese geniale Oper nicht in den Spielplänen zementieren. Auch die 1992 in der Jesus-Christus Kirche Dahlem, Berlin, aufgenommene Produktion des RIAS Berlin, die bei DECCA in der Serie „Entartete Musik“ erschienen war, litt unter der unzureichenden Besetzung der Titelpartie mit der hoch verdienstvollen, damals aber schon glanzlosen Anna Tomowa-Sintow. Nun also erleben wir die große Rehabilitation des „Wunders der Heliane“, dieses Hymnus‘ an die Liebe, die schon von Handlung und philosophischem Hintergrund ganz gut in die Osterzeit passt, an der Deutschen Oper Berlin. Eine rote Rose gebührt dem Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin (samt Zusatzchor) für ihre mächtige Wiedergaben der seit Wagner (Meistersinger, Parsifal), Schoenberg („Gurrelieder“) und Mahler (8.Symphonie) wohl grandiosesten Chöre der Hoch- und Spätromantik („Ah! Habt ihr vernommen? Unsägliches soll wachsen in den Tag. Unwandelbares sich wandeln..“). Eine rote Rose gebührt dem Besetzungsbüro für eine bis in die kleinsten Rollen fantastisches Casting der Superlative, das ohne große Namen auskommt; ein Generationenwechsel scheint sich hier vorzubereiten. Und eine rote Rose gebührt dem Intendanten für seine kluge und mutige Programmierung. 1928 wurde das Werk zuletzt an der Städtische Oper in Berlin unter Bruno Walter gespielt.
„Wein der Zukunft für die Gebeugten“. Musikalisch fordert „Das Wunder der Heliane“ von den Mitwirkenden alles. Die Geschichte vom eiskalten Herrscher ohne Liebesfähigkeit, dessen Frau Heliane, die sich einem dionysischen Fremden hingibt, und einem Volk, das auf ein erlösendes Wunder wartet, ist märchenhaft und zeitlos. Aberglauben und Verunsicherung kennzeichnen die Gesellschaft, wo Ungleichheit und kalte Macht die Menschen ihrer Würde und ihrer Menschlichkeit berauben. Sehr schnell wird das Verbrennen Helianes auf dem Scheiterhaufen gefordert, sehr schnell dreht sich auch des Volkes Gesinnung, als eine noch höhere Macht Gottes zu ihnen via Gottesurteils (Heliane muss den toten Fremden wieder zum Leben erwecken, was ihr auch als Wunder gelingt) spricht. Reinheit, Verzicht und hohe Liebe bieten wie bei der „Frau ohne Schatten“ auch in dieser Oper die Ingredienzien einer Geschichte um Erlösung („Wer hin sich schenkt, der hat sich überwunden“). Allerdings reichert Korngold seine Oper mit einer flirrenden Kraft an Sinnlichkeit und einem seraphisch-sakralen Duktus an. Irgendwie ist die „Heliane“ als Kind von Parsifal und Salome geboren.
Die Hauptrollen, allen voran „Der Fremde“ und „Heliane“, sind höllisch schwer zu singen. Bei ihrer Besetzung schlägt die Stunde der Amerikaner. Sara Jakubiak, Mitglied des Ensembles der Oper Frankfurt, sang die Titelpartie. Sie ist eine veritable Nachfolgerin von Lotte Lehman (Youtube Link zur Arie „Da ging ich hin“) https://www.youtube.com/watch?v=Fb4qo4ScItU . Frau Jakubiak, deren Zeit für die ganz große Karriere gekommen scheint, verfügt über einen herrlich expansionsfähigen, glanzvoll jugendlich dramatischen Sopran, mit balsamischer Mittellage und enormen Aufblühvermögen in der Höhe. Wenn sie im ersten Akt alle Hüllen fallen lässt aus Mitleid mit dem zumTode verurteilten Fremden, dann wirkt sie unschuldig wie ein nacktes, aus dem Nest gefallenes Vögelchen und sieht gleichzeitig so umwerfend schön aus wie die Venus von Sandro Botticelli. Ihre Interpretation der Heliane in den Monologen und Ensembles ist ein ganz persönlicher Triumph, sie hat eine luxuriöse, wandelbare, mit unendlichen Farben gesegnete Stimme, wie sie nur alle zwanzig Jahre einmal auftaucht.
Der Fremde wird von Brian Jagde, ebenfalls Amerikaner, dargestellt. Jagde wirkt wie eine Inkarnation des jungen Jess Thomas mit der Robustheit und dem Strahl in der Höhe wie der leider viel zu jung verstorbene Johan Botha. Auf eine baritonal, leicht rauchig gefärbte Tiefe und Mittellage setzt eine metallische, bombensichere heldische Höhe auf. Der Einsatz seiner unversiegbar scheinenden üppigen Mittel ist spektakulär, sein Durchhaltevermögen olympisch. Auch ist Jagde ein Bühnentier und wirft sich mit großer Hingabe und Emotion in seine Rolle.
Wie wohltuend ist es, dass auch der „Herrscher“ im Österreicher Josef Wagner einen hochcharismatischen und stimmlich großartigen Interpreten findet. Wagner ist ein Kavaliersbariton mit heldischen Aplomb, das prächtig virile Timbre passt perfekt zu dieser Rolle eines ontologisch verunsicherten Machthabers, der der Liebe unfähig nur das Mittel des Mordes kennt, um sich besser spüren zu können. Dass dieser Herrscher aber auch ein einsamer, nach Liebe gierender armer Teufel ist, auch das gestaltet Josef Wagner darstellerisch sowie stimmlich beeindruckend. Ein Singdarsteller der besondern Art, von dem wir noch sehr viel hören wollen und werden.
Auch die Besetzung der „Botin“ mit Okka von der Damerau und des „Pförtners“ mit Derek Welton ist großartig. Von der Damerau ist mit ihrem wunderbaren frei strömenden Alt eine Ohrenweide. Der australische Bassbariton Derek Welton avanciert ebenso zu einem absoluten Publikumsliebling und wird für die prächtige Sangesleistung seiner kleinere Rolle beim Solovorhang mit Ovationen gefeiert. Der blinde Schwertrichter erfährt durch den tollen Charaktertenor Burkhard Ulrich, langjähriges Ensemblemitglied der Deutsche Oper Berlin, eine präzise, filmreife Studie. Gideon Poppe als junger Mann und Andrew Dickinson, Dean Murphy, Thomas Florio, Clemens Bieber, Philipp Jekal und Stephan Bronk als sechs Richter ergänzen ein Ensemble ohne Fehl und Tadel.
Zum Schluss darf noch berichtet werden, dass auch die Regie von Christof Loy nicht enttäuscht, der nach Jenufa, Falstaff und Edward II. zum vierten Mal an der Deutschen Oper Berlin arbeitet. Ihn interessiert eine psychologische Lesart der Figuren, ihr heikles Verhältnis zueinander, ihre individuelle Tragik. Das Bühnenbild von Johannes Leiacker stellt mit einem kahlen holzgetäfelten Gerichtssaal mit Uhr und Kreuz an der Wand einen passenden Rahmen dar. Als Requisit genügen ein Tisch in der Mitte und ein paar Stühle.
Marc Albrecht, der Deutschen Oper Berlin seit vielen Jahren eng verbunden, weckt Korngolds große, opulente und blühende Musik nicht nur aus dem Dornröschen-Schlaf, er animiert die Chöre und das Orchester der Deutschen Oper Berlin zu einer Spitzenleistung, wie sie selbst an diesem Haus nicht selbstverständlich ist. Das Orchester der Deutschen Oper Berlin hat wieder einmal eindrucksvoll bewiesen, dass es das (technisch) beste aller drei Berliner Opernorchester ist.
Ein überwältigender und unbeschreiblicher Abend. So war, so ist, so muss Oper sein. Also wunschlos glücklich? Nein! Ich will diese schillernde Partitur an der Wiener Staatsoper, gespielt von den Wiener Philharmonikern, dirigiert von einem der jungen passionierten Pultmagier hören. Da gehört diese Oper mustergültig aufgeführt und ins Repertoire, da gab es eine glanzvolle Wiener Erstaufführung 1927 (die Uraufführung fand in Hamburg statt) mit Rosette Anday, Alfred Jerger, Lotte Lehman und Hans Duhan in den Hauptpartien, an die es anzuschließen gilt.
Hinweis: Die Oper wurde am 30.3. und am 1.4. von der Produktionsfirma NAXOS auf Bildtonträger für DVD-, TV- und Internet-Zwecke aufgezeichnet. Lieber Philippe Jordan, schau Dir das bitte an und bring diese Oper nach Wien auf die Bühne, wo sie vielleicht noch ein wenig silbriger und erotisch flirrender erklingen kann als anderswo.!
Dr. Ingobert Waltenberger