Thomas Blondelle, Markus Brück. Foto: Bernd Uhlig
Berlin/ Deutsche Oper: „DAS RHEINGOLD“ 2. Vorstellung der Kofferparade am 15.06.2021
Die wichtigste Nachricht immer zuerst: Wer in die dritte Rheingold-Vorstellung am 19. Juni geht, sollte vorher nochmals unten auf die Programmseite gucken. Dort ist schon jetzt zu lesen:
„Maskenpflicht besteht ab Betreten des Hauses. Die FFP2-Maske darf abgenommen werden, sobald Sie Ihren erworbenen Sitzplatz eingenommen haben.“ Für viele ist das bestimmt eine Erleichterung, und bei einer 7-Tage-Inzidenz von nur noch 10,7 am 17. Juni auch eine seitens der Bundesregierung überfällige Maßnahme.
Die zweite gute Nachricht: mit Wotan und Fricka erleben wir diesmal ein junges schickes, sommerlich weiß gekleidetes Immer-noch-Liebespaar, was vor allem Fricka betrifft. Annika Schlicht singt diese Rolle mit strahlendem Mezzo und zeigt auch mit entsprechenden Gesten ihre anhaltende Zuneigung.
Ihr Göttergatte – Derek Welton – sieht ebenfalls gut aus und kann außerdem einen kraftvollen, ausdruckfähigen Bass-Bariton bieten. Bekanntlich hat er sogar eines seiner Augen hergegeben, um diese aparte Frau zu gewinnen. Dass er mit dem verbliebenen Auge auch nach anderen Frauen schielt, ist nicht zu übersehen. Der fordert wohl damit seine göttlichen Bürgerrechte ein.
Immerhin läuft er hier noch nicht als grauer Greis mit einem Schlapphut herum, der die Gesichtshälfte mit dem fehlenden Auge verdeckt. So ist es zumindest und zumeist ab der „Walküre“ üblich. Die haben die Wagner-Fans aus Pandemiegründen an der Deutschen Oper Berlin vor dem “Rheingold“ gesehen, abgesehen von der Adhoc-Rheingold-Version im Sommer 2020 auf dem Parkdeck der deutschen Oper, die mir gut gefallen hat.
Fricka plagen hier nun andere Sorgen, hat sich Wotan doch arg verschuldet, um hoch auf dem Berg ein protziges Schloss, später Walhalla genannt, von den zwei kräftigen Riesen Fasolt und Fafner bauen zu lassen. Für den bisher nicht gezahlten Arbeitslohn haftet die bildschöne Freia Jacquelyn Stucker. Die die Götter normalerweise stärkenden Äpfel trägt sie fein gerundet in Gold als Busen. Knapp bei Kasse scheint zumindest sie also nicht zu sein. (Kostüme: Uta Heiseke).
Doch was ist schon heute in der Oper normal, beispielsweise bei Stefan Herheim, verantwortlich für Inszenierung und Bühne? Offenbar die Tatsache, dass er freundlicherweise nicht nur einen Koffer in Berlin zur Verfügung hat, sondern (wie bei der Walküre) jede Menge davon. Vielleicht aus einem pleite gegangenen Lederwarengeschäft?
Offenbar sind es Migranten oder ein sonst armseliges Volk, das mit diesen Koffern durch die Lande zieht. Welcher Gedanke dahinter steckt, ist im Programmheft bzw. in einem Gespräch der beiden Dramaturgen nachzulesen. Aber warum eigentlich sollen die Besucherinnen und Besucher das tun, damit sie den Sinn solcher und ähnlicher Einfälle begreifen?
Eine Regiearbeit sollte doch so gestaltet sein, dass sie keiner Erklärung bedarf. Aber offenbar mag Herheim Rätsel und das Spiel mit ihnen, während die Kostümbildnerin sichtlich den „Charme“ von Feinripp als Männer-Unterbekleidung wieder entdeckt hat.
So etwas hat nur einem Mann gestanden; Marlon Brando im Film „Endstation Sehnsucht“. Aus welcher eventuellen Bundeswehr-Reserve stammt wohl diese Unterwäsche? In Sommerlaune befindlich, möchte ich nicht unterstellen, dass im „Rheingold“ mit dieser Art von Outfit Armselige verhöhnt werden sollen oder könnten.
Anstatt einer Tarnkappe trägt Mime und nach ihm Alberich und Wotan als Tarnkappe einen Stahlhelm, und Marschierende heben überdies unübersehbar den rechten Arm. Nicht ganz hoch, aber hoch genug, um grübeln zu lassen.
Vielleicht sollen das Denkanstöße fürs Publikum sein und hoffentlich keine Verbeugung vor einigen früheren Wagner-Nachkommen. Anderes, mehr Amüsantes, ist Herheim aber auch Schlag auf Schlag eingefallen, so dass die Augen eigentlich keine Ruhe finden. Richard dem Großen hätten diese Ideenexplosionen womöglich gefallen.
Damit nun auch die Mitwirkenden wissen, wie’s nun weitergeht, greifen sie öfter mal zum Notenheft mit der Rheingold-Partitur und Wagners Regieanweisungen. Manchmal tun sie auch so, als spielten sie ein Passage auf dem als Allzweckmöbel auf der Bühne platzierten Flügel.
Gut gefällt mir, wie schnell sich die feine Freia und der riesige Bauarbeiter Fasolt ineinander verliebt haben, und wie sehr sie ihn betrauert, nachdem sein Bruder Fafner ihn um des Goldes wegen, mit dem sie aufgewogen wurde, brutal erschlagen hatte. Glaubwürdig und mit teils derbem Temperament wird das gesungen und gespielt von Andrew Harris als Fasolt und Tobias Kehrer als goldgieriger Fafner.
Doch nun keine weiteren Einzelheiten mehr, die von anderen bereits ausgiebig geschildert wurden. Schließlich ist die Musik das Wichtigste und nicht das mehr oder weniger plausible Drumherum, was allerdings optisch zumeist das einzige ist, was die diversen Ring-Varianten in aller Welt voneinander unterscheidet.
Was das Singen und Musizieren anbelangt, kann die Deutsche Oper Berlin in dieser Besetzung mit anderen internationalen Häusern locker mithalten. Das sei zuerst Sir Donald Runnicles erwähnt, der ganz ohne Koffer zusammen mit dem (reduzierten) Orchester der Deutschen Oper Berlin alles ausgepackt und einsetzt, was für Wagners Rheingold musikalisch unabdingbar ist, ohne sich selbst in den Vordergrund zu stellen.
Was die Sängerinnen und Sänger betrifft, sind neben den schon Erwähnten insbesondere der quicklebendige und katzenhaft gewandte Thomas Blondelle als raffinierten Feuergott Loge sowie Markus Brück, ein Fels des Hauses, als finsterer Alberich, dem der Goldring von Wotan entwendet wird, kräftig zu loben. Bei dem wütenden Fluch, mit dem der Zwerg den Ring belastet, kann es Sensiblen kalt über den Rücken laufen.
Bei beiden stimmt alles, Singen, Spielen und Mimik. Blondelle hat als Loge wohl die Rolle seines Lebens gefunden. Mittendrin beim Schlussapplaus der schon lobend erwähnte Derek Welton, die Drei ein Triumphierat der Sonderklasse. Aber auch Ya-Chung Huang als Mime sowie Thomas Lehman als Donner und Matthew Newlin als Froh erledigen mit hörbarer Freude ihre Gesangsaufgaben.
Thomas Blondelle, Annika Schlicht, Thomas Lehmanm, Jacquelyn Stucker, Matthew Newlin, Derek Welton- Foto: Bernd Uhlig
Die im Programm erst nach den Herren platzierten Damen lassen ebenfalls keine Wünsche offen. Neben Annika Schlicht und Jacquelyn Stucker singen, lachen und spotten die drei Rheintöchter herzhaft und wohlklingend (Woglinde: Valeriia Savinskaia, Wellgunde: Irene Roberts, Flosshilde: Karis Tucker). Zu Erda (Judit Kutasi), im Verlauf der Handlung dem Souffleurkasten entstiegen, steigt Wotan zuletzt hinab – er will ja nur was lernen….
Die Berichterstatterin hat auch was gelernt. Schnell schnappt sie sich einen der Koffer zur Weiterreise in die Philharmonie, in den Wilden Westen und zum Freischütz auf dem Gendarmenmarkt.
Ursula Wiegand
Weitere Termine: Sa 19.06.2021 um 20.00 Uhr,