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BERLIN/ Chamäleon: THE MIRROR – Triumpf der australischen Kompanie Gravity & Other Myths (GOM); Co-Comissioned von Chamäleon Berlin & Sydney Opera House; Premiere

08.09.2023 | Ballett/Performance

BERLIN / CHAMÄLEON – THE MIRROR: Triumpf der australischen Kompanie Gravity & Other Myths (GOM); Co-Comissioned von Chamäleon Berlin & Sydney Opera House; Premiere 7.9.2023

Sensationelle, genreübergeifende Körperkunst-Performance mit Elementen aus Modern Dance, Akrobatik und Gesang

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Fotocredit: Andy Philippson

„I can’t take my eyes off you, you are beautiful in every single way, why do you cry?“

 The Mirror“ kommt zurück. Das gefeierte Werk der preisgekrönten Kompanie (GOM) kehrt ab August 2023 zurück auf die Chamäleon Bühne.“  So lautete die Ankündigung. Die Uraufführung von „The Mirror“ des Ensembles in Residence Gravity & Other Myths fand am 1. September 2022 in Berlin statt. Die jetzige Premiere bietet mehr auf als eine Wiederaufnahme, sie ist eine erweiterte Neuinszenierung mit überwiegend neuem Ensemble und Live-Gesang. Die fünf gloriosen Frauen und fünf Männer haben Eigenes und Persönliches mitgebracht. 2022 war das Stück um “Geschlechterrollen, mediale Selbstinszenierung, Körperwahrnehmung und zerbrechlicher Selbstliebe„ das auch im Sydney Opera House gelaufen ist, zwei Monate in den Berliner Hackeschen Höfen zu sehen. Die jetzige Serie wird bis zum 7. Jänner 2024 laufen.

Darcy Grant, selbst gelernter Akrobat, hat sich als Regisseur auf die Verknüpfung von Tanz, Theater, zeitgenössischem Zirkus und bildender Kunst spezialisiert. In seiner Inszenierung, die sich den Themen Social Media-Voyeurismus, Selbstverständnis- und Sicht von Mann und Frau, Vergänglichkeit und Flüchtigkeit, Wahrnehmung in gespiegelten Brechungen widmet, ist ihm eine gar wohl geratene Mischung gelungen. Mit der 2009 gegründeten australischen Zirkus- und Bewegungstheaterkompanie GOM, aktuell ansässig in Adelaide, die mit ihren Arbeiten die Grenzen des zeitgenössischen Zirkus auslotet, hat er in einer fluiden, flotten, ständig fließenden Bewegungsregie Nachdenkliches und Unterhaltsames zu einem kaleidoskopartigen Blumenstrauß geflochten. Das Licht- und Videodesign (Matt Adey) arbeitet mit einer LED-Wand, die Videokunst und Live-Aufnahmen von mehreren Handkameras kombiniert.

In einer rot, schwarz und nur in schmalen Leuchtrahmen und einer kleinen Projektionsfläche weiß gehaltenen Nachtclubatmosphäre genügen einige schwarze Vorhänge für die raschen Szenenwechsel. Handlung im engeren Sinn gibt es nicht. Abstrakte, aus muskelgestählten Körpern gebaute Tableaus in architektonischer Vielfalt, Menschentürme und ständig sich wandelnde Formationen der Akrobaten zeugen von Unruhe, aber auch von kindlich verspielter Spontanität.

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Fotocredit: Andy Philippson

Wahrlich halsbrecherische virtuose Stunts gerinnen zu graziler Bildpoesie, sie verschmelzen mit der einzigartigen (Re-)Komposition von Eli Ekrem Phoenix zu einem Gesamtkunstwerk der Extraklasse. Immer am Herzschlag, übermütig, Comedy und Slapstick wie Sternensplitter gekonnt eingestreut. Da wird gesprungen und gealbert, Purzelbaum geschlagen und gebrabbelt, mit Salti mortali die große Nummer abgezogen: Ob Triumphbogen oder strapsige Feinripperotik, die ganze Schönheit liegt in der Flüchtigkeit des Augenblicks.

Jeder versteht den Ruf begnadeter Körper „Let me hear the body talk.“ Sie posieren und harlekinisieren, steigen und fallen, schrauben und drehen sich, laufen im Kreis. Das olympisch trainierte Ensemble zelebriert für das Publikum ihre Phalanx der Botschaft von Hoffnung und Morgen.

Die Musik hat es mir ganz besonders angetan. Ekrem Phoenix hat einerseits Elemente von klassischer Musik, Jazz und Pop zu einem Sound gebeten, der so einnehmend gut war, dass ich nicht wusste, soll ich die Augen schließen und nur dieser Musik lauschen oder doch besser das Bühnengeschehen verfolgen und andererseits mit der Eigenkomposition „Sweet sacred bliss“ zum Finale einen echten Hit gelandet.

In die Montage flossen Songs wie „Summertime“ (Ella Fitzgerald), „Sunshine“, „Toxic“ (Britney Spears), Sweet Dreams“ (Eurythmics), aber auch Motive aus dem Adagietto (Mahlers „Fünfte“) oder Blechbläserthema aus Richard Wagners „Ring des Nibelungen.“ Der Sound reflektiert zeitgenössische Kunst, die sich wiewohl selbstreferentiell aus der Vergangenheit speist und doch zu etwas Neuem wächst. Raffiniert, innovativ, bewegend. Letzteres ist vor allem der Mitwirkung der charismatischen Sängerin Megan Drury, die mit ihrem himmlisch verführerischen silbermonden leuchtenden Sopran alle Grenzen sprengt, zu verdanken. Mit Licht und kleiner Handkamera im gesamten Bühnenraum unterwegs, schichtet sie die Lyrik der collagenhaft ineinander gefügten Songs zu elektronischer Grundierung.

Alle „hinterfragen dabei gleichzeitig den Akt der Performance selbst. Wo wird Kunst zur Unterhaltung und Unterhaltung zur Kunst? Was bedeutet Authentizität im Zeitalter allgegenwärtiger Screens und permanenter Selbstvermarktung?“

Zum Abschluss eine kluge Anregung aus einer Gesangsnummer: „When you want to make the world a better place, take a look in the mirror and change.“

Am Ende ein unbeschreiblicher Jubel, bevor sich Publikum, Chamäleon und GOM zu einer diskussionsfreudigen Premierenfeier fanden. Hingehen, anschauen!

Leading Team und Besetzung

Regie: Darcy Grant

Set & Licht Design: Matt Adey

Regieassistenz: Lachlan Binns

Komponist: Ekrem Phoenix

Kostümdesign: Renate Henschke

Creative Producer: Jascha Boyce

Sounddesign: Mik La Vage

Schauspieler, Luftakrobaten, Tanzkünstler: Emily Gare, Lewis Rankin, Maya Tregonning, Hamish McCourty, Jack Manson, Jordan Hart, Josh Strachan, Megan Giesbrecht und Isabel Estrella. Die australische Sängerin und Schauspielerin Megan Drury ist ereignishaft.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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