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BERLIN/ Berliner Ensemble: „SARAH“ von Scott McClanahan als faszinierende One-Man-Show

26.08.2021 | Theater

Berlin / Berliner Ensemble: „SARAH“ von Scott McClanahan als faszinierende One-Man-Show, 25.08.2021

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Marc Oliver Schulze. Foto: Matthias Horn

„Ich war der beste betrunkene Autofahrer der Welt“. Mit diesem Satz startet Marc Oliver Schulze im Stück „Sarah“, dargeboten im Neuen Haus des Berliner Ensembles. Als Scott liefert er beim schonungslosen Rückblick auf sein lädiertes Leben eine grandiose One-Man-Show.

Dieser erste Satz, der zunächst wie ein lustiger Gag wirkt, weitet sich in der Regie von Intendant Oliver Reese schnell zu einer düsteren Reportage über den Absturz eines Literatur-Lehrers zum depressiven Alkoholiker aus.

Im nachhinein blättert Scott sein verkorkstes Leben im mittleren Westen der USA gnadenlos auf, doch eigentlich ist er nur Prototyp. Ähnlich wie er leben wohl nicht wenige in West Virginia, wo der Schriftsteller Scott McClanahan (*1978) zu Hause ist. Solche Randexistenzen gibt es überall.

McClanahans Roman „Sarah“ – aus dem Amerikanischen übersetzt von Clemens Setz –  dient nun als Vorlage für das gleichnamige Theaterstück. Eine deprimierende Lebensbeichte, die jedoch durch Marc Oliver Schulzes fast zweistündige, immerwährende Bühnenpräsenz durchaus fasziniert.

Verkorkst ist übrigens nicht der ganz richtige Ausdruck, denn den Schraubverschluss der großen Ginflaschen, die im fast leeren Kühlschrank in der ebenfalls fast leeren Wohnung liegen, kann Scott geschwind von Hand aufdrehen und dann einiges in eine kleinere leere Wasserflasche umfüllen.

Die hat er, zusammen mit einer echten Wasserflasche, immer bei sich und im Auto außerdem reichlich Dosenbier. Erst als er auf dem Highway in eine glimpflich verlaufende Polizeikontrolle gerät, bemerkt er, dass seine zwei kleinen Kinder auf dem Rücksitz schlafen. Aufatmen, als der Polizist seinen Zustand nicht bemerkt. Nun geht’s ab zu Oma und Opa, selbst wenn die Kids heulen.

Was Scott’ Leben beherrscht, ist die Liebe zu seiner Frau Sarah, doch diese Ehe ist gerade in Auflösung begriffen. Dass er in ihrer Abwesenheit ihre Bibel, ein Hochzeitsgeschenk, verbrannt hat, verzeiht sie ihm. Dass seine Fastfood-Mahlzeiten, bestehend aus Hamburgern und Chicken Wings, ihn fettleibig gemacht haben, eher nicht und schon gar nicht böse Bemerkungen über ihr Aussehen. Die Hühner werden bald die Herrschaft über die Welt antreten, gackert es schließlich aus Scott heraus.

Eigentlich sind die beiden zwei gute Menschen, die sogar einen blinden, krebskranken Hund ins Haus nehmen, der alles verdreckt. Doch miteinander kommen sie immer weniger klar. „Willst Du Sex“, fragt er Sarah, doch daran hat sie kein Interesse, zumal sie auf dem gemeinsam benutzten Computer gerade eine lange Hersteller-Liste von Porno-Videos gefunden hat. Filme, die Scott ständig in sich hineinzieht.

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Marc Oliver Schulze. Foto: Matthias Horn

Nach Sarahs Entdeckung „ermordet“ er im Suff mit einem schweren Hammer diesen PC. Die Bilder der beiden Kinder auf der Festplatte sind damit ebenfalls zerstört. Aus Ekel vor sich selbst flüchtet er auf einen Walmart-Parkplatz, um sich dort das Leben zu nehmen, doch das Kinder-Schmerzmittel kotzt er schließlich aus.

Sarah bittet ihn, in die gemeinsame Wohnung zurückzukehren, doch das wagt er nicht. Bei der nächsten Einladung kommt er, doch sie will ihm nur mitteilen, dass sie die Scheidung eingereicht hat. Sie, Krankenschwester an einem Hospital, wird nun ihren Chef heiraten, einen feinen Herrn mit einem braunen BMW, den Scott hasst.

Bevor er im blauen, ehemaligen Hochzeitsanzug zum Scheidungstermin geht,  (Kostüme Elina Schnizler), hat er Sarah noch schnell einen Liebesbrief geschrieben. Den aber hat sie, wie sich später herausstellt, ungelesen gelöscht.

Für Scott ist die Welt nun endgültig zusammengebrochen, und es freut ihn auch nicht, dass ihm die Kinder zugesprochen wurden. Die liebt er eigentlich, findet aber auch zu ihnen keinen rechten Kontakt. Sie werden von Oma und Opa in der gemeinsamen Wohnung betreut.

Scott fühlt sich am Tiefpunkt seines Lebens, doch die Mama hat sonderbaren Trost parat:  Es gäbe noch weitere Tiefpunkte im Leben, und wenn man ganz unten angekommen ist, sei man bei Gott.

Der das alles so eindringlich berichtet und noch eindringlicher mit lebhaftem Körpereinsatz veranschaulicht, muss irgendwann seine Alkohol-Abhängigkeit überwunden haben. Wie, wird nicht mitgeteilt, es ist ihm jedoch anzusehen und dieser Rückschau auf sein Leben zu entnehmen. Ein Abend trotz mancher Komik mit Depressionspotenzial. Doch die Bewunderung für diesen schauspielerischen Totaleinsatz überwiegt, und der Beifall ist heftig.

Ursula Wiegand

 

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