Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BERLIN/ Berliner Ensemble: „PANIKHERZ“ nach Benjamin von Stuckrad-Barre, Uraufführung

18.02.2018 | Theater

Panikherz,  Carina Zichner, Nico Holonics, Bettina Hoppe, Foto Julian Röder
Panikherz,  Carina Zichner, Nico Holonics und Bettina Hoppe, Foto Julian Röder

Berlin/ Berliner Ensemble: „PANIKHERZ“ nach Benjamin von Stuckrad-Barre, Uraufführung, 17.02.2018,

564 Seiten lang ist die bisherige Lebensbilanz von Benjamin von Stuckrad-Barre, der schon in jungen Jahren als Pop-Literat, Journalist, TV-Moderator und Gag-Schreiber für Harald-Schmidt bekannt wurde. Hektik plus volle Pulle Partys, Nightlife bis zum Gehtnichtmehr, schnell mündend in Drogensucht, Fressorgien, Abstürze, erfolglose Therapien und panische Herzattacken. Also das volle Programm, geschildert von ihm als cleaner 40jähriger in seinem Buch „Panikherz“, erschienen im März 2016.

Oliver Reese, seit dieser Saison Intendant des Berliner Ensembles, hat den Text auf 40 Seiten verdichtet und führt bei dieser Uraufführung auch Regie. Er präsentiert ein pralles, dicht gewebtes Stück ohne erhobenen Zeigefinger und falschen Zungenschlag. Mit Wortwitz, Humor und viel Rockmusik erlebt das Publikum das erst aufregend bunte, dann desaströse Dasein eines Suchtmenschen, der nur um sich selbst kreist. Vor allem am Anfang der pausenlosen 130 Minuten-Verführung wird oft gekichert. Da kommt wohl vielen Vieles bekannt vor.

All’ das zelebriert nicht nur einer auf die von Hansjörg Hartung entworfene Einheitsbühne, auf der im Verlauf die Spuren des Süchtigen mehr und mehr zu erkennen sind. Spannung fördernd hat Reese diese Rolle auf zwei Damen und zwei Herren verteilt, auf Carina Zichner, Bettina Hoppe, Nico Holonics und Laurenz Rupp. Würde nur einer über sein jahrelang happy verpfuschtes Leben labern, könnte das reichlich langweilig werden.

Hier jedoch dominieren zunächst trockener Humor und Ironie. Im Nachhinein scheint sich der Autor über sich selbst und die oft zu hörenden Storys über die Ursachen der Drogensucht sogar zu amüsieren. Aufwachsen in einem Pfarrershaus, die Mutter lediglich mit Chören beschäftigt, obendrein nur klassische Musik auf dem Plattenteller, und all’ das zunächst in Rotenburg an der Wümme und anschließend in Göttingen.

Panikherz, Laurence Rupp, Carina Zichner, Nico Holonics, Bettina Hoppe, Foto Julian Röder, II
Panikherz mit Laurence Rupp, Carina Zichner, Nico Holonics und Bettina Hoppe, Foto Julian Röder

Dazu noch Selbstgestricktes am Körper statt Markenklamotten wie die anderen in der Schulklasse, wo die Jungs zwischen zwei Mädchenreihen sitzen. Kann ja alles nicht gut gehen. Carina Zichner mit Jungenfrisur schildert das haarklein. Hörbare Kenn-ich-doch-auch-Effekte beim auflachenden Publikum.

Zum Heilsbringer wird jedoch Udo Lindenberg, und dem wird Tribut gezollt. Seitlich auf der Bühne sitzt die Band, bestehend aus Lukas Fröhlich, Peer Neumann, Gerhard Schmitt, Tilo Weber und Manuel Zacek. An jeder Stelle dieser Lebensabschnittsbeichte bringen die Fünf den passenden Udo-Song, mal rockig, mal melancholisch. Oasis darf’s auch mal sein. (Musik: Jörg Gollasch). Und die BE-Viererbande kann das erstaunlich gut singen.

Was recht locker und lustig begann, spitzt sich im Verlauf zu. Diverse Drogen werden eingeworfen und immer stärkere. Tag und Nacht verschwimmen. Es wird gesoffen, gefressen, gefickt  und gekotzt, alles aber eher erzählt als dargestellt. Den Gesichtern und Bewegungen ist das allmählich anzumerken. Was soll’s? „Null Problemo“ steht auf dem T-Shirt von Nico Holonics (Kostüme: Elina Schnizler).

Der Süchtige, geplagt von Ess-Störungen und Fressorgien, landet in einer Klinik mit lauter magersüchtigen Mädchen zwischen 13 und 17, und kann darüber heutzutage nur lachen. Bettina Hoppe agiert dann auch mal als Therapeutin mit den üblichen Sprüchen. Statt Entziehungskur also lieber Kokainstaub im Gesicht und in der Strickjacke – diese Droge plus Alkohol wirkt, so meint er, gegen die üblen Kopfschmerzen und später gegen das Panikherz. Oder auch nicht.

Zuletzt ist es tatsächlich Udo Lindenberg der Stuckrad-Barre mit in die USA nimmt und ihm das Hotel Chateau Marmot am Sunset Boulevard empfiehlt. Dort soll er seine Absturzstory schreiben. Das hat er getan, ist dort nicht wie James Dean durch ein Fenster gesprungen und auch nicht wie Jim Morrison von einem Bungalow-Dach gefallen. Reeses Theaterversion endet jedoch anders. Hier ist es der Bruder, ein Pastor wie der Vater, der den Süchtigen nach Hause in die Familie zurückholt.

In der Realität hat Stuckrad-Barre beim Schreiben durchgehalten, ist jetzt clean und erheitert sich nun über derjenigen, die schon nächtliches Schokolade Essen als sündig empfinden und meinen, damit bereits ein „Leben am Rand“ zu führen. Einige Proben hat sich der Autor vor der Uraufführung angeschaut, den lang anhaltenden Premierenjubel und all’ das Gekiekse hat er jedoch verpasst.

Ursula Wiegand

Weitere Termine am 20.und 28.2. sowie am 08. und 09.03.

 

Diese Seite drucken